Hingeschaut

«Love Diary»: Unerträgliche Klischees im Minutentakt

von
Christian Richter sah die neuen ProSieben-Sendung um "Geschichten, die die Liebe schreibt".

Es war zu befürchten. Nachdem die gestellten Dokus bei RTL trotz der miserablen Qualität hervorragende Marktanteile erreichten, konnte es nicht lang dauern bis die obligatorischen Nachahmer in Scharen über die wehrlosen Zuschauer herfallen würden. Am Montag gesellte sich mit «Love Diary» ein weiterer Vertreter dieser Gattung zu den bisherigen Sendungen «Verdachtsfälle» und «Familien im Brennpunkt» hinzu. Diesmal aus dem Hause Endemol, aber auch kaum einen Deut besser als die Vorgänger. Der Untertitel der neuen scripted Reality lautet «Geschichten, die die Liebe schreibt» und charakterisiert deren Inhalt hinreichend genau. Der Zuschauer bekam einen miserablen Groschenroman auf 60 Minuten reduziert serviert, der kaum ein Vorurteil ausließ.

Die Geschichte handelte von Verena, die in wenigen Wochen den Marketingmanager Tristan von Goldberg heiraten wollte. Durch einen Zufall traf sie jedoch ihre alte Jugendliebe, den Landwirt Paul, wieder, über den sie noch nicht hinweg war. So bahnte sich bereits nach drei Minuten Sendezeit der große Konflikt der Folge an. Mit wem möchte sie künftig das Leben verbringen?

Doch schauen wir uns diesen Konflikt doch mal genau an. Auf der einen Seite umgarnte sie der hübsche, liebevolle Landwirt, der Tiere mochte und sie mit Blumen, romantischen Briefen und sogar einem süßen Hund überraschte. Ihm gegenüber stand der unsympathische, karrieregeile Tristan, der bei der bevorstehenden Hochzeit seine Kollegen nur einladen wollte, weil es besser für die Firma wäre, Hunde hasste und seine Verlobte als verwahrlost beschimpfte, weil sie es wagte eine Jeans zu tragen. Da würde wahrscheinlich jedem die Wahl schwer fallen.

Was ProSieben dem Zuschauer am Montagnachmittag präsentierte, konnte quasi als das Lexikon der Klischees angesehen werden. Die Episode war das Abziehbild der schlechten Kopie einer Soap-Imitation. Im Minutentakt jagten die Autoren platte Stereotypen und ausgelutschte Sätze über den Bildschirm, die sie in allen romantischen Filmen, Serien und Shows der vergangenen 50 Jahre gefunden zu haben schienen. Von «Sweet Home Alabama» bis «Bauer sucht Frau». Alles musste offensichtlich raus. Hier nur ein paar Beispiele:

„Es ist viel passiert und wir sind keine Teenager mehr.“
„Wenn ich jetzt nicht fahre, kann ich für nichts mehr garantieren.“
„Ich bin zwischen den Welten, weiß nicht wo ich stehe.“
„Mehr kann eine Frau nicht erreichen.“
„Ich habe es doch nur für Dich getan.“
„Das sagt Dein Verstand, aber nicht Dein Herz.“


Im Nachmittagsprogramm erwartet man mittlerweile keine hochwertigen Produktionen mehr und ist schier geschockt, wenn ein Laiendarsteller aus Versehen halbwegs glaubwürdig erscheint. Dieses Bild konnte auch «Love Diary» nicht zerstören, sondern zementierte es sogar noch. Sieht man von der Darstellerin der Verena mal ab, die ihre Rolle halbwegs solide meisterte, bereitete das Beobachten der Schauspielversuche der restlichen Mimen fast körperliche Schmerzen. Sämtliche Figuren hatten keine Tiefe und traten nur in ihren verminderten Funktionen auf. Die völlig unnötigen Kommentare der Off-Stimme verrieten unentwegt, was als nächstes gesehen würde und raubten der Geschichten den letzten Rest an Spannung. Die an den unpassendsten Stellen eingespielten BRAVO-Hits vernichteten den letzten Funken an Erträglichkeit.

Bei der Betrachtung von «Love Diary» graute es einem schon jetzt vor den weiteren Formaten dieser Art, die ProSieben in den kommenden Wochen testen möchte und von denen bis zu zwei Sendungen dauerhaft produziert werden könnten. Wie schön waren doch angesichts dieser Zukunft die Zeiten, als am Nachmittag noch alte Serien wiederholt wurden. Vielleicht war früher doch alles besser?

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