Kino

Das Duell der Schneewittchen-Verfilmungen

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Mit «Spieglein Spieglein» und «Snow White and the Huntsman» setzte Hollywood dieses Jahr gleich zweifach auf den Märchenklassiker. Weshalb kommt es zu solchen Dopplungen und welcher Film ist der bessere?

Fast schon mit einer hübschen Regelmäßigkeit kommen innerhalb kurzer Zeit zwei Filme aus Hollywood, denen ein frappierend ähnliches Konzept zu Grunde liegt, welche dieses allerdings auf recht unterschiedliche Weise anpacken. Um nur zwei Beispiele zu nennen: 1998 ließ die Traumfabrik mit «Armageddon» und «Deep Impact» gleich zwei Mal einen Weltuntergang durch Meteoriteneinschlag drohen, während 2010 sowohl «Ich – Einfach unverbesserlich» als auch «Megamind» vom Treiben eines Superschurken erzählten. Auch dieses Jahr traten zwei konkurrierende Kinofilme an: «Spieglein Spieglein» interpretierte im Frühjahr das Märchen von Schneewittchen als bunte Komödie neu, während «Snow White and the Huntsman» pünktlich zur Blockbuster-Saison einen auf düsteres Fantasy-Epos macht.

Beinahe wäre es sogar zu einem Dreikampf gekommen: Bereits seit 2007 schiebt Disney seine eigene Realfilm-Neuinterpretation des Märchenstoffes vor sich her. Unter dem Titel «Order of the Seven» war diese als Martial-Arts-Film angedacht, die in Asien spielt und die britische Prinzessin Schneewittchen vor der bösen Königin in ein Mönchskloster fliehen lässt, das von in Kampfkunst erprobten Herrschaften geführt wird. Zwischenzeitlich sollte der «Kill Bill»-Kampfchoreograph Woo-ping Yuen Regie führen, basierend auf einem Drehbuch von Pulitzer-Preisträger und «Spider-Man 2»-Autor Michael Chabon. Zahllose Verschiebungen später sah das Studio dieses Jahr endlich einen Produktionsbeginn vor, mit Saoirse Ronan in der Hauptrolle, Effektkünstler Michael Gracey auf dem Regieposten und dem «Iron Man»-Schreiber-Duo Mark Fergus & Hawk Ostby als Autoren. Aufgrund nicht näher bezifferter Unstimmigkeiten bezüglich des Budgets wurden die Produktionsvorbereitungen allerdings Ende Mai abrupt beendet.

Somit bleibt der Schneewittchen-Wettkampf ein Zweierduell. Häufig mutmaßen Kinogänger in solchen Fällen, dass bei duellierenden Filmideen einer der Kontrahenten ein im Fahrwasser des anderen Projekts entstandener Nutznießer sein muss. Doch nur selten lassen sich relevante Indizien für diese Spekulationen finden, meistens sind es tatsächlich bloß Zufälle. Die 2011 veröffentlichen Komödien über junge Erwachsene, die ihre Freundschaft gegen eine Sexbeziehung eintauschen, entstanden beispielsweise völlig unabhängig voneinander. Die Regisseure von «Freundschaft plus» und «Freunde mit gewissen Vorzügen» sahen dies einigen Presseinterviews zufolge eher locker und fürchteten nur, des Ideendiebstahls bezichtigt zu werden, während die hinter den Filmen stehenden Studios lange mit rechtlichen Schritten gegen das Konkurrenzprodukt drohten. Manchmal zieht auch allein das Kinopublikum Parallelen, etwa zwischen Christopher Nolans mehrbödigen Thriller «Prestige» und den im selben Jahr veröffentlichten «The Illusionist». Beide Filme handeln von Illusionisten im viktorianischen Zeitalter, aber sonst haben sie nichts weiteres gemein, weder inhaltlich, noch atmosphärisch. Beide Werke sind zudem Adaptionen recht unbekannter literarischer Vorlagen, die unbeeinflusst voneinander entstanden.

Auch beide Schneewittchen-Filme wurden nicht am Reißbrett als direkte Konkurrenz entworfen. Die ersten Ankündigungen, inklusive Starttermin und den involvierten Talenten, erfolgten viel zu eng beieinander, als dass der Nachzögling eine Schnellschussreaktion auf das Mitbewerberstudio sein konnte. Außerdem ist es im Normalfall unüblich, dass große Studios ähnliche Filme direkt miteinander konkurrieren lassen, da dieser Wettbewerb geringere Kinoeinnahmen bedeuten könnte. Sobald aber die Verträge stehen, gibt es keinen einfachen Weg zurück. Dass gleich zwei Studios einer Schneewittchen-Adaption grünes Licht gaben, ist aller Wahrscheinlichkeit ein bloßes Ergebnis der Marktforschung. In Hollywood werden seit Jahren viele Märchenstoffe entwickelt, nach dem Milliardenerfolg von «Alice im Wunderland» erwiesen sich solche Neuerzählungen zudem als kommerziell erfolgreich – und schon kann es passieren, dass ein so populäres Märchen wie das von Schneewittchen auf der Produktionsliste landet.

Insofern ist es keine Überraschung, dass «Alice im Wunderland»-Produzent Joe Roth auch hinter «Snow White and the Huntsman» die Fäden zog. Zwar fehlt letzterem Film Burtons Sinn fürs Skurrile und das kunterbunt-verstörende Produktionsdesign des Oscar-Preisträgers Robert Stromberg, jedoch sehen sich beide Produktionen als dunklere, nicht aber ins Horrorgenre abdriftende Modernisierungen mit starken weiblichen Frauen. Beide Werke packen Schlachten in den Handlungsverlauf, die nicht in den Vorlagen vorkommen, und verpassen der Titelheldin eine Ritterrüstung. Mit einer lautstarken, verschrobenen und trotzdem bedrohlichen Königin und den aufwändigen Kostümen der viel gefeierten Schneiderin Colleen Atwood rundet sich das Bild ab. War «Alice im Wunderland» der Romanklassiker gefiltert durch die Augen von Tim Burton und «Die Chroniken von Narnia», wurde für «Snow White and the Huntsman» das Märchen durch die Rezeption von «Alice im Wunderland» und der Sehnsucht nach einem neuen «Der Herr der Ringe»-Fantasyepos gefiltert.

Tarsem Singhs «Spieglein Spieglein» indes ist das familienfreundlichere, leichtherzigere Projekt, selbst wenn Produzent Brett Ratner einige Monate vor Veröffentlichung noch eine kantige, wagemutige Neuerzählung ankündigte. Für eine Märchen-Familienkomödie sind die sexuellen Anspielungen dieser Farce womöglich etwas gewagt, schlussendlich wirkt Singhs aber wie eine real gewordene Trickkomödie – mit ihren Zoten und Anachronismen eher aus dem Hause DreamWorks, denn aus den Disney-Studios. Welcher der beiden Filme besser ist, ist angesichts ihrer gänzlich verschiedenen Ansätze, doch den vergleichbaren erzählerischen Durchhänger, hauptsächlich Geschmacksfrage. «Spieglein Spieglein» ist ein durchschnittliches Stück Familienkino für unaufregende Nachmittage, während «Snow White and the Huntsman» als jugendorientiertes Blockbuster-Füllmaterial antritt, das ein paar Monate vor «Der Hobbit» die Fantasyepos-Dürreperiode beendet. Mit der größeren und spendableren Zielgruppe wird sich «Snow White and the Huntsman» kommerziell in nur wenigen Tagen weltweit bereits vor der bunteren Konkurrenz platzieren, im Gegensatz zu anderen Duellfilmen hat allerdings keine der beiden Produktionen das Zeug zum Klassiker.

Aus früheren Duellen gingen immerhin Blockbuster-Dauerbrenner wie «Armageddon» und Filmhaber-Favoriten wie «Prestige» hervor, «Ich – Einfach unverbesserlich» erhält sogar demnächst eine Fortsetzung. Aber der diesjährige Wettstreit duellierender Hollywood-Projekte scheint sich eher neben den Konkurrenzfilmen des vergangenen Jahres einzureihen: Wie «Freundschaft plus» und «Freunde mit gewissen Vorzügen» erhielten beide Schneewittchen-Filme durchwachsene Kritiken und machten Gewinn, euphorische Zuschauerreaktionen blieben dagegen aus.

Möglicherweise geht aus den kommenden Jahren wieder ein klarer Gewinner aus solch einer Konstellation hervor. Mit Sam Raimis Prequel-Epos «Oz: The Great and Powerful», Drew Barrymores Weitererzählung «Surrender Dorothy» und einer «Wicked»-Fernsehserie stehen mehrere lose Neuinterpretationen des Klassikers «Der Zauberer von Oz» an. Und dann können die Debatten von neuem beginnen.

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