Serientäter

«Alice in Borderland» und die große Sinn-Frage

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Zwei Jahre nach dem Start der ersten Runde ist nun auch die zweite Season bei Netflix verfügbar. Doch das Skript weißt große Mängel auf.

Zwischen 2010 und 2016 veröffentlichte Weekly Shōnen Sunday insgesamt 18 Ausgaben der Manga-Serie «Alice in Borderland», die von Haro Aso verantwortet wurde. Schon während dieser Zeit haben Silva Link und Connect eine dreiteilige Animationsreihe hergestellt. Ende 2020 führte Netflix die Adaption als erste große japanische Serie ein. Die achtteilige erste Staffel bekam fast ein dreiviertel Jahr recht wenig Aufmerksamkeit, das Werk von Shinsuke Satō, Yoshiki Watabe und Yasuko Kuramitsu erlebte erst einen Aufwärtstrend als «Squid Game» riesige Erfolge feierte. Der Netflix-Algorithmus schlug «Alice in Borderland» im Anschluss an das packende Finale vor – Millionen Abonnenten nahmen diese Empfehlung an.

Die japanische Serie handelt von dem jungen Gamer Arisu, der planlos und arbeitslos in den Tag hineinlebt. Mit seinen zwei Freunden Karube und Chōta überqueren sie unter anderem die Shibuya-Kreuzung in Tokio, ehe sie sich in eine U-Bahn-Station flüchten. Während manche Spezialeffekte wirklich enttäuschend wirken, kann zumindest das riesige Außenset, das rund 100 Kilometer entfernt von Tokio aufgebaut wurde, überzeugen.

Schon schnell merken die Zuschauer: Die drei Jugendlichen sind in einer anderen Welt und landen vor einem Gebäude, indem sie ein tödliches Spiel absolvieren müssen. In bester US-Krimi-Manier ist es von Anfang an Arisu, der das Spiel versteht und lösen kann. Wie bei amerikanischen Serien ist somit gesetzt, wer der Hauptdarsteller dieser Serie ist – und auch bei diesen Spielen wissen wir, dass der von Kento Yamazaki verkörperte Darsteller in einer «24»-Jack-Bauer-Odysee alle Widrigkeiten überleben wird. Fernsehen hat eben seine bestimmten Rezepte.

Doch «Alice in Borderland» beschränkt sich zunächst auf die Spiele. In der ersten Episode müssen die Teilnehmer ein Labyrinth aus quadratischer Räume entkommen. Das mag zwar spannend und nett sein, treibt aber die eigentliche Handlung kaum voran. „Jäger und Gejagter“ heißt es in der zweiten Folge, in der man innerhalb von 20 Minuten entkommen muss – ansonsten fliegt das Gebäude in die Luft. In der dritten Geschichte sind vier Teilnehmer mit Explosionshalsband bestückt, wer nach 15 Minuten der Wolf ist (übertragend durch Sichtkontakt) wird als Einziger nicht sterben.

Mit der vierten Folge werden sämtliche Figuren ausgetauscht, nur Arisu bleibt erhalten. Ihm steht künftig Usagi an der Seite, die die restliche Fernsehserie als Sidekick fungiert. Die eigentliche Handlung beginnt allerdings erst nach der ersten Hälfte der achtteiligen Staffel, nachdem das Duo den Unterschlupf „The Beach“ entdecken. Mit der sechsten Folge bekommen die Abonnenten einen Wust an neuen Figuren präsentiert, die sich auf dem westlichen Markt nur geringfügig unterscheiden. Aber eines merkt man auch bei diesen Geschichten: Es zieht sich. Das Spiel „Hexenjagd“ umfasst insgesamt drei Episoden.

Prinzipiell erfahren die Protagonisten nur, dass man mit der Schwierigkeit der Spiele seine verbleibende Zeit in dieser Welt retten kann. Sollte die innere Uhr auf Null fallen, kann ein Laser aus dem Himmel sämtliche Protagonisten jederzeit töten. Die Spiele sind in die Karo-, Pik, Herz- und Kreuzkarten eingeteilt, die Höhe der Nummer verrät die gewonnene Lebenszeit. Das mag zunächst ein ausgeklügeltes System sein, aber es verrät nicht, warum die Mitspieler nicht miteinander agieren statt gegeneinander zu arbeiten. Beispielsweise könnte man einfach alle paar Tage das gleiche Spiel des Labyrinths absolvieren, um in dieser Welt zu überleben.

So vieles macht bei «Alice in Borderland» keinen Sinn: Nachdem die Herz 10 gespielt wurde, startet die nächste Runde. Warum dies so ist, wissen vermutlich nur die Autoren der Serie. Leider werden solche Serienprojekte ja nicht von Netflix-Redakteuren redigiert, die die Serie in Sachen Plausibilität in Form bringt. Warum ist die Herz-Dame höher als der Herz-König und warum ist der finale Endgegner selbst ein Teilnehmer und möchte selbst nicht das endgültig letzte Spiel gewinnen? Dazu kommt noch, dass irgendwann zu Beginn der zweiten Staffel das Format so verändert wurde, dass es – wie bei «Squid Game» - nur noch einen Gewinner geben kann. Natürlich läuft das alles auf Arisu hinaus, der am Ende immer noch von Usagi unterstützt wird.



In der letzten Episode haben nur noch drei Personen eine Hauptrolle, alle anderen Personen wurden entweder von dieser übermenschlichen Macht beseitigt oder liegen bewusstlos als Statisten in dieser Geisterstadt herum. Nachdem die Spezialeffekte in der Staffel zum Teil gruselig waren, ist das finale Spielbrett allerdings schön animiert. Mit 80 Minuten Laufzeit zieht sich die finale Episode aber schon wie die gesamte Serie. Man hätte durchaus ein wenig mehr Fahrt aufnehmen können. Aber «Alice in Borderland» möchte bis zum Finale keine Informationen herausgeben, was es mit dieser Welt auf sich hat.

Das Finalspiel wird von mehreren Pausen unterbrochen, dann folgt der letzte Zug, ein paar Spezialeffekte werden abgefeuert, ehe die gesamte Handlung wieder an die erste Einstellung der ersten Episode rückt. Dann dauert es noch Minuten, ehe die Handlung wieder in Gang läuft. Die finale Auflösung dieses Geheimnisses ist überraschend, aber wenig beruhigend. Denn eigentlich waren 14 der 16 Episoden praktisch Füllmaterial und das ist eigentlich recht enttäuschend. Man kann schon vorab verraten, dass es ein versöhnliches Ende geben wird. Allerdings haben die Zuschauer davor nicht etwa «Stolz und Vorteil», «Tatsächlich Liebe» oder «Fluch der Karibik» gesehen, sondern ein unterdurchschnittliche Netflix-Serie. Schade für die Zeit.

«Alice in Borderland» kann bei Netflix gestreamt werden.

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