Die Kino-Kritiker

«Benedetta» - Leid und Leidenschaft im Frauenkloster

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Der 83-jährige Regisseur Provocateur namens Paul Verhoeven ist mit einem Spielfilm zurück.

In Hollywood war er lange erfolgreich, drehte ebenso brachiale Science-Fiction-Epen («Robocop», «Starship Troopers») wie freizügige Erotik-Thriller («Basic Instinct», «Showgirls»). Seine Handschrift entwickelte der Biederländer bereits in Europa, wo er mit skandalträchtigen Dramen («Türkische Früchte», «Das Mädchen Keetje Tippel») für Furore sorgte. Zuletzt fand Verhoeven mit «Elle» mit Isabelle Huppert als Vergewaltigungsopfer große Beachtung, und wer glaubte, der heute 83-Jährige hätte sich damit friedlich zur Ruhe gesetzt, wird jetzt eines Besseren belehrt. Der Regisseur bleibt auch mit seinem nächsten Film «Benedetta» ein Provocateur. Denn ursprünglich sollte der Film „Blessed Virgin“ (gesegnete Jungfrau) heißen, weil es um eine italienische Nonne im 17. Jahrhundert geht, die in ihrem Kloster zwischen Glaube und Gott ihre Sexualität entdeckt. Bereits in der Vorbereitung gab es Knatsch. Drehbuchautor Gerard Soeteman, der mit Verhoeven schon bei etlichen Projekten («Flesh & Blood», «Black Book») zusammenarbeitete, distanzierte sich vom Film, weil sein Landsmann Verhoeven seiner Ansicht nach zu sehr die lesbische Liebe seiner Hauptdarstellerinnen ins Rampenlicht stellen würde.

Von Liebesbett auf den Scheiterhaufen
Die Toskana im 17. Jahrhundert: In einem Kloster wird Benedetta Carlini (Virginie Efira) von drückenden Alpträumen geplagt. Immer wieder erscheint ihr Jesus, der mit ihr spricht. Als an ihren Händen und Füßen auch noch Stigmata entdeckt werden, ist ein Großteil der Bevölkerung bereit, an ein Wunder zu glauben, Benedettas Träume könnten göttliche Visionen sein. Derweil freundet sich Benedetta mit der neuen Novizin Baroelomea (Daphné Patakia) an. Aus ihrer Zuneigung entwickelt sich schon bald eine heimliche sexuelle Affäre. Damit geraten die beiden jedoch ins Visier der Oberin Felicita (Charlotte Rampling), die sowieso nicht an Benedettas Visionen glaubt und sie am liebsten als Lügnerin enttarnen möchte. In Florenz sucht Felicita den päpstlichen Nuntius (Lambert Wilson) auf, der für Aufklärung sorgen soll. Schließlich fordert er, dass die Angeklagte auf den Scheiterhaufen verbrannt werden soll. Doch die Pest kommt allen zuvor.

Der wahre Hintergrund
Das 1986 erschienene Buch „Schändliche Leidenschaften, das Leben einer lesbischen Nonne in Italien zur Zeit der Renaissance“ von der US-Historikerin Judith Cora Brown diente als Vorlage für diesen Film. Brown fand in den Archiven der Stadt Florenz nach 350 Jahren die Gerichtsakten um die wahre Benedetta Carlini (1590 - 1661) wieder, die wegen eines lesbischen Verhältnisses tatsächlich vor einem Kirchengericht verurteilt wurde. Ein Stoff, so ganz nach dem Geschmack von Verhoeven, der sich tatsächlich ausgiebig mit erotischen Darstellungen beschäftigt, immer wieder die nackten Körper von Virginie Efira und Daphné Patakia zeigt und sogar eine kleine Madonnen-Figur als Sexspielzeug einsetzen lässt. Sehr provokant, und dennoch wäre es falsch, den Film nur darauf zu reduzieren. Verhoeven will so viel mehr. Das Verhältnis zwischen Religion und Macht wird auf allen Ebenen ausgelotet. Zuerst die Autorität der Klostervorsteherin, dann das patriarchische Verhalten des päpstlichen Vertreters und schließlich entwickelt sogar Benedetta selbst eine Lust an der Macht, nachdem sie erstmals Verehrung und Einfluss auf eine Anhängerschaft, die ihr blind folgen will, verspürt.



Starke Frau in der Renaissance
Die Katholische Kirche wird dabei immer der Lächerlichkeit preisgegeben und die Parallelen zu heute sieht man nur zu gut. Was Verhoeven allerdings am meisten interessiert, ist seine Hauptfigur - eine Frau in der Renaissance, die in ihrem Umfeld einiges ertragen muss, sich darin ihren Weg sucht und zu einer Art von Selbstfindung kommt. Virginie Efira ist mal Opfer, mal Täterin, weshalb man nie genau weiß, wie man zu ihr stehen soll, was das Anspiel von Virginie Efira aber umso interessanter macht. Ihre Karriere begann die Belgierin als TV-Moderatorin. Dann wechselte sie in die Schauspielerei und agierte neben Stars wie Jean Dujardin («Mein ziemlich kleiner Freund») und Omar Sy («Police»). Charlotte Rampling, die bereits so lange im Filmbusiness ist und als Partnerin u.a. von Sean Connery («Zardoz») und Paul Newman («The Verdict») unvergessen bleibt, weiß als von niedrigen Gefühlen getriebene Äbtissin ebenfalls zu überzeugen. Starke Frauen, die gegen Widrigkeiten ankämpfen und dabei auch ihre Sexualität einsetzen - die gab es bei Paul Verhoeven aber schon immer.

Fazit: Einmal mehr will Verhoeven mit Sex und Gewalt provozieren. Viel Nacktheit und viel Blut braucht es, um die Machtstrukturen in der Katholischen Kirche anzuprangern.

Der Spielfilm «Benedetta» ist im Kino zu sehen.

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