Die Kino-Kritiker

Vonwegen «Happy End»: Haneke demaskiert die oberen Zehntausend

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In seinem neuesten Film «Happy End» nimmt sich der in Cannes als Dauergast präsente Regisseur Michael Haneke einmal mehr die Reichen und Schönen vor und blickt dabei hinter die Fassade der oberen Zehntausend.

Filmfacts: «Happy End»

  • Kinostart: 12. Oktober 2017
  • Genre: Drama
  • FSK: 12
  • Laufzeit: 107 Min.
  • Kamera: Christian Berger
  • Buch undRegie: Michael Haneke
  • Darsteller: Fantine Harduin, Isabelle Huppert, Jean-Louis Trintignant, Mathieu Kassovitz, Franz Rogowski, Toby Jones
  • OT: Happy End (FR/AT/DE 2017)
Wenn Michael Haneke seinen neuesten Film «Happy End» nennt, ahnen alle, die mit seinem bisherigen Schaffen ein bisschen vertraut sind, dass dieser Titel nur zynisch gemeint sein kann. Der Regisseur hinter solchen Werken wie «Funny Games», «Das weiße Band» oder «Liebe» macht keine Filme, die (ausschließlich) der Unterhaltung dienen. Stattdessen erkundet er die finstersten Ecken menschlicher Seelen, seziert einzelne soziale Schichten oder gibt bissige Kommentare auf den aktuellen Stand der Gesellschaft ab. Das ist im Falle von «Happy End» nicht anders; die Symbiose aus Drama und Satire ist gespickt mit bitterbösem Humor und treffsicheren Beobachtungen im Hinblick auf die allgegenwärtige, menschliche Verrohung, doch erstmalig eröffnet sich dem Zuschauer auch eine gewisse erzählerische Redundanz seitens Michael Haneke. Inszenatorisch vergleichbar ist sein neuestes Projekt, das auf Cannes für die Goldene Palme nominiert war, zwar einmal mehr mit keinem seiner vorherigen. Doch das, was der gebürtige Münchner hier thematisiert, bietet im Vergleich zu seiner bisherigen Vita nur wenig Neues und wird sich zudem nur einem Bruchteil der Zuschauer erschließen. Die schöne Fassade der oberen Zehntausend zum Einsturz zu bringen, ist für ein Publikum fernab dieser Klientel kaum greifbar; und wer zur selbigen gehört, wird sich nur ungern derart grimmig demaskieren lassen.

First World Problems


Für die Familie Laurent läuft es bestens: Der einflussreiche Clan betreibt eine erfolgreiche Baufirma im französischen Calais, hat Geld im Überfluss und lebt auf der Sonnenseite des Lebens. An der Spitze des Clans steht die toughe Geschäftsführerin Anne (Isabelle Huppert), die eine Beziehung zu dem nicht minder angesehenen Anwalt Lawrence (Toby Jones). Kriseln tut es stattdessen zwischen Anne und ihrem Sohn Pierre (Franz Rogowski): Nachdem er unrühmlich bewiesen hat, nichts mit der Firma seiner Mutter zu tun haben zu wollen, haben sich die beiden fortwährend voneinander entfernt. Doch als wäre das nicht das einzige Problem innerhalb der Laurent-Familie, begeht Annes Schwägerin einen Selbstmordversuch, was dazu führt, dass ihre Nichte Eve (Fantine Harduin) in dem altehrwürdigen Anwesen der Laurents einzieht; gemeinsam mit ihrem Vater Thomas (Mathieu Kassovitz), der sich allerdings kaum für die Belange seiner Tochter interessiert. Unterdessen beobachtet der in die Jahre gekommene Georges (Jean-Louis Trintignant) das Geschehen von außen: Annes Vater hat von dem lieb- und leblosen Treiben seiner Familie längst genug und bereitet akribisch seinen Suizid vor…

Michael Haneke dreht keine Filme, die Spaß machen. Stattdessen schaut er lieber einem totkranken Rentnerpärchen beim Sterben zu oder konfrontiert sein Publikum mit der Message, dass Gewalt nicht konsumierbar sei, indem er es dabei zusehen lässt, wie zwei Heranwachsende eine harmlose Familie zu Tode foltern. Gemein haben seine Werke indes, dass sie im Kreise einer gewissen Gutbürgerlichkeit spielen; wenn hier Probleme auftauchen, sind diese selten von solch greifbarer Natur, dass man sich vorstellen könne, einem selbst würde so etwas passieren. Die Protagonisten in Hanekes Filmen haben zumeist gute Jobs, Geld und sind in ihrem Umfeld angesehen, bis eine emotionale oder moralische Ausnahmesituation sie aus ihrem Wohlstand reißt. Insofern ist «Happy End» so etwas wie ein Best-of-Michael-Haneke, denn dieser Film besitzt alle Zutaten, die ihn zu einem Paradebeispiel dieser Couleur machen. Im Mittelpunkt steht ein Familienclan, dem es kaum besser gehen könnte; die großen und kleinen Probleme der Laurents besitzen fast schon den oberflächlichen Wert einer Seifenoper: Wer geht mit wem? Warum? Weshalb diese oder jene Trennung? Und ein wenig Todeskampf und den Fight um die beste Jobposition gibt es obendrein.

Diese Laurents, die passenderweise in der nordfranzösischen Hafenstadt Calais wohnen, die als geographisches Nadelöhr für ankommende Transitmigranten dient, sind der Inbegriff für eine Familie der Oberschicht, die sich mit dem unter ihr agierenden Pöbel gar nicht erst abgibt. Das geht so weit, dass sogar innerhalb des Clans Beziehungen zerbrechen, wenn sich Annes Sohn Pierre dem Lebensstil seiner Eltern nicht fraglos anschließen möchte. Für Anne ein nicht tolerierbarer Zustand; in einer der stärksten Szenen von «Happy End» diskutieren sie und Pierre über seine Zukunft – die Kluft zwischen den beiden ist spürbar und es ist jederzeit zu merken, dass sich ihre Wege schon längst getrennt hätten, wären sie nicht vom selben Blut.

Starkes Schauspiel, überraschend wenig Biss in der Erzählung


Den eingangs erwähnten Flüchtlingen widmet Haneke einen kleinen Erzählstrang, der in erster Linie dazu dient, die Situation im Finale eskalieren zu lassen. Hier prallt Oberschicht nicht bloß auf Unterschicht, sondern direkt auf Mittellosigkeit; ein Kontrast, der in seiner Subtillosigkeit kaum mehr an Haneke erinnert, aufgrund der Verortung des Geschehens aber einfach naheliegt. Stattdessen widmet er sich in erster Linie den Vorkommnissen innerhalb der Familie. Einmal mehr setzt der auch für das Drehbuch verantwortliche Haneke auf ein äußerst gediegenes Tempo, viel Dialog, wenig Musik und noch weniger Effekthascherei. Unter Zuhilfenahme einer akribisch genauen Kameraarbeit (Hanekes Stammkameramann Christian Berger, «Liebe») und eines nahezu perfekten Schnitts kreiert er Bilder von Sterilität, in denen sich die emotionale Leere der Figuren kaum besser widerspiegeln könnte. Mal beobachtet Haneke das Geschehen aus solch einer Distanz, dass man kaum erkennt, was da vor sich geht.

Ein anderes Mal wiederum schleicht er um seine Charaktere herum, positioniert sich ganz nah an den Gesichtern und lässt den Zuschauer jede noch so kleine Regung wahrnehmen. Erschreckend: In der versteiften Mimik von Anne, Georges und Co. zeichnet sich kaum mehr Leben ab. Sogar die wahrhaftige Neuentdeckung Fantine Harduin («Fannys Reise») versteht es in ihren noch jungen Jahren, sämtliches Leben aus ihrem Gesicht zu verbannen. Selbst wenn sie weint, strahlt sie lediglich Leere aus, sodass es kaum mehr verwundert, dass ihr Vater nicht weiß, wie er sie trösten soll.

Viele Statements gibt Michael Haneke im Vorbeigehen ab; etwa wenn lediglich in einem Nebensatz die Aussage fällt, dass vor einer Weile eine wichtige Figur gestorben sei, was für den weiteren Verlauf der Geschichte nicht ganz unerheblich ist. So wundert es auch nicht, dass «Happy End» ohne einen Spannungsbogen auskommt. Stattdessen verstehen die Macher ihren Film als voyeuristische Momentaufnahme, die es dem Publikum ermöglicht, einmal an Problemen teilzuhaben, in die er voraussichtlich niemals kommen wird. Um das Gezeigte noch greifbarer zu machen, vielleicht aber auch, um das Geschehen zeitlich einzuordnen zu machen und auf noch mehr Generationen aufzuteilen, baut Haneke immer wieder kleine Handyvideos ein, die paradoxerweise jedoch vielmehr das Gegenteil erzeugen: Anstatt Nähe zu schaffen, sorgen sie in ihrer Oberflächlichkeit nur für noch mehr Distanz; eine Aussage, die sich als Message auf moderne Medien verstehen lässt, für Hanekes Verhältnisse jedoch überraschend einfältig bleibt – ganz so, wie man sich den Kommentar eines die modernen Medien nicht verstehenden Außenstehenden vorstellt.

Trotz derartiger Ausflüchte ins Banale geben die Darsteller alles: Isabelle Huppert setzt nach ihrer famosen Performance in «Elle» ihre Erfolgsserie fort und gibt die kaltherzige Patriarchin mit Hang zum Perfektionismus, während Jean-Louis Trintignant («Liebe») der Einzige ist, hinter dessen Fassade ein wenig Menschlichkeit zum Vorschein kommt. Wenn er seinem Barbier und Friseur das Angebot macht, ihm gegen Geld Sterbehilfe zu leisten, klingt das nur im ersten Moment zynisch. Wenige Sekunden später erkennt man in den Augen des den Anschluss an seine Familie verpassten Rentners das Leid einer ganzen, langsam vereinsamten Generation.

Fazit


«Happy End» ist die eisige Entmystifizierung der Oberschicht, die Michael Haneke mit der nötigen Grimmigkeit versieht, dabei jedoch überraschend wenig Biss an den Tag legt. Am Ende glaubt man als Zuschauer kaum mehr an das Gute im Menschen, wohl aber an hohe Schauspielkunst.

«Happy End» ist ab dem 12. Oktober in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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