Die Kritiker

«Mapa» – wenn die große Tragik nicht zu Tränen rührt

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Metin muss seine kleine Tochter versorgen. Alleine. Seine Freundin Emma ist verstorben. Und nun ist er mit der Kleinen alleine und muss irgendwie den Alltag mit ihr bewältigen. Er muss ihr ein guter Vater sein. Und eine gute Mutter – «Mapa» irgendwie. Das ist auch der Titel der Sadcom von Joyn.

«Mapa»

DARSTELLER: Max Mauff, Lia von Blarer, Arda Görkern, Ole Elsfeld, Björn Harras, Katja Hutko, Sophie Hütter, Amelie Kiefer, Banafshe Hourmazdi

HEADAUTOR: Alexander Lindh
DREHBUCH: Luisa Hardenberg
KAMERA: Tobias Koppe
PRODUZENTIN: Laura Bull
PRODUCERIN: Daniela Ebeling
REGIE: Jano Ben Chaabane
PUPPENBAU (Lene): Urich Ritter
Sadcom. Irgendwie muss man ja eine Serie wie «Mapa» mit einem Attribut versehen. Also wirft man irgendwelche Begrifflichkeiten in den Raum, setzt die Schere an, legt Wortsilben aufeinander und bitte schön: Die Sadcom ist geboren. Sad – wie traurig. Com – wie in Situation Comedy. Ganz so, als hätte es noch nie dramatische, traurige Geschichten gegeben, die trotzdem zum Schmunzeln Anlass gäben. So wie «Mapa» eben keine Tragödie in einem shakespearesken Sinne sein möchte. Ja, die Ausgangssituation ist so traurig, wie eine Ausgangssituation nur traurig sein kann. Statt ein gemeinsames Leben zu führen, mit Kind, Kegel und der in deutschen Serienrealitäten unvermeidlichen hübschen Altbauwohnung irgendwo in Berlin, sitzt Metin alleine daheim. Oder eben auch nicht alleine. Da ist eben Lene. Lene versteht die Welt um sie herum noch nicht. Dafür ist sie zu klein. Sie freut sich einfach, wenn sie Metin sieht. Dann lacht sie. Und wenn sie schläft, dann nur zusammen mit ihrer Klobürste. Irgendwie hat es sich halt so ergeben, andere Kindern knuddeln ihr Bärchen, Lene braucht die Bürste. Dass Emma fehlt, das weiß Lene noch nicht. Sie kennt ja nur ihren Mapa. Der sich müht.

Der harte Weg
Natürlich ist es nicht leicht, aus dieser Ausgangssituation kein Drama zu kreieren. Es heißt nicht umsonst, die Komödie sei die wahre Königsdisziplin unter den Genres. So ist es zunächst einmal anzuerkennen, dass Serienerfinder und Head-Autor Alex Lindh eben nicht den leichten Weg gegangen ist. Auf der Grundprämisse aufbauend ein Drama zu kreieren, wäre vermutlich der einfachere Weg gewesen. Doch Lindh hat sich für die harte Tour entschieden. Das Drama mit Leichtigkeit zu füllen.

So muss sich Metin in der Pilotepisode mit seiner Mutter und seinen besten Freunden herumärgern, die partout nicht verstehen wollen, dass er sich in seiner Depression einigelt. Ganz so, als gäbe es so etwas wie den „richtigen Zeitpunkt“, um ins normale Leben zurückzukehren. Metins Leben verläuft in fast schon ein Stein gemeißelten Wegen. Er steht auf, kocht für Lene Milch, geht mit ihr raus, kommt nach Hause, wickelt sie, verfällt in Wehmut und Traurigkeit. Sein Verständnis für seine Freunde und seine Mutter fällt eher mau aus. Sie verstehen ihn nicht, er versteht sie nicht. Wie können sie nur von ihm verlangen, dieses Leben nicht zu verabscheuen?

Doch dann knacken sie ihn; ja, er nimmt ihr Angebot an, sich einen Abend lang zu vergnügen, mit einem Freund. Einfach so. Ganz normal. Mag es nicht den einen, richtigen Zeitpunkt geben – Metins Leben geht weiter. Und so wird die Richtung im Pilotfilm der Serie vorgegeben: Feier das Leben. Die schmerzlichen Momente, die Verluste, die Trauer und die Traurigkeit – sie sind real und lassen sich nicht wegschalten: Das ist die traurige Wahrheit. Aber wenn da Menschen sind, denen du etwas bedeutest, die dich lieben, die für dich da sind: Lass sie an deinem Leben teilhaben und teile du mit ihnen die Freuden dieses Lebens. Wie sie mit dir die Trauer teilen. Weine mit ihnen. Lache mit ihnen. Lebe!

Das wäre schön, aber...
An sich wäre es schön, wenn mit diesen Worten alles gesagt wäre. Doch leider ist «Mapa» unterm Strich ein eher durchwachsenes Vergnügen. Das fängt leider schon mit der Hauptfigur Metin an. Metin ist an sich ein netter Typ und sein Darsteller Max Mauff besticht durch seine außergewöhnliche Gewöhnlichkeit. Das ist erst einmal positiv anzumerken. Metin ist ein großartiger Sympathieträger, eine Figur, die ganz mit ihrem Darsteller verschmilzt. Oder verschmilzt der Darsteller mit der Figur? Das Problem: Die Chemie zwischen Metin und Emma (Lia von Blarer) funktioniert überhaupt nicht. In Rückblenden wird Emma eben doch wieder lebendig, die letzte Episode wird sogar aus Emmas Perspektive erzählt. Und da steht, wie gesagt, ein großes Problem im Raum: Die Beziehung zwischen Metin und Emma – sie passt einfach nicht. Mehr noch als das steht die Frage im Raum, wie diese beiden so unterschiedlichen Charaktere überhaupt zusammengefunden haben?

Metin ist ein netter Typ ohne besondere Merkmale. Er ist diese Art von Typ, der in den Tag hineinlebt, der gerne mal eine Shisha genießt, der auf seine sehr sympathische Art und Weise ein großes Kind geblieben ist. Emma ist taff, geradlinig, sie hat vielleicht ihren Platz im Leben auch noch nicht wirklich gefunden, aber sie ist fest entschlossen, genau diesen Platz zu finden. Der schöne, alte Spruch – der Weg ist das Ziel –, er lässt sich wunderbar auf Emma übertragen. Sie wird als ein Mensch dargestellt, welcher die Herausforderung dieses Wegen erhobenen Hauptes angeht. Im Gegensatz zu Metin, der eher der Typ ist, der sich auf diesem Weg gerne mal ein Päuschen gönnt, ein Bierchen trinkt, gerne mal zurückschaut und an sich mit sich und dem Leben zufrieden ist, auch wenn es vielleicht mal nicht so gut läuft.

Keine Frage, es gibt in der realen Welt durchaus Beziehungen, in denen solch unterschiedliche Weltbilder aufeinanderprallen und gerade die Unterschiedlichkeit die Liebe und Harmonie erklären. Wer voranschreitet, braucht einen Ruhepol. Und der Ruhepol braucht einen Menschen, der voranschreitet. Wenn die Balance stimmt, dann ist dies wunderbar. Doch diese Balance findet die Beziehung von Metin und Emma nie. Bis zu dem Punkt, ohne zu viel zu spoilern, an dem in der letzten Episode dieses Missverstehen einer Beziehung thematisiert wird.

Bedingt liebenswert
Das Problem: Mit dieser sechsten Episode wird das gesamte Verhältnis von Metin und Emma in Frage gestellt. Mehr noch als das erscheint Emma sogar als ein nur bedingt liebenswerter Charakter – wenn man sie in Beziehung zu Metin setzt, den man als Zuschauer nun einmal irgendwann ins Herz schließt. Metins und Emmas so genannte Beziehung ist an sich vollkommen dysfunktional, ein Drama gar; die Frage nach einem Ende lautet nicht „ob“, sie lautet „wann“? Emmas Tod, so makaber dies klingt, verliert dramaturgisch im Laufe der Geschichte Stück für Stück an Wert, denn hier endet keine große, alles überstrahlende Liebesgeschichte. Dies ist keine „Love Story“ 2020. Durch Emmas Tod endet eigentlich nur eine eh nicht sonderlich funktionierende Beziehung zwischen zwei Personen, die eh nicht zusammengepasst haben.

Etwas radikal und endgültig vielleicht, schließlich bleibt da ja auch ein kleines Mädchen halb verwaist zurück. Aber nach der sechsten Episode bleibt die Packung Kleenex unangetastet, denn die Augen heult sich danach niemand aus. Die Serie schrumpft von einer Liebes- auf eine Beziehungsgeschichte zusammen, die ohne den Tod höchst unromantisch mit der Schlüsselabgabe der aus der gemeinsamen Wohnung ausziehenden Partei eh irgendwann ihr Ende gefunden hätte. Vielleicht soll das ja alles so sein. Ungeschönt. Eine Geschichte aus dem Leben mit seinen tatsächlichen, oft unerquicklichen Wendungen? Möglich ist das. Und wer so etwas mag, liest in diesen Zeilen, die sich über das Nicht-Vorhandensein einer herzzerreißenden Tragik ärgern, vielleicht gerade deshalb eine persönliche, unbedingte Guckempfehlung heraus.

Wer jedoch mit dem Herzen schaut, bleibt am Ende enttäuscht zurück.

Die Serie ist ab Donnerstag, den 16. April 2020, auf Joyn abrufbar.

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