Die Kino-Kritiker

«Chernobyl Diaries»

von
Sechs Touristen besuchen die verseuchte Stadt Pripyat am ehemaligen Atomkraftwerk in Tschernobyl – und erleben dort den blanken Horror.

Am 26. April 1986 explodierte Reaktor 4 im Atomkraftwerk Tschernobyl in der heutigen Ukraine. Die dadurch freigesetzte Radioaktivität verbreitete sich rasend schnell. 50.000 Bewohner mussten den nahe gelegenen Ort Pripyat von der einen auf die andere Sekunde verlassen. Das Gebiet gilt auch 26 Jahre nach dem Vorfall als unbewohnbar, die Strahlenbelastung in der abgesperrten „Zone“ ist heute noch immer lebensgefährlich. Diese Tatsache schreckt viele sogenannte Extremtouristen allerdings nicht davon ab, dem Gebiet einen Besuch abzustatten. Oren Peli, Schöpfer des überaus erfolgreichen «Paranormal Activity»-Franchise, hat daraus nun eine Horrorgeschichte entwickelt. Das bietet sich an, sind die Geisterstadt Pripyat und der traurig-berühmte Hintergrund des Tschernobyl-Desasters eine ideale Grundlage für ein gruseliges Szenario.

Wir folgen vier jungen amerikanischen Rucksacktouristen, die quer durch Europa reisen. Trotz einiger Bedenken entscheiden sie sich, statt des geplanten Aufenthalts in Moskau eine Besichtigungstour durch die verseuchte und verlassene Stadt Pripyat zu unternehmen. Im Büro von Reiseleiter Uri lernen sie ein Pärchen kennen, das an dem Trip der besonderen Art ebenfalls starkes Interesse zeigt. Kurze Zeit später befindet sich die Gruppe auf dem Weg in die „Zone“. Was eine Einführung ins folgende Unbehagen sein soll, entpuppt sich als völlig irrelevante Exposition. Die Charaktere vermitteln von Beginn an den Eindruck, das Mittel zum Zweck zu sein. Persönliche Eigenschaften sind egal, Hintergrundinformationen sowieso. Lediglich die Namen verschaffen den Protagonisten so etwas wie eine Identität. Ansonsten sind die Personen allesamt austauschbar. Sie wecken beim Zuschauer weder Interesse noch Sympathien oder wenigstens Mitgefühl. Immerhin wurde vom stereotypischen dummen Blondchen Abstand genommen. Für das weitere Vorgehen bedeutete das: Gestorben wird immer. Die Reihenfolge spielt dabei keine Rolle.

Obwohl «Chernobyl Diaries» nicht am Original-Schauplatz gedreht wurde (für einen Filmdreh dürfte die Strahlung vor Ort dann doch zu gefährlich sein), kreieren die Settings eine ansprechende Atmosphäre. Der heruntergekommene Rummelplatz, der niemals eröffnet wurde. Die leer stehenden Betonbauten mit zurückgebliebenen Habseligkeiten der ehemaligen Bewohner. Das verschmutzte Ortseingangsschild. Die Bildsprache ist ein dicker Pluspunkt im Werk von Regisseur Bradley Parker. Das Gefühl der Einsamkeit und die unheimliche Ausstrahlung der Geisterstadt verschaffen ein mulmiges Gefühl. Das funktioniert erstaunlich gut, bis die eh schon recht dünnhäutige Geschichte durch die Hinzunahme üblicher Effekthaschereien zu bröckeln beginnt. Einige Schockmomente gelingen, andere dagegen sind stark abgenutzt: Ein Auto, das nicht anspringt. Ein Walkie-Talkie, über das niemand erreichbar ist. Dunkle Wälder und seltsame Geräusche. Wäre die schaurige Location nicht, befänden wir uns in einem soliden, aber nur zu gut bekannten Horrorfilm.

Wie so oft ist das vorherrschende Stilmittel eine wackelige Kamera, die der Gruppe auf Schritt und Tritt folgt. Einen wirklichen Mehrwert kann diese Wahl allerdings nicht verbuchen. Für diejenigen, die noch nie Gefallen an einer stets unruhigen Kameraführung fanden, wird das Gezeigte auch hier zu einer knapp anderthalbstündigen Geduldsprobe. Nach einiger Zeit lässt dann auch das Gänsehaut-Feeling nach. Während die Touristen immer weiter dezimiert werden, häufen sich mysteriöse Vorkommnisse. So wird das große Geheimnis rund um die Stadt Pripyat gen Ende eigentlich gelüftet. Jedoch scheint den Filmemachern im Finale die Puste auszugehen. Wurde die Spannung über lange Zeit mit den verlassenen Straßen und Gebäuden hoch gehalten, poltert der Schlussakt plötzlich in aller Hektik über den Zuschauer herein. Ein Twist, der keine Erklärungen liefert, sondern nur weitere Fragen aufwirft. Hier wäre es klüger gewesen, den bis dahin grundsoliden Horror an anderer Stelle zu beenden. So aber bleibt der Eindruck eines unausgegorenen Drehbuchs, in das Schreiber und Produzent Peli am Ende noch hastig einige Ideen unterbringen wollte.

Mit der Entscheidung, auf Basis einer derartigen Katastrophe einen genretypischen Schocker zu inszenieren, wird sich Peli sicherlich nicht nur Freunde machen. Potenzial hat das Grundgerüst aber in jedem Fall und funktioniert anfangs auch überraschend gut. Dafür sorgt neben wohl dosierten Schreckmomenten vor allem das gelungene Setting. Vom Phänomen der «Paranormal Activity»-Reihe ist die Arbeit von Bradley Parker allerdings weit entfernt.

«Chernobyl Diaries» startet am 21. Juni in den deutschen Kinos.

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