Die Kino-Kritiker

«Just Mercy» - Routiniertes Justizdrama mit toller Besetzung

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In der Bestseller-Verfilmung «Just Mercy» wird der Zuschauer mit den hässlichen Seiten US-amerikanischer Rechtssprechung konfrontiert. Ein beklemmendes, aufwühlendes Drama mit einem großartigen Jamie Foxx.

Filmfacts: «Just Mercy»

  • Start: 27. Februar 2020
  • Genre: Drama
  • FSK: 12
  • Laufzeit: 137 Min.
  • Kamera: Brett Pawlak
  • Musik: Joel P. West
  • Buch: Destin Daniel Cretton, Andrew Lanham
  • Regie: Destin Daniel Cretton
  • Darsteller: Michael B. Jordan, Brie Larson, Jamie Foxx, Charlie Pye Jr., Michael Harding, Rafe Spall
  • OT: Just Mercy (USA 2020)
Harper Lees «Wer die Nachtigall stört» aus dem Jahr 1961 ist ein US-amerikanischer Literaturklassiker, der bis heute in vielen Schulen auf dem Lehrplan steht. Darin schildert die kleine Jean Louise die Geschehnisse ihrer Kindheit, als ihr Vater Atticus Finch als Anwalt die Verteidigung eines Schwarzen übernahm, der trotz eindeutiger Unschuldsbeweise einer Vergewaltigung schuldig gesprochen wurde. Die Geschichte spielt in einer fiktiven Kleinstadt namens Maycomb, angesiedelt im real existierenden Bundesstaat Alabama. Dort, wo der gebürtig aus Delaware stammende Jurist und Bürgerrechtler Bryan Stevenson knapp 30 Jahre später die Equal Justice Initiative (EJI) gründete; eine gemeinnützige Organisation, die möglicherweise zu Unrecht verurteilten Strafgefangenen eine Wiederaufnahme ihres Falles und anschließend eine faire Verteidigung ermöglicht, was sich insbesondere auf zum Tode verurteilte Häftlinge bezieht. Bryan Stevenson schrieb über seinen Werdegang und seine Beweggründe einen Bestseller, den Regisseur Destin Daniel Cretton unter dem gleichnamigen Titel «Just Mercy» als konventionelles biographisches Drama verfilmt hat und sticht darin in so große offene Wunden (allein die Statistiken über zu Unrecht verurteilte Todeskandidaten am Ende des Films jagt einem einen Schauer über den Rücken), dass man fast meinen möchte, darin allein den Grund für die vollständige Oscar-Ignoranz in dieser Saison gefunden zu haben.

«Just Mercy» hält Teilen der US-amerikanischen Bevölkerung einen beklemmenden Spiegel vor. Denn auch wenn die wahren Leinwandereignisse bereits einige Jahrzehnte zurückliegen, hat sich am hier offen ausgelebten Rassismus bis heute in vielen Teilen der USA (und der ganzen Welt) nichts geändert.



Gerechtigkeit für die, die keine Stimme haben


Nach Abschluss seines Studiums in Harvard hätte sich der junge Anwalt Bryan Stevenson (Michael B. Jordan) lukrative Jobs aussuchen können. Stattdessen geht er nach Alabama, um zusammen mit der ortsansässigen Anwältin Eva Ansley (Brie Larson) Menschen zu verteidigen, die zu Unrecht verurteilt wurden oder sich keine angemessene Verteidigung leisten konnten. Einer seiner ersten und explosivsten Fälle ist der von Walter McMillian (Jamie Foxx), der 1987 für den berüchtigten Mord an einer 18-Jährigen zum Tode verurteilt wurde, obwohl die meisten Indizien seine Unschuld bewiesen und die einzige Zeugenaussage gegen ihn von einem Kriminellen stammte, der ein Motiv hatte zu lügen. In den folgenden Jahren verwickelt Bryans Kampf für Walter und viele andere ihn in ein Labyrinth aus juristischen und politischen Manövern und konfrontiert ihn mit offenem und ungeniertem Rassismus, während die Gewinnchancen – und das System – gegen sie stehen.

Die Equal Justice Initiative wurde in der Kleinstadt Montgomery in Alabama gegründet. Also genau dort, wo heute das sogenannte Mockingbird-Museum steht, das dem Anwalt Bryan Stevenson von so ziemlich jeder Machtpositionen besetzenden Person im Laufe des Films ans Herz gelegt wird. Es ist fraglich, dass man dem neu zugezogenen Bryan einfach nur ein paar Freizeittipps an die Hand geben möchte. In Wirklichkeit ist dieser Hinweis auf den Literaturklassiker natürlich auch ein Wink mit dem Zaunpfahl. Denn der engagierte Harvard-Absolvent bekommt auf seiner Odyssee zwischen EJI-Büro, Todestrakt und Gerichtsgebäude jeden nur erdenklichen Stein in den Weg gelegt, weil Anwälte, Bürgermeister und später auch Richter einfach nicht davon abrücken mögen, Afroamerikanern vor Gericht generell keinerlei Glauben zu schenken. Zugegeben: Dieser im Kern abschätzigen Geste wohnt natürlich auch eine ganze Menge Symbolismus inne.

Doch genau so schildert Bryan Stevenson die Ereignisse eben in seinem teils biographischen, teils autobiographischen Buch. Und da Rassismus ja auch kein auf den Bundesstaat Alabama beschränktes Problem ist, wäre es letztlich ohnehin egal, wo «Just Mercy» spielt. So unterstreicht das wiederkehrende Motiv vom Anwalt, der den Nie gehörten die dringend notwendige Stimme gibt, eben einfach nur, dass sich auch innerhalb von mehreren Jahrzehnten absolut nichts an der Problematik geändert hat.

Die Nachtigall will noch immer nicht gestört werden


Regisseur Destin Daniel Cretton hat in seiner bisherigen Karriere qualitativ sehr schwankende Arbeiten vorgelegt. Dank seiner feinen Beobachtungsgabe gelang ihm mit «Short Term 12» einer der besten Filme des Jahres 2013 und ein überragend authentischer Einblick in Pflegeeinrichtungen für psychisch kranke Jugendliche. Sein Melodram «Schloss aus Glas» verärgerte vier Jahre später hingegen mit allzu offensivem Kitsch, der dem Schicksal der darin porträtierten Familie kaum gerecht wurde. Und um noch weiter in der Vita des Filmemachers herumzukramen: Auch für das grottenschlechte Christendrama «Die Hütte – Ein Wochenende mit Gott» fungierte Cretton als Drehbuchautor. Für «Just Mercy» findet der erneut auch für das Skript mitverantwortliche Regisseur nun jedoch zu alter Stärke zurück. Wenngleich sich sein Film dramaturgisch recht eng an die Schemata artverwandter Produktionen hält. Bryan Stevenson lernt seinen neuen Mandanten kennen, rollt anhand bestehender Beweise und Akten den Fall wieder auf, stolpert über diverse Widersprüche und arbeitet sukzessive auf die Wiederaufnahme des Falles hin, bis am Ende – das trotz der wahren Ereignisse natürlich nicht verraten werden soll – entweder die erneute Verurteilung oder der Freispruch steht.

Inszenatorisch erlaubt sich Cretton nur wenige künstlerische Sperenzchen. Stattdessen lässt er in «Just Mercy» vorwiegend die unterschwellige Ungerechtigkeit für sich sprechen. So ist es zum Beispiel besonders beklemmend, dass all die Widersprüche in den Beweisen noch nicht einmal groß vertuscht wurden. Sie wurden vor Gericht schlicht und ergreifend nicht angebracht, da sich um die Verteidigung eines Schwarzen ohnehin Niemand scherte. Und wenn hier fast in Echtzeit der Vollzug einer Todesstrafe auf dem elektrischen Stuhl gezeigt wird, muss der Filmemacher nicht mit der Kamera draufhalten. Das von den Wärtern erschreckend routiniert durchgeführte Prozedere, vom Abholen aus der Zelle über die Kahlrasur bis hin zur Auswahl der zum Zeitpunkt der Vollstreckung abgespielten Musik, wirkt viel mehr nach, als irgendeine allzu drastische Bildauswahl.

Während das Schicksal des zu Unrecht wegen Mordes einsitzenden Walter McMillian sowie seine aufopferungsvolle Verteidigung durch Bryan Stevenson den Kern von «Just Mercy» bilden, erlauben sich die Macher im Laufe der üppigen Laufzeit von 137 Minuten auch noch einige Blicke nach links und rechts, um die Ausmaße der Probleme innerhalb des US-amerikanischen Rechtssystems zu veranschaulichen. So erfährt der Zuschauer etwa einige Hintergründe zu ebenfalls zum Tode verurteilten Strafgefangenen wie etwa Herbert Richardson (Rob Morgan). Der schwersttraumatisierte Kriegsveteran ist schuldig des Baus einer Bombe, die ein 11-jähriges Mädchen versehentlich tötete. Eine faire Verhandlung hatte Richardson jedoch ebenso wenig erhalten wie Ralph Meyers (Tim Blake Nelson), Walter McMillians einziger Belastungszeuge, der nochmal auf eine völlig andere Art und Weise Opfer der Justiz ist. Nicht allen schenkt der Film gleich viel, vor allem aber genügend Aufmerksamkeit. Dafür reicht mit zweieinviertel Stunden die Zeit auch gar nicht aus. Doch es genügt als Veranschaulichung, dass es in «Just Mercy» eben nicht darum geht, im Zweifelsfall Schuldige aus dem Gefängnis zu holen, sondern dass als Ziel ein fairer Prozess angestrebt werden sollte.

Mit seinem leidenschaftlich-mitreißenden Spiel unterstützen das sowohl Michael B. Jorden («Creed») als auch Jamie Foxx («Robin Hood») in einer überragenden Performance als Walter McMillian, der den Glauben an die Gerechtigkeit längst verloren hat. In den von der Farbe weiß dominierten Aufnahmen von Janusz Kaminski («Der Richter – Recht oder Ehre»), der den Film in gewohnt paralysierende Bilder kleidet, liefern sich die beiden brillante, von Schmerz, Hilflosigkeit, aber zunehmend Zuversicht geprägte Dialoge. Und wäre man nicht so verdammt zynisch, stünde am Ende die Hoffnung, dass ein Film wie «Just Mercy» vielleicht doch ein klein wenig was verändern könnte.

Fazit


Mit «Just Mercy» liefert Regisseur Destin Daniel Cretton ein erzählerisch zwar wenig spektakuläres, dafür umso intensiver gespieltes Drama über die ein krankes US-Rechtssystem ab, an dessen Ende Niemand mehr auf die Idee kommen dürfte, dass die Todesstrafe eine gute Erfindung ist.

«Just Mercy» ist ab dem 27. Februar in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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