Hingeschaut

«Promis auf Hartz IV»: Ein wichtiges Thema ad absurdum geführt

von   |  4 Kommentare

RTL II stuft zwei Superreiche für vier Wochen lang zu Hartz-IV-Empfängern herab und verkauft das als spannendes Sozialexperiment. Allzu ernst wird mit der Problematik aber nicht umgegangen.

Ein Aufschrei ging durch die hiesigen Medien, als Bundesgesundheitsminister Jens Spahn im März seine Gedanken zu Hartz IV vom Stapel ließ: Als Hartz-IV-Empfänger sei man doch nicht arm und jeder habe das, was er zum Leben braucht. Daraufhin entbrannte eine sozialpolitische Debatte um die Grundsicherungsleistung für Arbeitslose. Einen äußerst relevanten Beitrag dazu liefert nun ausgerechnet der It’s-Fun-Bildungssender RTL II. Noch in zehn Jahren werden Sie sich vermutlich fragen: Wo war ich damals, als RTL II das Leben eines millionenschweren Fürstenpaares für sage und schreibe 4 – in Worten: vier! – ganze Wochen auf den Kopf stellte?

RTL II hat sich nämlich an ein Experiment epischen Ausmaßes gewagt: Fürst Heinz und Fürstin Andrea von Sayn-Wittgenstein müssen vier Wochen lang auf all ihren Luxus verzichten und ausschließlich von Hartz IV (736 Euro) leben. So das ausgetüftelte Konzept von «Promis auf Hartz IV», das zunächst viermal am Montagabend läuft und eine Adaption des niederländischen Originals «Celebrities On A Budget» ist. Dass dieses Unterfangen nicht leicht werden würde, lässt sich schon in den ersten Minuten erahnen: Schließlich müssen die Millionäre nicht nur Abschied von ihren geliebten Katzen nehmen, sondern auch von etlichen Zigarettenpackungen, bei denen das Reinschmuggeln in den Koffer etwas zu offensichtlich danebengegangen ist. Handy, Bargeld und Kreditkarten sowie sämtliche Luxusartikel müssen ebenfalls zurückgelassen werden.

Die Motive dafür? Man wolle herausfinden, ob man auch ohne das ganze Geld und den Schnickschnack glücklich leben kann. Es geht um die Erfahrung, sagt Fürst Heinz. Achja, und ganz nebenbei will er auch noch herausfinden, ob die Leute, die Hartz IV bekommen entweder nur nicht arbeiten wollen oder einfach keinen Job bekommen. Erst dann – nach wohlgemerkt angeblich nur einen Monat – könne er über solch komplexe Dinge urteilen. Das muss man sich erstmal auf der Zunge zergehen lassen. Bevor es ans Eingemacht geht, sehen wir noch, wie es sich Heinz und seine Liebste in einem edlen Etablissement gut gehen lassen; auch ein Brunch mit der Cordalis-Familie steht noch an.

Dann beginnt das wilde Abenteuer: Statt einer 1000 Quadratmeter großen Villa auf Mallorca wartet auf die Fürsten nun eine 60 Quadratmeter große Zwei-Zimmer-Wohnung in Köln-Zollstock, die obendrein fast leer ist und noch ausgestattet werden muss – man taucht somit in eine Art Parallelwelt ein. Bereits der Weg dorthin erweist sich aber als höchst problematisch: Das fängt schon bei der Parkplatzsuche am Flughafen an und setzt sich beim Lesen einer (physischen) Landkarte sowie der Autofahrt an sich fort.

Auch im weiteren Verlauf stellen sich Heinz und Andrea nicht wirklich klug an – ob das Show ist oder nicht: Manchmal kann man schon darüber schmunzeln. Trotzdem ist das gleichzeitig ein großer Kritikpunkt, denn an Ernsthaftigkeit mangelt es dem Thema Hartz IV ja eigentlich nicht. Zu nennen wären unter anderem: Soziale Ausgrenzung, so gut wie keine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, psychische Laster – das alles findet zum Auftakt von «Promis auf Hartz IV» mit keiner Silbe Erwähnung. Stattdessen wird gezeigt, wie sich das Ehepaar im Supermarkt über drei- oder vierlagiges Toilettenpapier streitet. Auch das erste Mal Schwarzfahren mit der Straßenbahn wird zu einem großen Ereignis hoch­sti­li­sie­rt. Die wenigen Stellen, an denen mal ein Hauch von Ernst mitschwingt, sind allenfalls die, in denen eine Kioskbesitzerin zu Wort kommt.

Als Zuschauer bleibt man rat- und teils fassungslos zurück: Was sollte das Ganze nun bringen? «Promis auf Hartz IV» will mit Sicherheit keine Sensibilisierung für die Hartz-IV-Problematik schaffen, schlimmer: Ein wichtiges und diskussionswürdiges Thema wird hier zu Unterhaltungszwecken ad absurdum geführt. Insofern ist das Format ein Schlag ins Gesicht für all jene Hartz-IV-Bezieher, die echte Sorgen haben. Und dazu gehört bestimmt nicht die Wahl des richtigen Klopapiers.

Der Rezensent dieser Produktion beendet nun ein mindestens genauso spannendes Experiment (zwei Stunden TV-Trash) und gibt sich wieder voll und ganz dem Quality-TV hin. Es war eine sehr schwere Zeit für mich, doch nun ist ja wieder alles beim Alten und ich bin zumindest dankbar für diese Erfahrung.

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Es gibt 4 Kommentare zum Artikel
zombiehunter
08.05.2018 07:35 Uhr 1
Ich bin Gott sei Dank nicht mehr von ALG 2 abhängig, denn dieses Thema ist alles andere, als lustig. Dieses Thema für so eine Sendung zu verhunzen ist dann auch nur noch Futter für diejenigen, die ganz gerne mal Menschen in eine Schublade packen
Kingsdale
08.05.2018 08:44 Uhr 2
Was habt Ihr denn Erwartet von RTL II?
Kunstbanause
08.05.2018 22:23 Uhr 3
So ein Scheiß schürt halt wunderbar Sozialfaschismus. Irgend ein Feindbild muss doch geschaffen werden.
Sentinel2003
10.05.2018 11:26 Uhr 4
Allerdings macht das RTL ganz gut. Die berichten den ganzen Mai über über dieses Thema. Die haben auch eine Journalistin/Reporterin, die in Chemnitz den ganzen Monat von Hartz 4 lebt und, sich mit Hausnachbarn darüber austauschen möchte....was bisher ganz gut ist! Darüber hinaus fährt ein Kollege von Ihr durch ganz Deutschland um sich nach Hartz 4lern und deren Leben und dem Ausmaß von Hartz 4 zu erkundigen.
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