Die glorreichen 6

Die glorreichen 6: Richtig gute Flops (Teil II)

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Wirtschaftliche Misserfolge verdienen nicht automatisch ein Naserümpfen: Wir stellen sechs starke Filme vor, die an den Kinokassen brutal untergingen. Weiter geht's mit der Tragikomödie «Demolition».

Die Handlung


Filmfacts: «Demolition»

  • Regie: Jean-Marc Vallée
  • Produktion: Lianne Halfon, Sidney Kimmel, Trent Luckinbill, Molly Smith, Jean-Marc Vallée
  • Drehbuch: Bryan Sipe
  • Darsteller: hris Cooper, Jake Gyllenhaal, Jean-Marc Vallée, Judah Lewis, Naomi Watts
  • Kamera: Yves Bélanger
  • Schnitt:Jay M. Glen
  • Veröffentlichungsjahr: 2015
  • Laufzeit: 101 Minuten
  • FSK: ab 12 Jahren
Als seine Frau bei einem Autounfall tödlich verunglückt, bricht für den erfolgreichen Investmentbanker Davis (Jake Gyllenhaal) eine Welt zusammen. Obwohl sein Schwiegervater (Chris Cooper) ihn drängt, sich zusammenzureißen, verliert Davis zusehends die Kontrolle über sich. Ein Beschwerdebrief, den er an eine Verkaufsautomaten-Firma schreibt, weckt die Neugier der Kundendienst-Mitarbeiterin Karen (Naomi Watts). Daraus entspinnt sich ein reger Briefwechsel, der viele persönliche, geradezu intime Geständnisse zur Folge hat. Die beiden Fremden lernen sich persönlich kennen und entwickeln eine tiefe Beziehung, die sich für beide als Rettung erweist. Mit Hilfe von Karen und deren 15 Jahre alten Sohn (Judah Lewis) beginnt Davis ein neues Leben – doch dafür muss er zunächst sein altes hinter sich lassen.

Der Misserfolg


Nach dem Achtungserfolg von «Dallas Buyers Club» und dem ebenfalls solide aufgenommenen «Der große Trip - Wild» schienen die Zeichen bei Jean-Marc Vallées neuestem Film «Demolition» eigentlich auf (Indie-)Hit zu stehen. Mit Jake Gyllenhaal konnte der Oscarpreisträger immerhin einen der angesagtesten Hollywood-Beaus aktueller Stunde verpflichten. Leider ging diese Rechnung nicht auf. Bei seiner Uraufführung beim Filmfestival von Toronto erntete die Tragikomödie über einen nicht trauernden Witwer nur müde bis halbwegs solide Reaktionen. An den Kinokassen folgte schließlich der Totalabsturz. Bei nicht allzu üppigen Produktionskosten von gerade einmal 10 Millionen US-Dollar konnte «Demolition» noch nicht einmal die Hälfte wieder einspielen. Seither ist es um Regisseur Jean-Marc Vallée beunruhigend still geworden. Aktuell befindet sich ein TV-Projekt in Produktion, doch bei Fragen zu neuen Kinoarbeiten hält sich der Filmemacher bedeckt. Gyllenhaal hat sich unterdessen mehrfach im Blockbusterkino bewiesen, unter Anderem den Science-Fiction-Thriller «Life» abgeliefert.

Hierzulande startete «Demolition» im Juni 2016, parallel zur Fußball-Europameisterschaft in gerade einmal 57 Kinos. Nach knapp 20.000 Besuchern verschwand der Film bereits aus den Top 20 der Kinocharts. Der Misserfolg zieht sich bis hin zur Heimkinoauswertung. Bis heute hat sich kein Verleih dazu entschlossen, den Film auf DVD oder Blu-ray herauszugeben. Entsprechend ist der Film derzeit lediglich auf ausgewählten Streamingplattformen anschaubar. Wir liefern Gründe, weshalb sich das dringend ändern sollte.

Die 6 glorreichen Aspekte von «Demolition»


Wenn sich Hauptfigur Davis in einer Sequenz sinnbildlich freiläuft, indem er aus heiterem Himmel die Küstenpromenade rauf- und runterrennt, dann ist das so wenig subtil, dass man froh ist, diese Szene erst ganz zum Schluss zu Gesicht zu bekommen. So endet «Demolition» vielleicht mit einem Schwachpunkt, die meiste Zeit überzeugt der Film allerdings in seiner ausgewogenen Atmosphäre, in der herbes Drama und Galgenhumor Hand in Hand gehen. Mit Davis von Anfang an zu sympathisieren, ist dabei gar nicht so leicht. In uns allen ist der Gedanke verwurzelt, dass nach dem Tod eines geliebten Menschen zwangsläufig getrauert werden muss. Mit seiner scheinbar gefühlsleeren Attitüde eckt Davis erst einmal an, doch nach und nach offenbart sich das ganze Ausmaß seines Innenlebens. Wenn der stets um sein Aussehen bemühte Anzugträger mit der Zeit all die um sich herum befindlichen, technischen Geräte in ihre Einzelteile zerlegt, um penibel seinem Credo zu folgen, dass nur, wer etwas komplett auseinander nimmt, den Fehler im Inneren findet, dann wirkt das im Hinblick auf die Symbolwirkung bisweilen etwas plump. Gleichzeitig gewinnt Davis ausgerechnet durch dieses fast karikatureske Verhalten ein Profil, mit dem man sich als Zuschauer schnell anfreundet. Davis nimmt eben plötzlich alles wörtlich, was er sich vornimmt – eine Tatsache, in der hervor blitzt, dass ihn der Tod seiner Frau vielleicht doch in gewisser Weise tangiert, ohne es zu merken.

Für Jake Gyllenhaal ist «Demolition» eine One-Man-Show. Sein zerrissenes Spiel hier erinnert an jene aus dem Mystery-Geheimtipp «Enemy». Ihm stehen zwar Darstellerinnen wie Naomi Watts («Gefühlt Mitte Zwanzig») zur Seite, die als seine zurückhaltende, Davis jedoch schnell in ihr Herz schließende Zufallsbekanntschaft überzeugt und mit ihrer sympathisch-bodenständigen, gleichzeitig vollkommen natürlichen Performance besticht. Doch der Fokus liegt allein schon deshalb auf Gyllenhaals Davis, weil sich die Handlung einzig und allein auf seine Gefühlsentwicklung bezieht. Das vorsichtige Kennenlernen zwischen Davis und Karen, die mal berührenden, mal amüsanten Gespräche zwischen Davis und Karens Sohn Chris (Judah Lewis) und die Auseinandersetzungen mit den Schwiegereltern dienen einzig und allein dazu, alle erdenklichen, charakterlichen Facetten der Hauptfigur offen zu legen, bis diese sich im Finale schließlich völlig entblößt hat. Das passt im Hinblick auf die Geschichte hervorragend; erst wenn wir Davis‘ Inneres einmal auseinander genommen haben, beginnen wir, es zu verstehen und können immerhin erahnen, wo der Fehler (?) herrührt, dass Davis in Bezug auf seinen Verlust keinerlei Trauer empfindet. Gleichzeitig bedeutet das für den Zuschauer aber auch, dass «Demolition» hauptsächlich aus Dialog besteht, während auf der Leinwand insgesamt wenig passiert. Das muss man mögen und gerade die melancholische Atmosphäre des Films könnte nicht jedem direkt zuträglich sein. Wer sich jedoch dazu entschließt, der Tragikomödie eine Chance zu geben, obwohl er weiß, dass das im deutschen Titel noch so keck in den Vordergrund gerückte Thema „Liebe“ hier nur in der Theorie Erwähnung findet, dem offenbart sich ein sensibler Blick in eine Männerseele, die auch ohne viel Tamtam eine außerordentliche Faszination entwickelt.



Obwohl Jean-Marc Vallée seiner Hauptfigur eine Person des anderen Geschlechts zur Seite stellt, geht es in «Demoliton» nie um die klassische „Kriegen sie sich?“-Frage. Schon das Kennenlernen der beiden, das sich innerhalb einer Kundenhotline als schwierig, für den Betrachter aber auch äußerst amüsant gestaltet, entspricht nicht dem eines typischen Hollywoodpärchens. Bis zum Schluss lässt das Skript die Frage offen, ob Davis in Karen einen Neuanfang sieht, oder lediglich einen kurzweiligen Zeitvertreib. Entsprechend unsentimental verläuft die Interaktion der beiden, was man über Davis und Chris nicht behaupten kann. Newcomer Judah Lewis («Point Break») spielt den mitten in den Wirren der Identitätsfindung befindlichen Dreikäsehoch überraschend reif und sorgt im Zusammenspiel mit Gyllenhaal für die stärksten Szenen im Film. Mit einer Mischung aus weitsichtiger Weisheit und kindlicher Naivität spricht er aus, was Erwachsene sich nicht trauen; wenn schließlich im Rahmen einer großen Zerstörungsorgie all die sich im Inneren angestauten Energien ans Tageslicht kommen, entwickelt «Demolition» schließlich jene emotionale Wucht, durch die der Film auch zu seinem Titel gefunden hat. Regisseur Vallée lässt es brodeln; so lange, bis es seine Figuren nicht mehr aushalten. Dabei entstanden ist die intensive Momentaufnahme eines Witwers, der uns alle am Ende zu dem Schluss kommen lässt, dass sich unsere Gefühle nun mal schlecht bewusst beeinflussen lassen.

«Demolition» ist via Amazon, maxdome, iTunes, Google Play, Videoload, Sky Ticket, Sky Go, Wuaki, Videoload, Sony, CHILI und Juke abrufbar.

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