Die Kino-Kritiker

«Loveless»: Politparabel, Entführungsdrama, Oscarnominee

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In diesem Jahr ging das russische Drama «Loveless» ins Rennen um den Sieg in der Kategorie „Bester fremdsprachiger Film“ - gleichermaßen vorhersehbar wie verdient.

Filmfacts: «Loveless»

  • Start: 15. März 2018
  • Genre: Drama/Thriller
  • Laufzeit: 127 Min.
  • FSK: 16
  • Kamera: Mikhail Krichman
  • Musik: Evgueni Galperine, Sacha Galperine
  • Buch: Andrey Zvyagintsev, Oleg Negin
  • Regie: Andrey Zvyagintsev
  • Schauspieler: Maryana Spivak, Aleksey Rozin, Matvey Novikov, Marina Vasileva, Aleksey Fateev
  • OT: Nelyubov (RU 2017)
Es hat Tradition, dass sich unter den Oscar-Nominierten in der Kategorie „Bester fremdsprachiger Film“ gern politisch motivierte Beiträge wiederfinden. Der russische Regisseur Andrey Zvyagintsev kann davon ein Lied singen: Schon sein letzter Film «Leviathan», der gerade in seinem Heimatland als eine Art „Putsch-Film“ aufgefasst wurde und sich vorwiegend damit auseinandersetzte, was in der russischen Gesellschaft heute eigentlich alles falsch läuft, hatte die Chance auf den Academy Award. Sein neuester Film, das Drama «Loveless», kann nun ebenfalls den Auslandsoscar gewinnen. Auch diesmal befasst sich Zvyagintsev mit der russischen Community, geht anhand eines sich trennenden Pärchens jedoch insbesondere darauf ein, wie sich der Russland-Ukraine-Konflikt auf diese auswirkt. Dabei geht es nicht immer ganz so subtil zur Sache, wie zuvor noch in «Leviathan». Spätestens dann, wenn die weibliche Hauptfigur Zhenya einen Trainingsanzug mit großem „Russland“-Aufdruck trägt, dann weiß man, wer hier wen repräsentieren soll. Doch «Loveless» ist nicht bloß Kriegsparabel, sondern auch Liebesfilm, Selbstfindungsstudie und Entführungsdrama – und in dieser Kombination ist der Film dann auch richtig gut.

Szenen einer Ehe


Zhenya (Maryana Spyvak) und Boris (Alexey Rozin), ein Paar aus der gehobenen russischen Mittelschicht, stehen vor den Trümmern ihrer Ehe. Längst ist die frühere Zuneigung bitteren Anschuldigungen gewichen, die gemeinsame Wohnung steht zum Verkauf, beide sind bereits in neuen Beziehungen. Im Zentrum des Debakels und gleichzeitig völlig abseits steht ihr 12jähriger Sohn Alyosha (Matvey Novikov), dessen Schmerz und Einsamkeit niemand wahrnimmt. Keiner der Eltern will ihn in ein neues Leben mitnehmen, ein Internat steht zur Debatte. Als die Vorwürfe zwischen Zhenya und Boris erneut eskalieren, verschwindet Alyosha plötzlich, was die Polizei tatenlos hinnimmt. Im Rahmen einer groß angelegten Suchaktion von Freiwilligen müssen sich die Ex-Partner wider Willen zusammentun, um das letzte, was sie noch verbindet, aufzuspüren…

In einer der bedrückendsten Szenen im aufgrund der allgegenwertigen Abwesenheit von Liebe treffend betitelten «Loveless» sehen wir erst lautstark das Paar miteinander streiten, eh wir entdecken, dass der kleine Alyosha die Differenzen seiner Eltern hautnah miterlebt hat. Das Schlimme daran: In dem Krach ging es einzig und allein um die Frage, wer den gemeinsamen Sprössling nun notgedrungen zu sich nehmen muss, oder ob sich nicht vielleicht auch ein Platz in einem Internat finden lässt; den Jungen möchte man nach einer derart offensichtlichen Abneigungsbekundung jedenfalls nur noch in den Arm nehmen. Damit, den beiden Elternteilen nun lediglich Antipathie gegenüberzubringen, ist es in «Loveless» allerdings nicht getan.

Zwar findet sich unter den erwachsenen Figuren kaum ein Zeitgenosse, mit dem sich auch nur irgendwie sympathisieren ließe, doch die Drehbuchautoren Aleksey Zvyagintsev und Oleg Negin (arbeiteten auch bereits für «Leviathan» zusammen) legen viel Detailarbeit in die Ausformung sämtlicher ihrer Charaktere. In diversen, mitunter schmerzhaft ehrlichen Dialogen ergründet «Loveless» nach und nach die Befindlichkeiten seiner Figuren – und nicht zuletzt die Hintergründe, was sie zu solchen machte. Die Beweggründe derselben muss man anschließend immer noch nicht nachvollziehen können, doch zu einfachen Antagonisten degradiert Zvyagintsev seine Charaktere nie.

Ein Film voller Unsympathen


Als Zuschauer muss man sich trotzdem immer wieder daran erinnern, dass die von Maryana Spivak («Space Dogs 2») und Aleksey Rozin («Leviathan») mit viel Aufopferungsbereitschaft gespielten Ex-Liebenden keine hassenswerten Rabeneltern sind. Die zweite Hälfte macht es einem da leichter, wenn «Loveless» vom authentischen Scheidungsdrama zum hochdramatischen Entführungsfilm wird, der sich bis zur buchstäblich aller letzten Sekunde partout nicht in die Karten schauen lässt. Aus der Zeichnung des Umfeldes beider Figuren ergibt sich schnell, dass Zvyagintsev in wesentlich größeren Dimensionen denkt; sein Film behandelt mitnichten bloß eine einzelne Trennung, stattdessen lassen sich die wesentlichen Brandherde des Russland-Ukraine-Konflikts eins zu eins auf Boris und Zhenya übertragen. Unter diesen Umständen ist es umso interessanter, was den zwischen den Fronten stehenden Alyosha am Ende für ein Schicksal ereilen wird.

Trotzdem hätte es der Filmemacher dabei belassen können, seine Parabel anhand subtiler Details aufzuziehen. Wenn Zhenya eines merkwürdigen Schönheitswahnes frönt, während sich ihr Noch-Ehemann in einer Firma mit einem befremdlichen Verständnis für Privatsphäre abrackert, genügt das, um ein Gespür dafür zu entwickeln, welche Person welche Position repräsentieren soll.

Stattdessen opfert Zvyagintsev zu viel Zeit für lange Plansequenzen, lediglich unterlegt von Nachrichtenfetzen über den Russland-Ukraine-Konflikt oder bildet sogar zeitweise nur den Fernseher ab, auf dem in aller Ausführlichkeit das aktuelle politische Geschehen diskutiert wird. Noch nicht einmal die (zugegebenermaßen nicht sehr tiefschürfende) Bedeutung des Titels darf sich der Zuschauer selbst zusammenreimen. Stattdessen heißt es irgendwann „Wo keine Liebe, dort kein Leben“ – darauf wäre der Zuschauer auch alleine gekommen. Trotzdem ist «Loveless» ein bis zuletzt unberechenbarer und spannender Film. Gerade dann, wenn sich die Macher eben wirklich nur auf den schwelenden Konflikt zwischen den beiden Eltern konzentrieren und sich aus vielen Szenen kaum ablesen lässt, ob man nun mit ihnen leiden, oder ihnen die Ungewissheit ob ihres vermissten Sohnes nicht doch irgendwie gönnen soll, appelliert Andrey Zvyagintsev auch an den Zuschauer, sich nicht bloß vom äußeren Schein beeinflussen zu lassen, sondern die Hintergründe der Figuren miteinzubeziehen.

All das macht «Loveless» gewiss nicht zu einem Film, den man zwingend mehr als einmal gesehen haben muss. Er ist unbequem und durchweg freudlos. Doch für dieses einmalige Erlebnis einer komplexen, politisch unterfütterten und bis zuletzt undurchschaubaren Charakterstudie über zwei hochkomplizierte Menschen, hätte «Loveless» den Oscar als bester Film – und möglichst viele Zuschauer – dennoch verdient.

Fazit


«Loveless» ist eine spannende Mischung aus Krimi und Drama, das als wenig subtile Politallegorie auf den aktuellen Status Quo innerhalb der russischen Gesellschaft weniger gut funktioniert denn als moralisch forderndes Porträt über zwei Menschen, bei denen man sich fragt, wie dringend sie ihren verschwundenen Sohn wirklich wiederhaben wollen – und ob man das Kind tatsächlich in deren Obhut zurückwünscht.

«Loveless» ist ab dem 15. März in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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