Sonntagsfragen

Joachim Masannek: ‚Die einzige Möglichkeit, Genregeschichten hierzulande zu produzieren, ist im Kinderfilm‘

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«Die Wilden Kerle»-Schöpfer Joachim Masannek spricht mit Quotenmeter.de über die Lage des deutschen Films, den Wert von Til Schweiger und darüber, weshalb er sich bei den Filmen so sehr von seinen eigenen Büchern entfernt.

Zur Person: Joachim Masannek

Der 1960 geborene Joachim Masannek absolvierte nach seinem Germanistik- und Philosophiestudium eine Ausbildung an der Hochschule für Fernsehen und Film München. Dort studierte er im Fachbereich Regie. Von 2002 an brachte er als Autor die Kinderbücher «Die wilden Fußballkerle» auf den Markt, die er ab 2003 als Regisseur und Drehbuchautor selber adaptiere. Nach Abschluss der Fußball-Buchreihe verfasste Masannek neue Kinderbuchserien und brachte zudem die zweiteilige «V8»-Filmreihe ins Kino.
Wieso haben Sie sich für einen Film über eine Staffelübergabe entschieden, statt für ein direktes Remake oder einen sonstigen Neustart ohne Berücksichtigung der alten «Die Wilden Kerle»-Filme?
Nach der «Die Wilden Kerle»-Reihe habe ich neue Kindergeschichten verfasst, und da bin ich zu der Zielgruppe zurückgekehrt, die «Die wilden Kerle» am Anfang hatten: Die Sechs- bis Zehnjährigen. Und ganz gleich, welche Projekte ich gemacht habe: Die Kinder haben mich immer gefragt, wann denn «Die Wilden Kerle 6» kommt. Die Kinder kennen die Filme auch alle so gut, als seien die erst vor ein paar Tagen im Kino angelaufen, obwohl viele von ihnen erst nach dem letzten Film auf die Welt gekommen sind. Und von denen habe ich auch ganz viele Ideenvorschläge erhalten, wovon der Film handeln könnte. Praktisch all diese Ansätze handelten davon, dass sich ein neues Kind in eine Geschichte mit den alten Wilden Kerlen hineindenkt und dann tatsächlich mit ihnen zusammen ein Abenteuer erlebt. Diese Idee haben wir aufgegriffen und gesagt: Unsere Protagonisten sind Kinder, die von den Wilden Kerlen nur aus Geschichten gehört haben und sich vorstellen, dass es sie gegeben haben könnte – und beim Nachspielen der Erlebnisse der alten Wilden Kerle treffen sie auf die Originale. Dass die alte Generation noch einmal drin vorkommt war uns ganz wichtig, weil wir auch das von den Kindern gesagt bekommen haben: Für sie war es unerlässlich, dass die Neuen ihre Legitimation von den ersten Wilden Kerlen erhalten. Es soll ein Ritterschlag für die Nachfolger sein.

Kam es auch am Set so rüber?
Ja, auch für die Schauspieler war es ein Ritterschlag, nicht nur für die Figuren: Die Alten haben zusammen mit den Neuen gedreht und sich ihre Filmausschnitte von damals angesehen. Und sie alle meinten: „Die sind besser als wir damals!“

Konnten Sie den Umfang des Auftritts der alten Wilden Kerle frei nach Ihren Wünschen umsetzen? Oder mussten Sie äußere Einflüsse – von Drehterminen bis hin zu verlorenem Interesse am Schauspielen – berücksichtigen, als es darum ging, wie groß die Rolle der alten Generation im Film ausfällt?
Nein, das musste ich nicht. Wir wollten in erster Linie die neue Generation aufbauen. Die Story war von Anfang an so gedacht, dass die Neuen beweisen müssen, dass sie das Zeug dazu haben, das Erbe der Alten anzutreten. Und die alten Wilden Kerle kommen zurück, um das zu bestätigen. Mehr Leinwandzeit hätte ich ihnen jetzt nicht geben wollen. Ihr Auftritt ist ja auch durch seine Vehemenz und durch den Pathos sozusagen zum Ausgleich sehr einprägsam.

Gerade durch die Entwicklung der vergangenen Jahre mit Computern, Smartphones, Tablets und Social Media hat sich bei Kindern eine noch stärkere Sehnsucht nach einer analogen Welt herausgebildet. Die Kinder möchten eine Welt, in der sie ohne Erwachsene Abenteuer erleben können. Und mein Ziel war es daher, der heutigen Generation ihren eigenen Film zu geben, der in so einer Wirklichkeit spielt, und wo sie die Erlebnisse ihrer Helden vom Netz und von den Eltern ungestört nachstellen können.
Joachim Masannek
Die ersten fünf Filme haben eine graduelle Wandlung gemacht: Von einer eher konventionellen, relativ alltagsnahen Familien-Sportkomödie hin zu sehr abgedrehten, fantasievollen Geschichten. Wie hat sich der Findungsprozess gestaltet, wo auf dieser Skala von Teil eins bis Teil fünf der sechste Film verortet sein sollte?
Wir hatten uns vorgenommen, einen Film zu drehen, der tonal ungefähr zwischen «Die wilden Kerle» und «Die wilden Kerle 2» liegt. Vom Alter der Figuren her liegen wir aber sogar jenseits von Teil eins: Die Kinder sind teilweise über ein Jahr jünger als es die Jungs beim ersten Film waren. Auf Seite der Produktionswerte und dem Feeling hingegen haben wir versucht, den zweiten Teil zu erreichen. Wobei wir uns gleichzeitig bemüht haben, einen gewissen Realitätsbezug zu bewahren, weil es sich nun einmal um jüngere Kinder handelt, und die wissen es sehr zu schätzen, einen Ankerpunkt zu haben. Trotzdem spielt «Die Wilden Kerle – Die Legende lebt!» in einer leicht von der unsrigen Realität entrückten Welt. Denn gerade durch die Entwicklung der vergangenen Jahre mit Computern, Smartphones, Tablets und Social Media hat sich bei Kindern eine noch stärkere Sehnsucht nach einer analogen Welt herausgebildet. Die Kinder möchten eine Welt, in der sie ohne Erwachsene Abenteuer erleben können. Und mein Ziel war es daher, der heutigen Generation ihren eigenen Film zu geben, der in so einer Wirklichkeit spielt, und wo sie die Erlebnisse ihrer Helden vom Netz und von den Eltern ungestört nachstellen können.

Wie äußern Kinder diesen Wunsch nach einer analogen Welt? Es klingt zunächst ja eher nach einem von Pädagogen ausgedrückten Wunsch: „Leg doch mal das Tablet weg!“
Es ist nicht so, dass Kinder Smartphones abschaffen wollen. Das war zum Beispiel bei unserer Premiere gut zu erkennen: Die Kinder hatten alle Smartphones oder Tablets dabei und sie erzählten alle, welche Computerspiele und Apps sie gern spielen – sie kennen nur diese digitale Welt. Und das muss man sich mal vor Augen halten: Als wir den ersten Teil gedreht haben, kam gerade das erste Handy heraus, das Fotos schießen konnte. Die Sehnsucht nach Freiheit und Abenteuern ist seither, denke ich, nur immer größer geworden. Auf unserer Premiere wollten die Kinder nur tollen und spielen und erleben. Die Fahrräder der Wilden Kerle waren ein echter Hit – die Kinder meinten, die würden dafür sterben, so eins zu haben. Wenn du ihnen so etwas bietest, legen die auch jedes Handy weg.

Kinder lassen sich völlig auf die Welt ein, die ihnen erzählt wird. Und sie brauchen das auch. Das Verlangen, etwas zu glauben ist da. [...] Die Kinder sind völlig drin in dieser Erzählung, das ist für sie genauso wie eine Live-Fußballübertragung. Die gehen da voll auf, denen muss man nichts erklären – schon gar nicht das Fehlen von Handys.
Joachim Masannek
Wird es denn trotzdem durch die immer größere Präsenz von digitaler Technik in unserem Alltag zunehmend schwerer, eine in der Gegenwart spielende Geschichte völlig ohne Smartphones und ähnlichen Geräten zu legitimieren?
Nein. Die Kinder machen den Sprung einfach mit. Dafür haben sie genug Fantasie. Wenn sie mit LEGO spielen oder im Ballpark sind, spielen die Handys auch keine Rolle mehr, und wenn zwei Kinder ein paar Stöcke finden, dann werden die für sie zu Lichtschwertern! Kinder lassen sich völlig auf die Welt ein, die ihnen erzählt wird. Und sie brauchen das auch. Das Verlangen, etwas zu glauben ist da. Bei der Premiere saß hinter mir ein Junge, der wollte beim 8:0 der Galaktischen Sieger unbedingt den Saal verlassen, weil er es nicht ausgehalten hat, die Wilden Kerle verlieren zu sehen. Die Kinder sind völlig drin in dieser Erzählung, das ist für sie genauso wie eine Live-Fußballübertragung. Die gehen da voll auf, denen muss man nichts erklären – schon gar nicht das Fehlen von Handys.

Kinder sind da wohl die gnädigeren Kinogänger. Bei Erwachsenen wird Haarspalterei bei Filmen immer größer geschrieben, scheint mir.
Kinder sind noch nicht in der Lage, zu abstrahieren, daher können sie nicht so wie wir reflektieren. Somit leben Kinder nicht in einer von der Vernunft regierten Welt, sondern in einer, in der die Fantasie bestimmt. Deswegen sind für Kinder auch Gespenster in dunklen Räumen oder Kellern eine Bedrohung. Für Kinder ist das möglich! Dafür sind ihnen Dinge und Regeln aus der Erwachsenenwelt teils völlig fremd.

Auf der nächsten Seite verrät Joachim Masannek seine Gedanken über mögliche «Die Wilde Kerle»-Fortsetzungen mit der alten und der neuen Generation und ruft deutsche Filmemacher dazu auf, mehr Initiative zu zeigen.

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