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Davon brauchen wir mehr!

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Quotenmeter am Samstag: Das Wochenendmagazin. Erinnerungen an ein weltweit einmaliges Fernsehprojekt, das dringend ausgebaut werden muss. Plus: Das Auf und Ab der Sommershows.



Davon brauchen wir mehr!

Ziemlich auf den Tag genau vor fünf Jahren feierte ein weltweit bisher einmaliges Fernsehprojekt seine Premiere. Am Abend des 18. Juli 2006 begrüßte der bisher vor allem als Schlagersänger bekannt gewordene Guildo Horn die ersten Gäste seiner neuen Talkshow «Guildo und seine Gäste». Das Besondere dabei war, dass alle seine Gesprächspartner eine geistige Behinderung hatten. Es ging in der Sendung aber eben nicht darum, deren Einschränkungen und Schicksale zu erläutern und dadurch Mitleid bei den Zuschauern zu erzeugen, sondern sie vielmehr als gleichrangige Mitglieder der Gesellschaft und des öffentlichen Lebens darzustellen. Ziel war es also keine Sendung über, sondern mit Menschen mit Behinderung zu machen.

Daher versuchte die Show einen Wochenrückblick auf die Themen, welche die Menschen bewegen, anzubieten. Die zwei bis drei Gäste kommentierten die Ereignisse der vergangenen sieben Tage, wie man es auch aus vergleichbaren Shows ohne Menschen mit Behinderung kannte. Die Palette der besprochenen Themen wurde daher nicht nur auf Aspekte von Behinderungen reduziert, sondern auf Sport, Politik, Promis und Boulevard-Themen erweitert. Was immer Deutschland bewegte, wurde thematisiert. So drehten sich die Diskussionen um die gerade frisch beendete Fußball-WM und die Frage, ob Jürgen Klinsmann weiter Trainer bleiben solle, ob eine Frau ein besserer Kanzler ist oder ob die Exfrau von Paul McCartney ein geldgieriges Monster ist.

Dieser selbstverständliche Umgang mit Menschen mit Behinderungen, wie er eigentlich normal sein sollte, hatte dabei mehrere positive Effekte. Zum einen wurden Menschen mit geistigen Behinderungen, von denen es immerhin rund 450.000 in Deutschland gibt, aus der medialen Verborgenheit in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt. Dabei konnten sie sich als Menschen präsentieren und zeigen, dass auch sie abseits ihrer Behinderungen ähnliche Gedanken haben wie Menschen ohne Behinderungen und dass für sie die gleichen Themen relevant sind – dass ihr Leben nicht nur von der Behinderung bestimmt wird. Sie schafften es zudem die bereits mehrfach in den Medien geführten Diskussionen um neue Sichtweisen zu erweitern, die bisher vernachlässigt wurden. Wo wurde vorher schon einmal darüber gesprochen, wie die Fußball-WM auf Menschen mit Autismus wirkt? Wann durfte sich ein Mensch mit Down-Syndrom vorher öffentlich zum Thema Schönheitsoperationen äußern? Ihre Beiträge ließen diese Themen schnell in einem anderen Licht erscheinen.

Entsprechend positiv waren auch die Reaktionen von Kritikern. Das Format wurde zwei Mal für den Grimme-Preis nominiert und erhielt den Medienpreis "Bobby" der Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung. „Guildo Horn begegnet seinen Gästen in seiner typisch lockeren Art, aber immer auch mit dem notwendigen Respekt. Er schafft damit eine Atmosphäre, in der behinderte Menschen aus ihrem Leben plaudern, ohne vorgeführt zu werden. Die Zuschauer können so ganz authentisch einen Einblick in die Gedankenwelt geistig behinderter Menschen erhalten", hieß es in der Begründung.

Auch die Presse überschlug sich mit Lob und rühmte vor allem Moderator Guildo Horn für sein Engagement. Schließlich galt er durch seine skurrilen Auftritte beim «Eurovision Song Contest» eher als Spaßmacher und nicht als ambitionierter Aktivist, der sich für Integration stark macht. Tatsächlich aber begleitete ihn dieses Thema schon viel länger. Nicht nur, dass Horn ausgebildeter Musiktherapeut und studierter Sozialpädagoge ist, er hat auch vor seiner Musikkarriere in entsprechenden Einrichtungen gearbeitet. Zudem trat er regelmäßig mit seiner ausdrücklichen Lieblingsband „Tabuwta“ auf, deren Mitglieder geistig behindert sind. Zudem war er bereits Schirmherr der Weltmeisterschaft der Menschen mit Behinderung. Seine Talkshow war daher ein konsequenter Schritt. Mittlerweile erschien dazu seine Autobiografie „Doppel-ICH- Die andere Seite des Horst Köhler“, in der er ebenfalls über seine Erfahrung mit Menschen mit geistigen Behinderungen spricht.

Immer wieder wurde damals vom Sender SWR, der Produktionsfirma und anderen Brancheninsidern betont, wie wichtig es wäre, die Integration von Menschen mit Behinderungen voranzutreiben und welche Bereicherung dies auch für die Menschen ohne Behinderungen darstellt. Doch wenn es offenbar einen breiten Konsens unter Kritikern und Fernsehmachern gibt, wieso gibt es die Sendung heute nicht mehr? Obwohl auch die Zuschauerzahlen um kurz nach 23.00 Uhr für das SWR Fernsehen gut waren, endete die Produktion bereits nach zwei kurzen Staffeln und einigen Specials. Auch Nochfolgeformate auf dem gleichen oder anderen Kanälen blieben aus

So positiv das Format auch auffiel, zeigte es jedoch gleichzeitig auch die Schieflage in unserer Gesellschaft. Um Menschen mit Behinderungen überhaupt ins Fernsehen lassen zu können, muss ihnen eine eigene Sendung – eine eigene Insel – geschaffen werden. Wieso können Menschen mit Behinderungen noch immer nicht auch in gewöhnlichen Talkshows zusammen mit Menschen ohne Behinderungen sitzen? Ihnen eine eigene Sendung zu geben, hat nichts mit echter Integration zu tun, sondern eher mit einer Duldung. Auch der Sendeplatz am Dienstagabend um 23.00 Uhr im Regionalfernsehen bewies, dass dieses Thema noch immer nur für eine Ausstrahlung in der Programmperipherie geeignet gehalten wird, wo es so wenig Zuschauer wie möglich stören kann. So lobenswert das Projekt «Guildo und seine Gäste» auch war, so war es nur ein erster, winziger Schritt auf dem langen Weg zu einer vollständigen Integration. Ein Weg, der noch immer viel zu langsam beschritten wird.

Mehr zu diesem Thema:
Der blinde Fleck im Fernsehen - Worüber kaum gesprochen wird

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