Hingeschaut

«RTL Direkt»: Das Beste draus gemacht, aber leider nicht mehr

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Die neue News-Strecke von RTL überzeugt vor allem durch die Seriosität von Jan Hofer. Wäre das Konzept weniger steif, wäre der Premierenfolge glatt ein Coup gelungen.

„Machen wir alle das Beste draus“. So hat Jan Hofer soeben seine Zuschauer nach der Premierenfolge der neuen Nachrichtenstrecke «RTL Direkt» verabschiedet. Von Montag bis Donnerstag sollen dort dem RTL-Publikum nun jeden Abend zur besten «Tagesthemen»-Zeit die wichtigsten Ereignisse des Tages nahegebracht werden, wofür sich der Sender Jan Hofer und (sie wird erst in einigen Wochen bei dem Format präsent sein) Pinar Atalay von der ARD eingekauft hat.

Newskompetenz hat man den öffentlich-rechtlichen Sendern – und RTL aufgrund seines jahrelangen Schmuddelimages – natürlich lange nicht mehr zugetraut. Wer schon etwas älteren Semesters ist, wird sich vielleicht mit einigem Unbehagen an Sendungen wie den «Heißen Stuhl» erinnern, wo politischer Austausch nur als Krawall funktioniert hat. In einer Gesellschaft, die mit AfD und Querdenkern so aufgeheizt ist wie heute, würde ein solches Format in diesem Programmumfeld noch mehr Öl ins Feuer gießen als in den Garagenjahren des Privatfernsehens.

Gut also, dass man mit dem ehemaligen «Tagesschau»-Personal vor der Kamera ganz auf Seriosität und Informationsvermittlung setzt. Und tatsächlich fungierte Jan Hofer in der Premierensendung gewissermaßen von der ersten Minute an als Garant für eine neue inhaltliche Programmfarbe bei RTL, neben der Peter Kloeppel nicht mehr so verlassen auf weiter Flur aussieht.

Der Gast der ersten Sendung – die Kanzlerkandidatin der Grünen Annalena Baerbock – war dabei schon seit Wochen bekannt, und das Thema angesichts der dramatischen Ereignisse in Afghanistan seit dem Abzug der NATO-Truppen ebenfalls gesetzt. Die Dramaturgie der ersten Minuten schrieb sich also wie von selbst und hätte bei der ARD kaum anders ausgesehen. Hofer fragte routiniert und journalistisch fundiert nach Baerbocks Einschätzung der Lage und politischen Bewertung, und sie gab ihre – sicherlich reiflich einstudierten – Antworten ebenso professionell wieder.

Schon nach wenigen Minuten bekam man jedoch das zu enge Korsett dieser Sendung zu spüren, als nach einem kurzen Nachrichtenüberblick ein allzu harter Themenwechsel folgte: Hofer wollte von Baerbock wissen, wie Menschen mit durchschnittlichem Einkommen eine „grüne“ Lebensweise mit Lebensmitteln vom Bio-Laden, Ökostrom und steigenden CO2-Preisen denn bezahlen sollen, und in einem Einspieler begleitete RTL den Alltag einer exemplarischen Familie. Diese Frage – und auch ihre sehr persönliche journalistische Aufarbeitung – ist natürlich legitim. Angesichts der schockierenden Bilder vom Flughafen Kabul und der aufwühlenden Botschaften von mit dem Tode bedrohten Ortskräften, die ihr Leben für ein freies Afghanistan riskiert und nun vom Westen ihrem Schicksal überlassen werden, wirkte diese Fragestellung am heutigen Abend aber deplatziert und befremdlich.

Womit dieser Sendung stattdessen ein Coup gelungen wäre: Wenn sie in letzter Minute ihr Konzept für heute Abend vollends über den Haufen geworfen und die bereits produzierten Beiträge für eine spätere Ausgabe archiviert hätte. Ein zwanzig- statt fünfminütiges Gespräch zwischen Jan Hofer und Annalena Baerbock über die Entwicklungen in Afghanistan samt ihrer unmittelbaren weltpolitischen Auswirkungen gerade auch auf die Sicherheit in Europa wäre schließlich wesentlich interessanter und gehaltvoller gewesen – und «RTL Direkt» wäre direkt am ersten Abend die relevantere Sendung gewesen als die «Tagesthemen».

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