Interview

‚Zu oft noch sind die eigene mentale Gesundheit, sowie Beruf und Familie mit der Arbeit schwer vereinbar‘

von

Anlässlich des zehnten Geburtstags und dem Kongress-Tag bei der Berlinale sprechen die Schauspielerinnen Paula Essam und Johanna Polley über die Entwicklung des Vereins Pro Quote Film.

In Deutschland wird nur jeder fünfte Kinofilm von einer Frau inszeniert. Warum ist das so?
Paula Essam:
Es ist ein strukturelles Problem. Wie in den meisten Branchen wird auch in der Filmbranche viel aufgrund von Vertrauen entschieden. Frauen wird traditionell weniger zugetraut und so haben Projekte, die von Frauen gemacht werden, es viel schwieriger umgesetzt zu werden. Das ist bei den Sendern in den Redaktionen so, aber auch bei den Förderinstitutionen. Diese vergeben dann zum Beispiel weniger Gelder an Filme von Frauen oder entscheiden sich gar nicht erst für sie, weil sie denken, dass deren Filme sowieso keine breite Masse ansprechen.

Johanna Polley: Sexismus und gläserne Decke sind nicht nur in der deutschen Filmbranche sichtbar, jedoch eignen sich die Machtstrukturen hier auch gut zur Durchsetzung von beiden. In der Kunst spielen Geschmack und Sympathien eine Rolle, der überholte Genieglaube gibt manchem lang etablierten konservativ Denkenden zusätzlich Aufwind. Wenn bei der Verteilung von Jobs, hohen Positionen, Geldern dann zu wenig auf gerechte Verteilung und internalisierte Voreingenommenheit geachtet wird, auch z.B. in Bezug auf Geschmack, kann die Ungleichheit entstehen, die wir heute haben. Diese zeigt sich natürlich nicht nur in Bezug auf Frauen, sondern auch auf Frauen und Diverse mit weiteren marginalisierten Merkmalen.

Wie wichtig ist Vitamin B in der Filmbranche?
Johanna Polley:
Sehr wichtig. Meinem Gefühl nach wird so viel danach entschieden und Jobs danach vergeben, wer wen kennt und wem vertraut, weil ein gutes Vertrauen an einem Filmset und im gesamten Entstehungsprozesses eines Films auch essenziell sind. Nur heißt das umgekehrt, dass es schwer ist, „reinzukommen“, wenn eine Person diese Kontakte beispielsweise nicht durch Familienbande, Bekannte und Freund*innen, die sozialen Voraussetzungen oder Zugehörigkeiten knüpfen konnte. Ich glaube, eine starke Position für Diversität und Inklusion beispielsweise im Filmfördergesetz wäre eine Chance, da die Möglichkeiten per Gesetz weiter aufzumachen und damit auch neues Potential auszuschöpfen.

Paula Essam: Ich stimme mit Johanna überein. Betonen möchte ich, wie dieses Gate-Keeping auf Personen mit Migrationshintergrund oder mehrfach marginalisierte Frauen zutrifft. Bei diesen Personen ist es mit dem Vitamin B oft noch schwieriger, denn sie sind bisher weniger in Führungspositionen der Branche vertreten. Und das heißt, es gibt auch fast niemanden, der ihnen Türen öffnet. Viele Männer fördern zudem vor allem andere Männer und deswegen ist diese Vitamin-B-basierte Branche eigentlich für Teilhabe sehr schwer zugänglich.

Seit zehn Jahren besteht Ihr Verein „Pro Quote Film“. Welche Erfolge konnten Sie in den vergangenen Jahren verbuchen?
Paula Essam:
Als Erfolg kann verbucht werden, dass die Debatte um Gendergerechtigkeit in der Filmbranche vor allem durch die Arbeit von Pro Quote Regie und dann ab 2018 von Pro Quote Film in Gang gekommen ist. Ein weiterer Erfolg war Verhandlungen mit der Degeto und ARD, nach denen diese eine Selbstverpflichtung von 20 Prozent Frauen in der Regie festgelegt hatten. Wir wollen inzwischen die 50 Prozent für alle Gewerke erreichen. Es wurden Stellungnahmen zum Filmförderungsgesetz abgegeben und Claudia Roth hat bei der letzten Berlinale schon das Zugeständnis gemacht, dass wir eine gesellschaftliche Verantwortung mit Film und der Filmförderung haben und deswegen Diversität, soziale Nachhaltigkeit, Gendergerechtigkeit mitgedacht werden müssen. Das ist uns natürlich noch zu wenig, aber unsere Anliegen sind in den Köpfen angekommen. Neben der politischen Arbeit konnten wir zudem im letzten Jahr erfolgreich auch Empowerment-Arbeit für unsere Mitglieder leisten, mit erfolgreichen Panels, Vorträgen und Networking-Veranstaltungen. In den letzten 10 Jahren sind wir auf über 400 Mitglieder gewachsen, wir werden branchenintern als ernstzunehmende Verhandlungspartner gesehen und auch politisch werden unsere Anliegen - wenn auch noch nicht genug - wahrgenommen.

Die Drehtage können aufgrund von verschiedenen Bedingungen lang werden. Wie vereinbaren sich Beruf und Familie?
Johanna Polley:
Zu oft noch sind die eigene mentale Gesundheit, sowie Beruf und Familie mit der Arbeit in der deutsche Filmbranche schwer vereinbar, wie uns oft gespiegelt wird. Wer für Angehörige Care-Arbeit leistet, benötigt Zeit und auch finanzielle Sicherheit. Beides hat eine viel beschäftigte filmschaffende Person in der Regel nicht. Auch das ließe sich durch einen gesetzlichen Rahmen verbessern. So könnte sich die Arbeitskultur nachhaltig und effizient weiterentwickeln.

Den letzten Berlinale-Kongress haben wir deswegen dem „familiengerechten Drehen“ gewidmet. Und dieses Jahr veröffentlichen wir auf der Berlinale die fundierte Website Familienfreundliches-Drehen. Denn es gibt Möglichkeiten, die Arbeit mehr im Einklang mit menschlichen Ressourcen zu gestalten: sei es mit der Vier-Tage-Woche (Lu von Loser, MaPa), Kinderbetreuung oder Job-Sharing (Tender Hearts, ShareMyTellyJob). In UK, Dänemark und anderen Ländern wird schon viel und erfolgreich mit diesen Methoden gearbeitet, wir könnten von ihnen lernen.

Gibt es noch ein Gehaltsgefälle zwischen Frauen und Männern?
Johanna Polley:
Ja, in Deutschland liegt der Gender Pay Gap insgesamt bei 18 Prozent, bei Künstlerinnen, die über die KSK versichert sind, fand Ver.di, dass Frauen 24 Prozent weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen. Für Filmschaffende sind es 34 Prozent. Viele können sich durch die Arbeit nicht alleine finanzieren. Und es bedeutet: in dieser Demokratie, die sich auf Menschenrechte, die UN-BRK und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz geeinigt hat, verdienen Frauen, weil sie Frauen sind, bei gleicher Qualifikation und Arbeit weniger Geld. Wir fragen uns, wie das die Realität in diesem Land sein kann und möchten die Hoffnung nicht aufgeben, dass sich dieser schockierende Missstand ändert, der sich bei Menschen, die intersektionale Diskriminierung erfahren müssen, noch steigern kann. In der Zukunft muss klar sein, dass das nicht mehr geht. Und zwar in keiner Branche.

Würden Sie uns verraten, wie sich Pro Quote Film für Trans*-Personen einsetzt?
Paula Essam:
Pro Quote Film stellt unsere Forderungen immer für alle Frauen und das heißt auch Trans* Frauen. Wir benutzen in unserer Kommunikation auch immer wieder die Begriffe FLINTAQ*, weil sich zum Beispiel nicht alle als Frauen identifizieren. Diese Menschen sind in unserem Verein auch herzlich willkommen und wenn wir z.B. Pitching Sessions machen, dann schreiben wir auch, dass wir uns insbesondere auf intersektionale Perspektiven freuen. Es stimmt aber, dass wir dazu bisher noch kein konkretes Projekt gemacht haben. Also falls sich jemand angesprochen fühlt, kommt gerne zu uns und entwickelt ein Projekt. Wir freuen uns.

Im Rahmen der Berlinale gibt es Kongress "Empowered for Equality". Wie wird dieser aussehen?
Paula Essam:
Das wird ein total toller Kongresstag. Wir konnten nicht nur das Familienministerium (BMFSFJ) als Förderer gewinnen, sondern auch die FFA und das Medienboard Berlin-Brandenburg. Das ist für uns ein Erfolg. Auch haben sich einige Firmen bereit erklärt uns zu unterstützen. Wir haben wirklich eine tolle Besetzung in den Workshops (Leitungen: Diversity Kartell, She gets it, Dunkel Richter, Haus of Feiertag, Casting Network) mit qualifizierten Personen, die alle an dem Tag wertvollen Input geben möchten. Auf diese Workshops bin ich besonders gespannt, weil sie direkt zum Handeln anregen und Lösungsvorschläge stellen. Das ist auch unser Ziel, dass die Teilnehmenden rausgehen und konkret was in der Hand haben, das sie nutzen und weitersagen können. Außerdem freue ich mich auch aufs Speed-Dating. Klassisch ist das ja meistens Gewerk Regie und Drehbuch treffen auf Produktion und Redaktion und das haben wir zwar auch. Zusätzlich finden bei uns auch Speed-Datings für die Onset-Crew und Team der Postproduktion, sowie Schauspielerinnen statt.

Johanna Polley: Ja, auch der offizielle Teil mit einem kurzen Rückblick über 10 Jahre Pro Quote Film (gestartet als Pro Quote Regie), sowie dem empowernden Panel „Nothing Can Stop Her“ zum Thema Karriere-Umwege und wie sie genutzt wurden, wird hochinteressant und bestärkend.

Die Fernseh- und Filmbranche ist im Wandel. Sehen Sie positive Veränderungen?
Johanna Polley:
Ich finde es gut zu sehen, dass es möglich ist, seit Pro Quote Film / Regie, #metoo, der Initiative #ActOut oder ähnlichen Initiativen und Verbänden, Aufmerksamkeit für Missstände zu schaffen. Neuerdings werden Regisseure, die am Set alkoholisiert gewalttätig werden, angeprangert. Es wurde z.B. mit Omni Inclusion (MOIN) ein Tool entwickelt, um mehr Transparenz zu schaffen, und Förderer beginnen Diversitätschecklisten einzusetzen, das ist toll.

Doch die strukturelle Veränderung hin zu mehr Gerechtigkeit bleibt ausbaufähig. Einige behinderte Filmschaffende werden zum Beispiel nicht gleichberechtigt versichert. Auch wird Vielfalt, meinem Gefühl nach, noch zu wenig als Normalität gesehen. Natürlich sind diese Prozesse nicht leicht und brauchen Investitionen, aber sie sind notwendig, um irgendwann zur gewünschten, gerechteren Normalität zu gelangen. Einzelne Projekte von Frauen und FLINTAQ* haben bisher Chancen erhalten, in Voraussetzungen für Zugänge und Vergabestrukturen soll sich aber nicht zu viel Grundlegendes ändern? Da geht noch was in Sachen Gleichberechtigung.

Paula Essam: Ja, aber immer noch zu wenig und zu langsam. Pro Quote Film gibt es seit 10 Jahren, die Quote für Frauen und Diversität haben bisher nicht erreicht. In Schweden wurden Frauenquoten innerhalb eines Jahres umgesetzt. Warum ist Deutschland da so langsam? Wir haben Angst vor Innovation und wundern uns warum viele Formate international abgehängt werden und auch national die Branche an Ansehen zum Beispiel beim jüngeren Publikum verloren hat. Das ist schade. Es ist nicht nur schade, weil wir eine gesellschaftliche Verpflichtung haben, gute und verantwortungsvolle Filme zu machen - und die erreichen wir nur durch Teilhabe - sondern auch, weil die Qualität der Filme so nicht ihr mögliches Potential erreicht. Filme und Serien wie «Hype», «Rheingold», «Sam - Ein Sachse» etc., die migrantische Geschichten in den Vordergrund stellen, sind große Erfolge. Sie dürfen nicht nur Leuchtturmprojekte bleiben.

Welche Sofortmaßnahmen können Sender, Studios und Förderanstalten sofort umsetzen?
Paula Essam:
Pro Quote Film fordert neben der 50 Prozent Frauen und 30 Prozent Diversitätsquote auf alle Förderentscheidungen auch mehr Transparenz in Bezug auf die Besetzung von entscheidenden Positionen. Dazu braucht es regelmäßige Sensibilisierung in Bezug auf Bias, also internalisierte Voreingenommenheiten, denn wir haben beobachtet, dass eine paritätische Besetzung der Gremien allein noch nicht zu einer gendergerechteren Filmbranche führt und zudem die Aspekte von Diversität und Inklusion zu oft ausbaufähig bleiben. Produktionsfirmen könnten ganz konkret zum Beispiel mit Angeboten wie “Newmotion” zusammenarbeiten, um marginalisierten Menschengruppen niederschwellige Einstiegsmöglichkeiten in die Branche zu bieten. Auch die Erweiterung des sogenannten „Filmkanons“ ist uns ein Anliegen.

Johanna Polley: Einerseits könnten diese Forderungen mit Hilfe des FFG erreicht werden, das gerade novelliert wird. Zusätzlich gehen wir auch gerne mit Produktionsfirmen, Sendern oder der FFA ins Gespräch und entwickeln gemeinsam Schritte. Initiativen wie die Schwarzen Filmschaffenden, Queer Media Society,
CastMeIn, WIFT, die Initiative Fair Film oder Vielfalt im Film, etc. fordern seit langer Zeit

vergleichbare Punkte.

Wir sollten uns vom Zuhören, was zweifellos der wertvolle Grundstein ist, jetzt schnell entwickeln ins Machen und Veränderungen konkret anstoßen. Dann können wir bald - und ich glaube, da freuen sich alle drauf - endlich einfach inhaltlich über Filme reden.

Vielen Dank!

Der Kongresstag am Montag, den 19. Februar, besteht aus einem Workshop-Teil sowie einem öffentlichen Teil mit dem Nothing can stop HER! - Panel, einem gewerkespezifischen, intersektionalen Speed-Dating sowie einer Reihe von Impulsvorträgen. Zu guter Letzt gibt es einen 10 Jahre ProQuote Film Rückblick, der fließend in einen kleinen Networking-Empfang übergeht.

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