5 Köpfe

Verkommt Radio zum Nebenbeimedium?

von
Deutschlands erfolgreichster Radiosender ist Antenne Bayern: Dort gibt es kaum journalistische Inhalte, sondern 30 Minuten Musik am Stück. Fünf Redakteure diskutieren die Entwicklung und den Stellenwert des Mediums Radio.

Manuel Weis, Quotenmeter.de-Chefredakteur


Ohne Frage – das Radio ist nicht mehr das größte Unterhaltungsmedium. Fernsehen und Internet haben ihm den Rang abgelaufen. Dennoch: Einige Radiomacher unterschätzen wohl den Stellenwert des täglichen Begleiters. Auf dem Weg zur Arbeit, am Computer oder im Laden – und natürlich im Feierabendstau: Das Radio ist dabei. Bedauerlich ist aber der Trend, den einige Macher gehen und damit auch noch mit Erfolg gekrönt werden. Dämliche Fake-Aktionen sind bei vielen privaten Stationen das Einzige, was sich zwischen einer halben Stunde Musik nonstop, Werbung und kurzen Nachrichten mischt. Deshalb sind private Stationen eigentlich nicht mehr hörbar und dienen (weil sie es selbst so wollen) wirklich nur noch als Nebenbeimedium. Gott sei Dank gibt es aber noch die öffentlich-rechtlichen Funker, die Wert legen auf journalistische Beiträge und wenigstens noch versuchen Themen zu setzen. Aber auch hier ist ein gefährlicher Trend festzustellen: Mancher öffentlich-rechtlicher Kanal betet seinen Claim genauso inflationär herunter wie einige private Stationen. Es wäre schade, würde das Niveau des Radioprogramms noch weiter sinken.

Jan Schlüter, Quotenmeter.de-Redakteur


Nur wenige Dinge sind in der Medienwelt so schwer wie gutes Radio zu machen. Einerseits erwarten die bisherigen Zuhörer der jeweiligen Sender ihr gewohntes Programm mit den bekannten Hits, andererseits muss man sich um neue Zuhörer bemühen und daher auch Veränderungen ausprobieren. Insgesamt ist aber bei der kürzlich veröffentlichten Media-Analyse des vergangenen Halbjahres ersichtlich, dass fast alle Radiosender ohnehin Zuschauer gewonnen haben. Dennoch ist Radio weiterhin größtenteils nicht mehr als das berüchtigte Nebenbei-Medium, das während der Arbeit läuft, beim Autofahren angeschaltet wird oder bei sonstigen Aktivitäten der Ablenkung dient – verändert oder verbessert haben die Sender ihr Programm nämlich meist nicht. Journalistische Qualität findet der Zuhörer fast nirgends und will sie auch oft gar nicht. Dass die Konsumenten meist nur die immergleichen debilen, der Kaufhaus-Fahrstuhlmusik ähnlichen Pop-Hits der letzten Jahrzehnte, gemixt mit einigen massenkompatiblen Songs der Top 100, hören wollen, zeigen u.a. die großen Zugewinne des privaten Senderverbundes Radio NRW. Positiv ist hingegen die Entwicklung bei vielen öffentlich-rechtlichen Sendern wie beispielsweise WDR 2, die mit einem zuletzt hervorragenden Programmen, höchst interessanten Thementagen und einer wenigstens ernstzunehmenden journalistischen Qualität sehr viele Zuschauer gewinnen und mehr sein können als nur die Dauerberieselungsmaschine Radio – man muss nur genau hinhören.

Marco Croner, Quotenmeter.de-Redakteur:


Phonograph, Mikrofon, Telegrafie, Röhrensender – Edison, Bell, Reis, Marconi. Seit das oberste Patentgericht der Vereinigten Staaten im Jahre 1943 ein Machtwort sprach und Nikola Tesla zum Erfinder des Radios ernannte, ist die zum Business avancierte Angelegenheit Zeuge diverser Veränderungen geworden. Nun stellt sich die Frage, ob der Hörfunk an Essenz verloren hat, sich womöglich gar zu einer berechtigten Randerscheinung entwickelt hat. In meinen Augen trifft dies ohne Zweifel zu: Sähe ich mich gezwungen die Thematik über ein Wort zu definieren, so wäre es “erseztbar”. Zwei Stimmen, die mich morgens mit mehr oder minder fundierter Konversation ins Wachkoma versetzen, während mein Unterbewusstsein auf die Wettervorhersage wartet. Wagt man sich tatsächlich daran, mehrere Sender zu Lieblingen zu küren, so ist nur allzu bald von einer Dauerschleife die Rede. Drei Songs, Tag für Tag. Eines aus den 90ern, eines aus dem neuen Millennium sowie Lady Gagas neue Single. Bayern 3 – schmeckt dreimal gut. Neben wenigen Sendungen, die einen gewissen Grad an Unterhaltungswert aufweisen, weichen die meisten Interviews oder Gespräche mit Potential bereits nach Sekunden der obligatorischen Werbung. Eine Daseinsberechtigung besitzt das Radio dessenungeachtet selbstverständlich auch weiterhin; schon allein die Rentabilität fordert eine Zukunft, gewissermaßen der umstrittene «DSDS»-Effekt. Zudem sind keineswegs alle Inhalte ohne Tiefsinn. Ernstzunehmende journalistische Wertbeständigkeiten sucht man meist dennoch vergeblich. Austauschbar. Eine Tatsache, die zu betrauern ist.

Torben Gebhardt, Quotenmeter.de-Redakteur


Die Zukunft des Radios sieht, je nachdem, welche Quelle man heranzieht, sehr düster oder sehr rosig aus. Klar ist aber auf jeden Fall, dass das klassische Abspielen von ein und derselben Playlist über den gesamten Tag und die gesamte Woche hinweg kein Modell mehr ist, um die Hörerzahlen zu steigern. Mit Hilfe der Vernetzung mit anderen digitalen Medien, der Interaktivität mit ihren Hörern und Nutzern kann es aber gelingen, einen wirklichen Mehrwert zu schaffen. Sowohl bei Alt als auch bei Jung steht die Information über regionale und überregionale Nachrichten und Events an einer hochrangigen Stelle. Wichtig ist es einfach, seinen HörerInnen Abwechslung zu bieten. Und das nicht nur in Bezug auf die täglich abgespielte Musik. Aber genau hier ist einfach mehr Mut vonnöten, den noch jungen und unentdeckten Künstlern eine Plattform zu bieten. MySpace & Co. haben es ja vorgemacht, was mit der richtigen Community im Rücken alles möglich ist. Und nicht zuletzt die Spezialisierung einiger Sender hat ja gezeigt, dass es durchaus den bedarf an Mehr-Information und ähnlichen Schwerpunkten gibt. Denn nur das Radio bietet neben dem Internet noch die Möglichkeit, schnell und informativ „vor Ort“ zu sein – ganz ohne große Infrastruktur und Personal.

Und als „alter“ Fußballfan sei noch auf die Konferenzschaltung am Wochenende im Radio hingewiesen. Wer diese schon einmal angehört hat, der weiß auch für die Zukunft, dass dieses Medium so schnell nicht totzukriegen ist.

Sidney Schering, Kolumnist und Filmkritiker:


Ob das Radio zum „Nebenhermedium“ geworden ist, steht für mich gar nicht zur Debatte. Keine Familie versammelt sich abends noch gemeinsam vor dem Radio. Wenn es in einer Familie weiterhin ein mediales Lagerfeuer gibt, so ist dies der Fernseher. Schon vor vielen Jahren wurde das Radio zum Begleiter durch den Alltag. Und das soll das Radio keinesfalls abwerten. Leute kaufen sich Fernsehprogrammzeitschriften, um zu wissen, was wann läuft. Für manche, wenige Sendungen schaufelt man sich sogar Zeit im Terminkalender. Radio dagegen hört man, wenn man gerade Zeit dazu hat und Lust auf eine Geräuschkulisse hat. Es versüßt die Büroarbeit, erleichtert Schülern die Hausaufgaben und vor allem entlässt es Leute beschwingt in den Berufsverkehr. Dass ein Medium seine neue Stellung und Aufgabe erhält, ist sogar ein Gesetz der Medienwissenschaft. Man nennt es das Rieplsches Gesetz: Ein Medium, welches sich einmal die Gesellschaft durchdringte, kann nicht vollkommen ersetzt werden. Stattdessen sucht es sich eine neue Nische, wo es weiterlebt. Und das Radio blüht als Nebenhermedium mit seiner Mischung aus Musik, Information und Comedy richtig auf. Dies hat natürlich auch Auswirkungen auf den Radiojournalismus. Verständlichkeit ist Grundvoraussetzung. Aktualität und ein vielfältiger Strauß an Themen sind erwünscht. Radiojournalismus liefert die Grundversorgung an tagesaktuellem Geschehen und überrascht mit Themen, die man in der Tageszeitung übersieht, die dem Fernsehen nicht visuell genug sind und nach denen man im Internet nicht sucht. Genau deswegen ist das Radio genauso unverzichtbar wie alle anderen Medien.


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