Sonntagsfragen

Heike Hempel: 'Handfest, lebensnah, heiter und berührend'

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Mit Quotenmeter.de sprach die Hauptverantwortliche der ZDF "Herzkino"-Reihe über das Erfolgskonzept, die Vorurteile und die Zukunft.

Frau Hempel, wie würden Sie einem durchschnittlichen Fernsehzuschauer Ihre Aufgabe als „Herzkino“-Hauptredaktionsleiterin erläutern?
Ich bin - zusammen mit meinen Kolleginnen und Kollegen - verantwortlich für die „Herzkino“-Filme, wie «Dora Heldt», die «Pilcher»-Reihe oder auch die Komödie vom letzten Sonntag «Flaschenpost an meinen Mann». Aber unser Spektrum ist weitaus größer, denn bei uns entstehen auch sog. Eventproduktionen, wie in der Vergangenheit z.B. «Das Wunder von Berlin» oder «Schicksalsjahre» und aktuell unseren neuen Dreiteiler „Unsere Mütter, unsere Väter“, den wir ab So. 17. März ausstrahlen. Wir verantworten außerdem Krimiserien wie «Letzte Spur Berlin», Komödien wie «Lotta» mit Josefine Preuß und alle Serien, die das ZDF um 19.25 Uhr ausstrahlt - von den «Rosenheim-Cops» bis zur «Hafenkante» und kürzlich «Heldt» mit Kai Schumann.
Das Spektrum meiner Tätigkeit ist also sehr groß. Ich versuche mit meinen Kollegen dafür zu sorgen, dass Ihr Gebührengeld in hochwertige und zeitgemäße Filme und Serien investiert wird – mit dem Anspruch, mit handfesten und lebensnahen, heiteren und berührenden Geschichten, modernes Familienprogramm zu gestalten.

Das „Herzkino“ holt auf konstantem Niveau sehr gute Zuschauerzahlen beim Gesamtpublikum. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg?
Wir haben mit So. 20.15 Uhr und unseren „Herzkino“-Filmen in der Tat einen sehr guten Lauf. Von Komödien wie «Wir haben gar kein Auto» mit Jutta Speidel und Bruno Maccallini bis hin zu melodramatischen Schicksalsgeschichten wie «Wer liebt lässt los» mit Ursula Karven, treffen wir auf ein sehr breites und interessiertes Publikum. Der Erfolg erklärt sich aus meiner Sicht über zwei Dinge:
Erstens, über den, wie wir senderintern poetisch sagen, Modernisierungsprozess, mit dem wir den Sendeplatz in den letzten Jahren weiterentwickelt haben. Stichworte sind hier: Substantielle, nah an den Figuren erzählte Geschichten, Humor, überraschende Besetzungen und eine kinohafte Visualität. Das gilt für die Marken und Reihen und besonders für die Einzelstücke, die wir über zeitgenössische Themen und populäre Besetzungen profilieren.
Und zweitens erklärt sich der Erfolg aus meiner Sicht über die Sehnsucht der Zuschauer nach Geschichten, in denen keine Soko ermittelt und keine Leiche zu finden ist. Es bleiben ja, selbst wenn alle Mörder eingefangen wären, noch Fragen offen - große und kleine: wie gehen Menschen mit Schicksalsschlägen um? Wie führt man heute eine gute Ehe? Wie geht Familie? Wie fühlt man sich als Frau in den besten Jahren in einer von Schönheitswahn besessenen Welt? Oder die eine Ewige: Wie finde ich den Richtigen und wie werde ich den Anderen wieder los?
Diesen Fragen gehen wir erzählerisch nach – gemäß unseres Mottos: Wir erzählen vom Leben!

Journalisten wird in der Grundausbildung stets gesagt: „Stelle dir deinen archetypischen Stammrezipienten vor!“ Wer erwidert, er wolle jeden erreichen, wird nur weiter bedrängt, ein detailreiches Bild eines einzelnen Zuschauers zu zeichnen, einen Abriss der (zur Not fiktiven) Kern-Zielperson. Auch wenn das „Herzkino“ keine journalistische Form ist, würde ich gern mit Ihnen exakt dieses Gedankenspiel spielen. Wie sieht Ihr wichtigster Stammzuschauer aus, was macht er während Ihrer Filme, wie beschäftigt er sich sonst?
Der wichtigste Stammzuschauer des „Herzkinos“ ist eine Frau! Sie ist in den besten Jahren, eine romantische Realistin würde ich sagen, mit mittlerem Schulabschluss. Sie hat einen Job (oder auch keinen), der die aufscheinende Woche nicht im rosaroten Glamourlicht erscheinen lässt. Sie möchte am Sonntagabend keine Serienmörder in ihrem Wohnzimmer haben. Sie möchte sich unterhalten lassen mit Filmen die lebensnah sind, ggfs. auch indirekt Lebenshilfe bieten, komödiantisch, melodramatisch und leicht überhöht erzählt sind, in denen es um etwas geht.

In der jungen Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen läuft das „Herzkino“, verglichen mit den Zahlen beim Gesamtpublikum, weniger stark. Wie versuchen Sie, dies zu ändern?
Wichtig ist, dass das Herzkino seine Zuschauerinnen und Zuschauer findet bei den 40-60 Jährigen. Es ist grundsätzlich im ZDF unsere Aufgabe, mit der Fiktion den turn around bei eben dieser Gruppe zu schaffen und damit den Generationsabriss zu verhindern. In diesem Segment haben wir regelmäßig 10-11 % MA – ansteigend. Das ist extrem gut. Und wir holen im Übrigen auch bei der jüngeren Zielgruppe auf.

Wie wichtig ist Ihnen die Genrevariation? Wenn mal eine Überzahl an Romantikkomödien-Drehbüchern eingereicht wird, wird dann aktiv nach Stoffen aus plötzlich unterrepräsentierten „Herzkino“-Genres gefordert oder nehmen Sie die Projekte an, wie sie nun mal voranschreiten?
Wir sind ja keine Programmverwalter, die den Posteingang durchwinken, sondern wir gestalten Programm und entwickeln strategisch in Bezug auf unsere Ziele. Und für den Sendeplatz So. 20.15 Uhr haben wir uns vorgenommen, die populären Genres Komödie und Melodram, die im deutschen Fiktionfernsehen insgesamt eher unterrepräsentiert sind, zu stärken und für den Sendeplatz durch zu deklinieren. Das macht Spaß – und viel Arbeit. Da kann ich nur sagen: es lebe das moderne Redakteursfernsehen – aus meiner Sicht eine unserer Stärken. Wir streben dabei immer wieder eine Mischung an zwischen unseren Marken - «Rosamunde Pilcher», «Inga Lindström» und «Katie Fforde», die wir weiterentwickeln, den Reihen wie „Ein Sommer in… (Amalfi", mit Ann-Kathrin Kramer am 7.4.), «Dora Heldt», die „Frühlings“-Reihe mit Simone Thomalla. Wir probieren neue Ansätze aus wie «Die Pastorin» mit Christine Neubauer am 14.04. und «Fluss des Lebens» am 21.04. Gleichzeitig geht es uns immer stärker auch darum, die Einzelstücke zu profilieren wie mit «Einmal Leben bitte» mit Anja Kling zum Thema Burnout, den wir im 2. Halbjahr zeigen werden.

Bei einem so hohen Produktionsausstoß und dem mit sehr variabler Konkurrenz ausgestattetem Sendeplatz, auf dem das „Herzkino“ an den Start geht, wie darf man sich da die Koordination der Sendetermine vorstellen? Wird zum Beispiel taktiert, ob ein neues Melodram gegen den vergleichsweise komödiantischen Münsteraner «Tatort» und die Free-TV-Premiere einer US-Komödie bei ProSieben mehr Chancen hat als eine „Herzkino“-Romantikkomödie? Oder bleibt die Konkurrenz bei der Planung außen vor?
Planung funktioniert nicht ohne die Einbeziehung der Konkurrenz. Gleichzeitig gilt, dass ein öffentlich-rechtlicher Sender sein Programm selbstbewusst ins Schaufenster stellen kann und muss. So. 20.15 Uhr im ZDF ist ein solcher Termin

Da der prominente Sendeplatz auf einem der größten Sender Deutschlands, sowie der etablierte Markenname bereits ein gewisses Stammpublikum garantieren, wieso wagt sich das „Herzkino“ nicht auch etwas stärker zu experimentieren? Ein gewisser Grunderfolg wäre weiterhin gegeben, wie unter anderem der «Tatort» zeigt, der ab und an mit ganz ungewöhnlichen Fällen überrascht und sein Publikum trotzdem nicht vergrault.
Filme wie «Wer liebt, lässt los» mit Ursula Karven oder «Die Kinder meiner Tochter» mit Jürgen Prochnow, den wir am 05.05.2013 ausstrahlen werden - eine Culture-Clash – Komödie über einen konservativen Richter, der die kurdischen Enkelkinder seiner verstorbenen Tochter hüten muss - stellen für den Herzkino-Termin durchaus ein gewisses Experiment dar. Und Sie haben vollkommen recht, man muss an einem solchen Sendeplatz immer wieder einen Schritt voran gehen und Dinge austesten: no risk, no fun. Das haben wir im Übrigen auch mit «Beate Uhse» und «Tsunami – Das Leben danach» getan und werden in diesem Sinne auch weiterarbeiten. Erst einmal sind wir gespannt auf die Resonanz von „Unsere Mütter, unsere Väter“, unser Dreiteiler, den wir ab So. 17. März ausstrahlen. So haben wir den 2. Weltkrieg fiktional noch nie erzählt – als Generationsporträt, nah an den Figuren, horizontal im Sinne einer modernen Seriendramaturgie und schonungslos in der Darstellung. Das ist für mich ein genuin öffentlich-rechtliches Projekt, mit dem wir Neuland betreten! Und das gleichzeitig, in Bezug auf den Sendeplatz, das größte Experiment darstellt.

Frau Hempel (Hauptredaktionsleiterin HR Fernsehfilm/Serie II), wir danken herzlich für das Gespräch.

Kurz-URL: qmde.de/62553
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