Interview

Peter Hohl: 'Wir waren 2 unterschiedliche Typen, die ein neues Strickmuster kreierten'

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Von 1967 bis 1979 war Peter Hohl der Assistent von Eduard Zimmermann. Als Hinweis-Präsentator, Koordinator und Drehbuchautor trug er dazu bei, «Aktenzeichen XY» zu etablieren. Im Gespräch mit Mario Thunert blickt er auf die damalige Zeit zurück.

Herr Hohl, bevor Sie 1967 mit Eduard Zimmermann für «Aktenzeichen XY» zusammenkamen, waren Sie Radiojournalist. Wie ist überhaupt diese Berufswahl entstanden?
Meine Mutter war der Meinung, ich solle mir Albert Schweitzer als Vorbild nehmen, also Theologie studieren - ich war dagegen. Mir schwebte als Vorbild mehr Max Frisch oder Friedrich Dürrenmatt vor. Ich begann Theaterstücke zu schreiben, mit denen ich einen Wettbewerb unter Karlsruher Schulen gewann. Also dramaturgisches Schreiben hat bei mir schon sehr früh angefangen.

Wenn ich kurz einhaken darf: Wie sind Sie zu derartiger Literatur gekommen?
Das ging von meiner Deutschlehrerin aus, die es verstanden hat, die ganze Klasse zu begeistern. Ich habe daraufhin am Gymnasium eine Theatergruppe gegründet und meine Zukunft am Theater gesehen, was sich nicht vertragen hat mit den Vorstellungen meiner Mutter. Wir haben uns dann auf den Kompromiss geeinigt, dass ich Deutschlehrer werde. Insofern habe ich begonnen, Germanistik und Geschichte in Heidelberg zu studieren, wo ich aber keinen Abschluss gemacht habe. Nebenbei absolvierte ich die Schauspielschule.

Wo Sie es sagen - so ein bisschen merkt man es Ihren Auftritten bei «XY» an.
Ja, ich denke auch, dass sich diese Ausbildung dann ausgewirkt hat. Man lernt bei einer Schauspielausbildung, das, was man sagt, auch zu fühlen. Dadurch kommt es intensiver rüber, als wenn man einfach nur einen Text absondert.

Um wieder auf den Berufseinstieg zu kommen: Ich bin durch einen Zufall zur „Rhein-Neckar-Zeitung“ gekommen. Da habe ich ein verkürztes Volontariat zum Redakteur gemacht. Anschließend bin ich durch ein Casting zum Südwestfunk nach Baden-Baden gekommen.

Ach, Castings – so etwas gab es damals schon…
Ja, da waren elf Kollegen und ich wurde ausgewählt. Ich hatte dann das Glück, die Radiosendung «Heute Mittag» im jungen Alter von 24 zu leiten. Wie ich dazu gekommen bin, weiß ich bis heute nicht genau 😉

In diesem Kontext trafen Sie dann auf Eduard Zimmermann?
Genau. Bei einer weiteren Magazinsendung musste ich zu Wirtschaftskriminalität recherchieren, wovon ich überhaupt keine Ahnung hatte. Ein Kollege sagte mir: 'Da gibt es so einen Zimmermann, der macht im Fernsehen eine Sendung über Betrugsmaschen'. Also nahm ich Kontakt auf zu diesem Herrn Zimmermann (schmunzelt<). Ich schlug ihm dann vor, 1½ -minütige Radiobeiträge zu machen, in denen wir Betrugsfälle aus «Vorsicht Falle» (Zimmermanns 1. ZDF-Sendung) zu Hörfunkspots aufbereiteten. So war unser erster Kontakt – das heißt, ich war der Redakteur und Eduard Zimmermann mein freier Mitarbeiter (lacht)/i>.

Daran erinnerte er sich, als er dann einen Assistenten für «XY» suchte?
Ich führte ja Regie bei diesen Radiospots, wo ich auch Einfluss auf Formulierungen nahm. Er dachte sich wohl, dass ich das gut mache. 1967 ist er dann direkt auf mich zurückgekommen und sagte: 'Ich arbeite an einer neuen Sendung mit 10 Ausgaben pro Jahr, die ich alleine nicht mehr schaffe'. Schließlich fragte er mich, ob ich denn Lust hätte, Fernsehen zu machen. Nach Besprechung mit meiner Frau war klar, ich mache das. Kurz darauf zogen wir mit unseren drei Kindern um.

Das war dann für Sie aber auch Neuland, vor der Kamera zu stehen.
So ist das. Wobei dieser Auftritt in den «XY»-Sendungen ein kleiner Nebenjob war. Meine Hauptbeschäftigung war, mit den Kripobeamten die Fallakte durchzugehen, um daraus ein Drehbuch zu schreiben. Dabei ging es immer darum, dass Dramaturgie nur möglich ist, durch weglassen. Auch um eine spezielle Betrachtung der Opfer hervorzurufen.

Haben Sie die Drehbücher gemeinsam mit Eduard Zimmermann geschrieben?
Die ersten drei Drehbücher hat Zimmermann noch ganz alleine geschrieben. Danach habe ich die Drehbücher verfasst. Wir haben sie dann aber zusammen in die letzte Form gebracht. Das war nicht immer lustig, weil man darauf achten musste, dass die Leute nicht alle so reden, wie Eduard Zimmermann geredet hätte (lacht).

Hatten Sie vorher eine Affinität zu Krimistoffen, die sie bei «XY» vertiefen konnten?
Nein, im Vorfeld überhaupt nicht. Das kam aber ganz schnell in der Beschäftigung während «XY». Dramaturgie ist immer ähnlich aufgebaut: Zu einem Zeitpunkt, wo noch niemand Schlüsse daraus ziehen kann, werden schon die wesentlichsten Informationen vermittelt. So, dass die Zuschauer später, wenn es spannend wird, die Infos bereits haben. Dazu kommt - was Hitchcock als Suspense bezeichnet - dass die Zuschauer mehr wissen, als der Handelnde im Stück. Wenn also jemand um eine Ecke geht, ergibt sich Spannung, indem der Zuschauer schon weiß, dass dahinter jemand mit dem Knüppel steht.

Diese dramaturgischen Prinzipien haben Sie versucht, auf «XY» zu übertragen.
Ja, auf jeden Fall.

In diesem Kontext sprachen Sie eben auch von einer speziellen Rolle der Opfer.
Wir versuchten die Zuschauer nicht nur zu unterhalten, sondern auch mit einem Appell zum Anrufen zu bewegen. Dazu brauchten sie ein Motiv. Die Aufgabe war also, die Opfer zu Nachbarn der Zuschauer zu machen. Die erstaunlichste Bestätigung dieses Prinzips war der Raubmord an Dr. Boll, wo der Vater des Täters bei uns anrief, weil sein Sohn ihm die gestohlene Uhr des Opfers schenkte. Das Opfer wurde von uns als netter Mensch inszeniert, damit sich die Zuschauer mit ihm identifizieren konnten. Das war mit voller Absicht herbeigeführt.

Zur Beziehung zwischen Ihnen und Zimmermann: War diese freundschaftlich geprägt, oder eher kollegial? Wie kann man das Klima zwischen Ihnen beschreiben?
Wir waren keine Freunde. Wir haben uns erst 2007 geduzt, als das Wiedersehen zum 40- Jährigen Jubiläum stattfand. Unsere Beziehung beruhte auf Ergänzung, was enorm fruchtbar, aber auch spannungsreich war.

Und Spannung setzt Distanz voraus...
Ja, natürlich! Um es auf einen einfachen Nenner zu bringen: Herr Zimmermann war zuständig für das Plakative, ich war zuständig für die Ziselierarbeit. Ihm war meine Sicht der Dinge oft zu kleinkariert. Da mussten wir uns eben zusammenraufen.

Wie war Zimmermann menschlich und charakterlich gesehen?
Man musste ihm schon das eine oder andere nachsehen. Ein bisschen erinnert mich der Elon Musk an Zimmermann (lacht). Der ja auch eine problematische Jugend hatte und das später ausglich, indem er die Leute verrückt machte. Wenn Zimmermann von Außen-Einsätzen zurückkam, berief er kurz vor Arbeitsende noch eine abendliche Redaktionskonferenz ein. Das verschaffte ihm dann eine gewisse Befriedigung - er zeigte sich gerne als Boss. Dafür hatte er viele andere Vorzüge. Er hat beispielsweise meine Kinder zum Geburtstag unglaublich großzügig beschenkt. Insgesamt war es schon so, dass man es zwölf Jahre mit ihm aushalten konnte.

Hat man sich manchmal zu Hause besucht oder gemeinsam gegessen/getrunken?
Nicht wir beide allein. Allerdings waren wir mit der Redaktion (DKF) viele Jahre im Untergeschoss seines Privathauses. Daneben ließ er in 300 Meter Entfernung zusätzlich ein Mehrfamilienhaus bauen, in dem ich mit meiner Familie eine Wohnung bezog. In der Zeit zwischen den Sendungen war also immer eine permanente Nähe, welche man nicht zusätzlich in Kneipen vertiefen musste. Anders war es während der Sendewochen, wo wir in München waren. Da wohnten wir zwar nicht im gleichen Hotel, gingen aber nach den Sendungen öfter mit den Kriminalkommissaren in Gasthäuser.

Nochmal zur Wohnsituation: Haben Sie sich in den Wohnungen besucht, oder nur in den Redaktionsräumen gesehen?
Nein, wir haben uns nicht in den Wohnungen besucht. In den Redaktionsräumen im Untergeschoss seines berühmten Hauses in Mainz Finthen gab es eine Treppe zu seiner Privatwohnung, die zusätzlich mit einer Glastür abgetrennt wurde. Wenn es dann Mittagessen gab, ging er durch die Tür und war weg. Ich hatte belegte Brote dabei, die ich unten aß.

Ihre Gespräche liefen auch eher auf der geschäftlichen Ebene, nehme ich an.
Ja, wir sprachen nicht über Sorgen oder Familienangelegenheiten. Es ist nicht so gewesen, dass zwischen uns ein persönliches Vertrauensverhältnis bestanden hat. Das war keine Chemie, die freundschaftlich verbindet, aber auch keine Feindschaft. Wir waren zwei unterschiedlich gestrickte Typen, die es aber geschafft haben, ein neues Strickmuster zu kreieren. Ihm hätten die Details gefehlt, mir die große Linie – das hat sich toll ergänzt.

Kommen wir doch zu ihrem Auftritt in der ersten «XY»-Ausgabe 1967. War das etwas, das vorher eingeplant war, oder haben Sie das spontan anhand der Hinweislage entschieden?
Nein, es war von Anfang an festgelegt, dass ich einen Zwischenbericht kurz vor Ende der Ausgabe gebe. Es konnte vorkommen, dass es nötig war, aufgelaufene Hinweise und Aktualisierungen mittendrin zu liefern. In diesem Fall wäre ich aber während eines Filmfalls zu Zimmermann rausgegangen, um ihn vorher zu informieren, dass ich danach kurz zu ihm komme.

Also Sie hätten das nicht unabgesprochen gemacht?
Nee! Man durfte Eduard Zimmermann während der Sendung nicht mit Spontanität kommen. Insgesamt war alles eng getaktet. Auch wenn ich meine Hinweis-Berichte frei vortrug, musste ich sie genau timen, um exakt vom Sender zu sein. Eine Herausforderung, die dann zur Routine wurde.

Waren Sie eigentlich aufgeregt vor der ersten Ausgabe mit einem so großen TV-Publikum?
Nein, ich hatte nur zu Anfang meiner Schauspielphase Lampenfieber. Später überhaupt nicht mehr.

Weil es ja schon einen Unterschied macht, lokal im Radio präsent zu sein und dann von einem Millionenpublikum gesehen zu werden. Man wird damit ja auch zu einer Person der Öffentlichkeit.
Ich habe meine Rolle nie so hoch eingeschätzt. Meine eigentliche Arbeit war die im Hintergrund. In diesem Sinne habe ich mich nicht als Star gesehen. Es kam dann aber manchmal vor, dass man mich beim Skifahren trotz Skibrille erkannte. Allerdings weniger am Gesicht, sondern mehr an der Stimme. Wegen der Vielzahl an «XY»-Sendungen merkte ich dann schon, dass ich eine gewisse Bekanntheit habe. Ab und an bekomme ich heute noch Autogrammwünsche per Mail.

Lassen Sie uns zum Schluss noch über Ihren Ausstieg bei XY sprechen. Warum haben sie 1979 nach zwölf Jahren entschieden, aufzuhören?
Eduard Zimmermann und ich hatten eine König- & Kronprinz-Situation. Von seiner Seite lag damals die Vision im Raum, dass er «XY» eine Weile macht und ich das irgendwann weitermache. Es war nicht vertraglich festgelegt, aber ein verbales Agreement, dass ich sein Nachfolger werde. Er wollte die Sendung ursprünglich machen, bis er 50 ist und sich anschließend in die Schweiz zurückziehen. Als er 1979 dann tatsächlich 50 wurde, hätte ich erwartet, dass er darauf zurückkommt. Also klar mit mir bespricht, ob er doch länger weitermachen will und wie er in Zukunft über die Übergabe denkt. Er hat es aber nicht angesprochen. Ich hatte auch nicht den Eindruck, dass er Lust hat, aufzuhören. Es entsprach andererseits nicht meinem Wesen, jemanden daran zu erinnern, dass er eigentlich aufhören wollte. Daraufhin kündigte ich. Nochmal 10 - 15 Jahre in der zweiten Reihe zu fungieren, entsprach nicht meiner Lebensperspektive. Ich ging jedoch nicht im Groll und war auch danach noch vereinzelt für «XY» tätig.

Peter Hohl moderierte danach die Sendung «Ermittler» im ZDF. Heute leitet Peter Hohl seinen eigenen Verlag und publiziert Sicherheitsliteratur sowie Aphorismen. Zudem gründete er die Security-Messe it-sa. Seine Freizeit verbringt er in einer Bananenfinca in Spanien.

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