Die Kritiker

«El Camino: Ein Breaking Bad Film» – Der Nachklapp zum Nachklapp

von

Der «Breaking Bad»-Film ist viel mehr eine «Breaking Bad»-Nachabspannszene, die die letzten offenen Fäden zusammenführt.

Cast und Crew

  • Regie und Drehbuch: Vince Gilligan
  • Produktion: Mark Johnson, Melissa Bernstein, Charles Newirth, Vince Gilligan
  • Darsteller: Aaron Paul, Charles Baker, Matt L. Jones, Jesse Plemons, Jonathan Banks, Robert Forster
  • Musik: Dave Porter
  • Kamera: Marshall Adams
  • Schnitt: Skip Macdonald
Die ständig vorwärts treibende, hochspannende Serie «Breaking Bad», in der sich konstant die Schlinge der Bedrohung enger und enger um den Hals ihrer zentralen Figuren zog, bewies in ihrer finalen Staffel eindrucksvoll, dass sie allem zum Trotz mehr an Charakteren als an plotgetriebener Suspense interessiert war. Denn das, was für viele Serien das Finale gewesen wäre, war für «Breaking Bad» "nur" die drittletzte Episode. Inszeniert von Rian Johnson und geschrieben von Moira Walley-Beckett, brachte die Episode «Ozymandias» das Seriengerüst explosiv zum Einfall. Es wäre so verführerisch und so einfach gewesen, «Breaking Bad» damit zu beenden, wie sich alles radikal zum Schlechten wendet, und sich als Serienmacher im Schockeffekt zu suhlen.

«Breaking Bad» wäre damit auch weitestgehend auserzählt gewesen. Die restlichen Handlungsfäden hätte man sich auch so zu Ende denken können. Es wäre ein herbes, drastisches, lautes Finale gewesen. Aber auch ein sehr denkwürdiges. Stattdessen ging «Ozymandias» als atemberaubender, 47-minütiger "Was zum Teufel?!"-Moment in die Fernsehgeschichte ein – und wurde von einem zwei Episoden langen Quasi-Epilog abgerundet. Die letzten beiden Folgen von «El Camino» drosselten das zuletzt halsbrecherisch gewordene Erzähltempo und zeigten detailliert sowie dramatisch, wie Protagonist Walter White (Bryan Cranston) nach den Ereignissen von «Ozymandias» verfährt. Ein sehr intelligent geschriebenes, charakterbetontes Ausplätschern der Serie, das die zweite Hauptfigur, Jesse Pinkman (Aaron Paul) aus dramaturgischen und erzählökonomischen Gründen an den Rand gedrängt hat.

Sechs Jahre nach dem Ende von «Breaking Bad» erhält der zwei Folgen lange Nachklapp zum inoffiziellen Serienfinale einen zweiten Nachklapp. «El Camino» mag «Ein Breaking Bad Film» untertitelt sein, doch in Wahrheit ist es eine zwei Stunden und zwei Minuten lange Post-Abspannsequenz. Die mit der ersten «Breaking Bad»-Folge begonnene Geschichte um Chemielehrer Walter White, der zum Gangsterboss aufgestiegen ist, ist vorbei, es gibt ihr nichts mehr hinzuzufügen. Aber der vom Publikum so geliebte Jesse wurde zuvor so sehr aus dem erzählerischen Fokus gedrängt, weshalb das charakterbetonte, introspektive Ausplätschern seines Handlungsbogens halt als "Ach ja, da war noch was …" nachgereicht wird.

Wer «Breaking Bad» wegen der hohen Spannungskurve feierte, wird daher von «El Camino» enttäuscht sein. Wer die letzte «Breaking Bad»-Folge perfekt fand und keinerlei weitere Handlungsdetails benötigt, weil "die eigene Vorstellung die Geschichte schon bestens abgerundet hat", braucht «El Camino» nicht und sollte nur mit gedrosselten Erwartungen an den Film gehen. Aber alle, die "erzählökonomische Gerechtigkeit für Jesse Pinkman" möchten, werden von «Breaking Bad»-Serienschöpfer Vince Gilligan bestens bedient. Denn «El Camino» hat den Erzählduktus, das Erzähltempo und die Charakterdichte der abschließenden beiden «Breaking Bad»-Folgen, bloß dass sie sich exklusiv um Jesse drehen.

Die «El Camino»-Handlung beginnt mit einem traumatisierten, panischen, verängstigten Jesse, der sein schnelles Mundwerk völlig verloren hat. Über den weiteren Verlauf des Films versucht er händeringend, sein Leben zu bewahren und sich einen Weg in die Sicherheit zu tricksen. Der Schleichpfad, den Jesse gen Sicherheit zu beschreiten versucht, führt ihn vorbei an zahlreichen alten [Breaking Bad]]-Bekannten. Und wie Gilligan es schon in «Breaking Bad» wiederholt tat, ergänzt der Regisseur und Autor auch diese Erzählung um dramatische Ironie in Form von Rückblenden, die entweder der Situation oder der Figur eine Zwischennote in Moll verleihen.

Mit atmosphärischen Weitwinkelaufnahmen und cleveren Match Cuts versehen, ist «El Camino» ein sehr edel aussehender Film, der dennoch primär auf Aaron Pauls Schultern ruht: Paul zu sehen, wie seine Figur wider ihrer Natur kaum Worte über die Lippen bringt und sich im Walter-White-Spontanplanen versucht, und schleichend wieder zu sich selbst findet, ist für «Breaking Bad»-Fans ein Schmaus. Als Einstieg in die «Breaking Bad»-Welt ist «El Camino» überhaupt nicht geeignet, und da Gilligan diesen Nachklapp zum Nachklapp eine Spur langsamer erzählt als seine letzten Erkenntnisse über die Figur Jesse Pinkman rechtfertigen, ist es eine etwas ungelenke Schleife, die er nachträglich um das wunderbare Seriengeschenk «Breaking Bad» macht. Aber «El Camino» behält die künstlerische Integrität der Serie bei.

«El Camino» ist auf Netflix zu sehen.

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