Die Kritiker

«Nacht über Berlin»

von  |  Quelle: Inhalt: ARD

Der FilmMittwoch im Ersten mit einer dramatischen Liebesgeschichte vor dem historischen Hintergrund der Machtergreifung Hitlers

Inhalt


Berlin, 1932. Albert Goldmann sitzt als gemäßigter SPD-Abgeordneter im Berliner Reichstag. Nach seinen Erfahrungen im Ersten Weltkrieg ist der idealistische jüdische Arzt zum leidenschaftlichen Demokraten geworden, der nur eines will: Nie wieder Krieg! Entgegen seiner pazifistischen Überzeugung lässt er sich von seinem jüngeren Bruder Edwin, Mitglied einer radikalen kommunistischen Zelle, zu einem heiklen Kurierdienst überreden. Prompt gerät er in eine Polizeikontrolle und entgeht nur dank der spontanen Hilfe der selbstbewussten Henny Dallgow seiner Enttarnung. Die unangepasste Tochter aus reichem Haus ist beeindruckt von dem engagierten Arzt, der den sozial Schwachen hilft und sich als streitbarer Reichstagsabgeordneter für den Fortbestand der jungen und nicht sehr angesehenen Demokratie einsetzt. Henny wiederum macht ihren persönlichen Traum wahr und übernimmt das „Ballhaus" von dem Juden Matze Belzig, der die Zeichen der Zeit erkennt und rechtzeitig nach Amerika emigriert.

Als Sängerin, die in ihrem mondänen Etablissement wie selbstverständlich SA-Männer zu ihren Gästen zählt, verkehrt Henny in einer Welt, die den Juden Albert verabscheut. Über diese Gegensätze hinweg entwickelt sich jedoch eine große Liebe, die unter keinem guten Stern steht. Im Februar 1933, als die Lage auf den Straßen eskaliert, erfährt Henny vom künftigen Mann ihrer Cousine Uta, dem den Nazis zugewandten Karrieristen Erhart von Kühn, dass Albert in Gefahr ist. Sie will ihn warnen, doch Albert ist unterwegs zum Reichstag, um einen verwirrten Patienten daran zu hindern, eine Dummheit zu begehen. Sein Name: Marinus van der Lubbe.

Darsteller
Anna Loos («Weissensee») als Henny Dallgow
Jan Josef Liefers («Tatort – Münster») als Albert Goldmann
Sven Lehmann («Weissensee») als Erhart von Kühn
Claudia Eisinger («Schief gewickelt») als Uta Dallgow
Ingrid Mülleder («Kollegium – Klassenkampf im Lehrerzimmer») als Hedwig Dallgow
Franz Dinda («Berlin '36») als Edwin Goldmann
Stella Hilb («Krankheit der Jugend») als Vera

Kritik


Die Angst vor der Degetoisierung dieses historisch brisanten Stoffes ist nicht ganz unbegründet. Denn «Nacht über Berlin» weist durchaus eine nicht unbedeutende Anzahl an Passagen auf, in denen das Melodram überwiegt und die persönlichen Konflikte der beiden Hauptfiguren zu forciert auf den Identifikationsfaktor getrimmt werden. Mancher Handlungsstrang, etwa der kleine dramaturgische Exkurs in Hennys ungewollte Schwangerschaft, lenkt unnötig vom Kernthema ab und schlenkert zu sehr in die narrative Peripherie, die zum Gesamtkonstrukt nichts Relevantes beitragen kann, sondern eher plump als subtil die Sympathien lenken will.

Das hätte das Drehbuch von Friedemann Fromm (auch Regie) und Rainer Berg aber gar nicht nötig gehabt. Denn dieser historische Stoff funktioniert ohne die zu gewollte Anbiederung an das Melodram deutlich besser. Das merkt man an all den Szenen, in denen die Politik in den Vordergrund drängt und die gesellschaftlichen Umwälzungen in den letzten Tagen der Weimarer Republik unmittelbare Auswirkungen auf die Figuren haben. Dass man den Stoff nicht mit Charakteren aus der Riege der Otto-Normal-Deutschen, sondern im intellektuellen Milieu angesiedelt hat, trägt seinen Teil zum Gelingen des Unterfangens bei, da es klarere Zeichnungen der politischen Zustände erlaubt.

Die Hauptprotagonistin Henny Dallgow ist in mehrerlei Hinsicht interessant. Als Künstlerin in politisch brisanten Zeiten bietet sie ohnehin schon ein faszinierendes Betrachtungsfeld. Doch es ist vor allem ihr zu Beginn noch ambivalentes Verhältnis zu den Nazis, das sie, sicherlich dank der in dieser Beziehung sehr nuancierten Ausführungen des Autorenteams, zu einer sehr spannenden Figur macht. Als Albert Goldmann, der jüdische Arzt mit SPD-Reichstagsmandat, sie zum ersten Mal auf den abstoßenden Antisemitismus der NSDAP hinweist, antwortet sie im Brustton der Überzeugung: „Das meinen die doch nicht so.“ Das mag plump klingen, doch es spiegelt die absurde Mentalität vieler Deutscher in den früher 30er Jahren realitätsnah wieder.

Fromm und Berg trauen es sich oftmals noch direkter, konfrontieren Goldmann und Henny Dallgow in Gesprächen mit Vertretern des Großbürgertums offen mit antisemitisch-rassistischen Äußerungen und Verhaltensweisen, lassen den alten Nazi beim Mittagessen die entsetzlichsten Tiraden von sich geben. Die Überzeugung dieses verachtenswerten Mannes: Er dürfe doch seine Meinung sagen – und ohnehin: Schließlich duldet er den Juden (und Untermenschen) Goldmann ja an seinem Tisch, auch wenn er und seine „Rassegenossen“ am Unglück der ganzen Nation Schuld tragen. Das sind allegorische Szenen, die in ihrem Grundton, wenn auch nicht in ihrer offenen Radikalität, durchaus auf heutige gesellschaftliche Diskussionen bezogen werden können.
Es sind vor allem diese feingeistigen, differenzierten Zeichnungen, die einem die Ideologien der Weimarer Endphase so klar vor Augen führen, wie man das in deutschen Fernsehfilmen bisher kaum gesehen hat. Selbstverständlich auch dank des hervorragenden Darsteller-Duos aus Jan Josef Liefers und Anna Loos.

Der Filmmittwoch im Ersten zeigt «Nacht über Berlin» am 20. Februar 2013.

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