Die Kritiker

«Tatort: Wegwerfmädchen/Das goldene Band» (Hannover)

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In den kommenden zwei Wochen ermittelt Charlotte Lindholm im Ersten. Quotenmeter sah den Zweiteiler der beliebten Reihe bereits vorab und kann Ihnen sagen, ob der neue Stoff wirklich gut ist.

Wegwerfmädchen


Der Fund einer Leiche in einer Hannoveraner Müllverbrennungsanlage ruft Charlotte Lindholm auf den Plan. Das Schicksal der 16-jährigen mutmaßlichen Prostituierten berührt sie besonders. Wer ist so skrupellos und wirft eine junge Frau einfach in den Müll?

Kurze Zeit später wird ein weiteres Mädchen namens Larissa aufgegriffen, das der Polizei entscheidend weiterhilft. Sie wurde ebenfalls in den Müll geworfen, konnte sich jedoch befreien und überlebte so. Verzweifelt berichtet die junge Weißrussin, dass die Tote ihre Cousine sei, und beide zusammen mit acht weiteren Mädchen einen Modelwettbewerb gewonnen hätten. Der Gewinn war eine Reise nach Hannover, die sich für die Mädchen zu einem Alptraum entwickeln sollte. Denn sie wurden als willfähriges Spielzeug zu einem Herrenabend der feinen Hannoveraner Gesellschaft benutzt. Larissa wird in den Zeugenschutz genommen und Charlotte Lindholm steht unter Hochdruck: Wo fand die Feier statt, wer war daran beteiligt und was ist mit den restlichen acht Mädchen passiert?

Charlotte Lindholm verfolgt eine Spur ins Hannoveraner Rotlichtmilieu und ist umgeben von einer Mauer des Schweigens. Auch der ermittelnde Staatsanwalt von Braun scheint ebenfalls in diesen Kreisen involviert zu sein. Schließlich ergeben sich konkrete Hinweise auf einen Motorrad-Rocker, doch dieser ist wie vom Erdboden verschluckt.

Als ein weiterer Anschlag auf das Leben ihrer Kronzeugin Larissa stattfindet, überschlagen sich die Ereignisse für Charlotte. Die Falle, die sie dem tatverdächtigen Motorrad-Rocker gestellt hat, scheint zuzuschnappen. Charlotte Lindholm gelingt es, ihn festzusetzen und in die Enge zu treiben. Doch hat sie damit auch die wahren Täter gestellt? Diese Frage verfolgt sie trotz aller Beweise.

Das goldene Band


Wenige Wochen nach der Verhaftung des Mörders wird der Täter selber Opfer eines Totschlags in der JVA Langenhagen. Charlotte Lindholm zeigt großes Interesse an den Tathintergründen, denn sie glaubt, damit ihren alten Fall wieder aufnehmen zu können, der für sie unbefriedigend ausging.

Gemeinsam mit der ermittelnden Kripobeamtin Prinz geht sie nun einem Hinweis des Toten nach, der sie zum Ort der damaligen Party bringt. Das Schlösschen ist im Besitz des Hannoveraner Immobilien-Tycoons Kaiser. In seinem Dunstkreis findet sie zu ihrer großen Überraschung noch jemanden wieder: ihren Freund Jan Liebermann. Seine journalistische Recherche um einen Immobilienskandal und Charlottes Ermittlung scheinen denselben Gegenstand zu haben: Am Tag der Ermordung des Mädchens wurde in dem Schlösschen eine Party zur Umstellung der Alterssicherung der Republik gefeiert. Ein Zufall?

Für einen Moment lang öffnen Charlotte und Jan einen Spalt breit die Tür zum Maschinenraum der Macht in ihrer Stadt. Doch die Beweislage ist dürftig. Um an die prominenten Hintermänner zu kommen, muss sich Charlotte Lindholm persönlich weit hinauswagen, um den Fall zu lösen.
Eine Reise nach Weißrussland gerät dabei zur inneren Reise in ihre persönlichen Ängste. Was sie mitbringt, ist die Wahrheit über Hannover und über sich selbst.

Darsteller
Maria Furtwängler («Die Flucht») als Charlotte Lindholm
Benjamin Sadler («Contergan») als Jan Liebermann
Emilia Schüle («Add a friend») als Larissa Pantschuk
Bernhard Schir («Meine Heimat Afrika») als Hajo Kaiser
André Hennicke («Der Untergang») als Staatsanwalt von Braun
Michael Mendl («Der Untergang») als Gregor Claussen
Robert Gallinowski («Berlin '36») als Uwe Koschnik

Kritik
Über vierzig Jahre kam der «Tatort» ohne Cliffhanger oder auf zwei Folgen aufgeteilte Fälle aus. Zwar wird das auch in Zukunft sicherlich die Regel sein, aber im Moment befindet sich das Franchise in einer Experimentierphase, die vielfach zu qualitativ hochwertigen Ergebnissen geführt hat – da liegt es nahe, auch am strukturellen Aufbau Neuerungen auszuprobieren.

Dass es eine doppelte Laufzeit ermöglicht, tiefer in die Themen der zweiten Ebene vorzudringen, und detailreichere wie differenzierte Figurenentwürfe erlaubt, ist eine Milchmädchenrechnung. Sie ist aber erwähnenswert, da sich „Wegwerfmädchen/Das goldene Band“ dadurch von vielen anderen Folgen der Niedersachsen-Reihe abheben kann.

Leider ist es dem Drehbuch von Stefan Dähnert jedoch nicht durchgehend gelungen, immer den richtigen Fokus zu wählen. Denn die Storyline um Lindholms Privatleben wirkt im ersten Teil noch sehr deplatziert und lenkt unnötig vom spannenden und tiefgehend geschriebenen Hauptplot um die Verwicklungen der Hannoveraner Elite in den osteuropäischen Zwangsprostitutionsring ab. Erst im zweiten Teil werden die Konflikte aus Lindholms Privatleben mit den zu lösenden Mordfällen auf eine sinnvolle Weise verknüpft und bringen relevante Konsequenzen mit sich. Problematischerweise kumuliert dies aber in einem über alle Maßen unrealistischen Wendepunkt, an dem Lindholm nach ihrer Suspendierung auf eigene Faust nach Weißrussland reißt, wo sie zufälligerweise auf ihren Liebhaber trifft – mit dem sie dann in einem gestohlenen weißrussischen Polizeifahrzeug am Straßenrand in der osteuropäischen Pampa ein Gespräch über ihre zerrüttete Beziehung führt. Das zumindest hätte sich besser lösen lassen.

Grundsätzlich hat man sich aber an ein relevantes Thema gewagt und auszuloten versucht, ob Prostitution, egal in welcher Form, überhaupt moralisch zu rechtfertigen ist – immerhin nehmen verschiedenen Studien zufolge 70 Prozent der männlichen deutschen Bevölkerung deren Dienste in Anspruch. Die nötige Relevanz des Stoffs ist also ohne Zweifel gegeben.

Doch auch wenn es tolle Szenen, starke Dialoge und eine spannende Ausgangsposition gibt, verschenkt man immer wieder Potential. Etwa, wenn man die erdrückende Szene, in der der Gerichtsmediziner Lindholm die entsetzliche Verletzungen des Mordopfers aufzählt, mit Klavierkitschmusik unterlegt, wenn man im ersten Teil eine völlig abgedroschene Geschichte über Lindholms Privatleben erzählt oder im zweiten Teil mit der neu dazustoßende Ermittlerin eine Figur einführt, die zu gewollt auf Komik und allerhand lustige Situationen getrimmt ist, die die dramatische Situation, in der sich die Protagonisten befinden, zu stark verwässert.

Trotz dieser vereinzelten narrativen Defizite kann das Drehbuch hinsichtlich des großen Ganzen jedoch überzeugen. Die szenische Umsetzung (Regie: Franziska Meletzky) fällt sogar durchgehend gelungen aus. Maria Furtwängler überzeugt nach wie vor in ihrer Paraderolle, während ihre Kollegin Emilia Schüle mit einer exzellenten Darstellung beeindrucken kann. All das macht die erste «Tatort»-Doppelfolge zu einem mutigen Experiment, das trotz einiger Schwachstellen insgesamt gelungen ausfällt.

Das Erste strahlt «Tatort: Wegwerfmädchen» am Sonntag, den 9. Dezember 2012, um 20.15 Uhr aus. Der zweite Teil «Tatort: Das goldene Band» folgt am Sonntag, den 16. Dezember 2012, ebenfalls um 20.15 Uhr.

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