Die Kritiker

«Der Sohn»

von   |  1 Kommentar

Eine Mutter, die nicht loslassen kann, und ein pubertierender Sohn, der schweres Asthma sowie Probleme mit zwischenmenschlicher Nähe hat. Stoff, aus dem ein Psychodrama mit Fallhöhe entwächst.

Cast und Crew

  • Regie: Urs Egger
  • Darsteller: Mina Tander, Nino Böhlau, Muriel Baumeister, Godehard Giese, Lena Dörrie, Alea Sophia Boudodimos, Tobias Oertel, Martin Baden, Aykut Kayacik
  • Drehbuch: Dagmar Gabler; nach dem Roman von Peter Andersson
  • Kamera: Konstantin Kröning
  • Schnitt: Andrea Mertens
  • Musik: Ina Siefert, Nellis du Biel
  • Produktionsfirma: Ziegler Film
Ein Psychodrama, bei dem die Unannehmlichkeiten hinter jeder Ecke lauern. Da ist die alleinerziehende Mutter Katharina. Mina Tander gibt der sich an ihren Sohn klammernden Frau ein warmes, fürsorgendes Lächeln mit und in ihrem Augenaufschlag klingt Mitleid an – also, was soll's, dann ist sie halt stärker auf ihren Sohn fixiert als andere Mütter. Oder? Nein, so einfach ist das nicht! Denn ohne das leiseste Wimpernzucken eines Peinlichberührtseins, ohne eine Unsicherheit ausdrückende Stimmfarbe, reißt sie Grenzen der Sozialnormen ein. Sie redet mit ihrem Sohn, wie mit einem kleinen Kind und lässt nahezu ihr gesamtes Privatleben sausen, um mehr Zeit mit ihm zu verbringen. Unentwegt kreist sie über ihm wie eine Helikoptermutter. Sie will ihrem 16-Jährigen an seinem ersten Arbeitstag Pausenbrot und Bier mitbringen. Sie wäscht ihm die Haare, während er ein Bad nimmt.

Der Sohn, Stefan, nahm seinen Schaden mit aus dieser engen Mutter-Sohn-Dynamik. Er hat, selbst für einen schüchternen Pubertierenden, verflixt wenig Ahnung, wie man sich gegenüber rüpelnden Kollegen und nervigen, ihm Beleidigungen hinterherwerfenden Passanten verhält. Zwar hat er ein Auge auf die junge Neue im Friseursalon geworfen, in dem auch seine Mutter arbeitet, jedoch hat er nicht den blassesten Schimmer, wie er ein Gespräch mit ihr führen könnte. Stefan ist sehr verschlossen, und hinter diesem Deckmantel der Verschwiegenheit versteckt er eine aggressive Sexualität. Nino Böhlau vermag es aber, die Charakterzeichnung Stefans so zu übermitteln, dass er nicht wie ein Psychopathen-Stereotyp wirkt: Sein Spiel ist nicht von Boshaftigkeit oder Trieben gesteuert – wenn er in Alltagssituationen nicht weiter weiß, liegt Traurigkeit in seinem Blick. Und wenn seine Filmmutter ihm zu nah kommt, reagiert er mal ganz unberührt, weil seine Figur es halt nicht anders kennt, und mal mit einem in ihm brodelnden Groll. Dann, wenn auch Stefan erkennt, dass dies zu viel ist, er sich aber nicht traut, die einzige Person, die für ihn da ist, vor den Kopf zu stoßen.

Die äußeren Umstände erschweren es Katharina und Stefan, sich einer gesünderen Beziehungsdynamik zu nähern. Sie leben in einer sterbenslangweiligen Kleinstadt, wo das Aufregendste der Gefühle die Möglichkeit ist, an abendlichen Kirchenchortreffen teilzunehmen. In einer Kleinstadt, in der in getuscheltem Tonfall und vorsichtig euphemisiert über das nächstgelegene Bordell gesprochen wird. Wo jeder jeden kennt und deshalb jeder Fehltritt hinterm Rücken des Fehltretenden ausdiskutiert wird – und manchmal führen zwei Bekannte dieses Gespräch sogar vor der Nase des Lästeropfers. Regisseur Urs Egger («Gotthard») und Kameramann Konstantin Kröning fangen die Enge und Piefigkeit der Kleinstadt in herbstlichen, schattigen Bildern ein – und dadurch, dass das Bild oft vollgestopft ist. Etwa im übermäßig dekorierten Friseursalon oder wenn ein kleiner Küchentisch übervoll gedeckt wird, weil Katharina glaubt, das gehöre sich so für ein Date. Gleichwohl vermeidet Egger die klischeehafte Zeichnung des Kleinstadtlebens, indem er der Innenstadt eine pittoreske Schönheit gestattet, die den Wohnstraßen abgeht.

Vor dieser Kulisse lassen Eggers sowie Drehbuchautorin Dagmar Gabler (nach der Buchvorlage von Peter Andersson) die nach sozialer Norm kaputte, sich für die Protagonistin aber heil anfühlende Welt von Katharina und Stefan umkippen. Als ein Mord in der Nachbarschaft geschieht, redet sich die beängstigte Mutter ein, dass ihr einsamer, kranker Sohn der Täter sein muss. Parallel dazu erhält Stefan langsam ein Rückgrat – und überkompensiert sein jahrelanges Dasein als Muttersöhnchen, indem er sich zum aggressiven Rebellen entwickelt.

Die Schlinge um die beiden Hauptfiguren zieht sich somit immer enger. Doch auch die um das Fernsehpublikum. Denn alle, die «Der Sohn» aufmerksam verfolgen, werden dazu gedrängt, für sich selbst die Doppelfrage zu beantworten: "Rechnen Sie mit der Auflösung, dass Stefan ein Frauenmörder ist? Oder ist er bloß schwer dabei zu pubertieren und interpretiert Katharina diese Rebellion fehl?" Und die Gegenfrage, was die eigene Vermutung wiederum auszusagen vermag, lässt «Der Sohn» ganz heimlich, aber gekonnt aufdringlich, für den Großteil der Laufzeit im Raum liegen. Ob die Entscheidung der Filmemacher, ein strenges Ende zu finden, statt die besagten Fragen offen zu lassen, gelungen ist – das liegt wohl im Auge des Betrachters.

«Der Sohn» ist am 6. September 2017 um 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.

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Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
Burpie
07.09.2017 16:33 Uhr 1
Insgesamt ein guter Film und der Schluß konsequent in der Tonart. Allerdings hätte auch ich mir ein eher offenes und damit realistischeres Ende gewünscht...
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