Die Kino-Kritiker

Fühlen Sie sich wohl?

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Film des Monats: «Fluch der Karibik»- und «Ring»-Regisseur Gore Verbinski erschafft mit «A Cure for Wellness» ein eindringliches Schauergemälde, das faszinierende Nebenwirkungen hat.

Arbeit, Arbeit, Arbeit, nichts als Arbeit. Schuften, um zu leben. Überleben, um mehr zu schaffen. Bis der tief in uns brodelnde Impuls, etwas zu leisten, formen und erschaffen, versiegt und selbst die ganz kleinen, total erschöpfenden Dienste im Namen der Firma zum Selbstzweck mutieren. Leistung wird zum Aushängeschild, um mehr Arbeit übernehmen zu dürfen. Auf Errungenschaften können wir uns nicht mehr ausruhen. Wir können uns überhaupt nicht mehr ausruhen. Wir müssen etwas tun, um uns lebendig zu fühlen. Es ist eine Krankheit, die in uns brütet …

Ein Großraumbüro, spät in der Nacht. Nur noch ein Schlipsträger hängt vor dem unnatürlichen Glühen seines Computerbildschirms, wie besessen hantiert er mit Zahlen, als ihm ein Brief eines Vorgesetzten ins Auge fällt. In diesem spricht der in eine Schweizer Erholungsstätte geflohene Vorstandsvorsitzende Pembroke (Harry Groener) in finsteren Worten die Diagnose aus, wir seien alle von einer Krankheit befallen und müssten Heilung und Ruhe finden. Kurz darauf stirbt der wortkarge Schreibtischtäter. Ob er vor Überarbeitung gestorben ist oder weil er die oberflächlich so psychotisch formulierte, doch grausame Wahrheit in Händen hielt? Danach fragt in seiner Firma niemand.

Entspannung. Stillstand. Reinheit – nicht nur der Seele. Wer sich jung fühlen will, muss konsequent durchgreifen in seiner Wellness-Behandlung. Mit gepflegter Haut, nimmermüdem Auftreten und Gelassenheit wird man schließlich nicht von allein gesegnet. Fühlen Sie sich wohl?

Handlungsbedarf sehen die Ranghöchsten des Unternehmens, das jüngst einen Mitarbeiter an den Sensenmann und einen Vorsitzenden an ein Schweizer Spa verloren hat, nur in einer Frage: Ein Betrug droht aufzufliegen, ein Sündenbock muss her. Den Schuldigen, ein ebenso junger wie ehrgeiziger Manager namens Lockhart (Dane DeHaan), würde man angesichts seiner Tüchtigkeit ungern verlieren. Daher soll er den nun pathetische Briefe über das Nichtstun verfassenden Pembroke zurück nach Amerika holen, damit man ihn irgendwie ans Messer liefern kann. Lockhart stimmt dem Deal ohne Widerrede zu und reist in einen der entlegensten Winkel des Alpenlandes. Das dortige Personal ist jedoch alles andere als kooperativ, vor allem der leitende Arzt Dr. Volmer (Jason Isaacs) streut Sand in das stramm getaktete Getriebe Lockharts, dem dieser Hort der Ruhe ziemlich suspekt vorkommt. Als seine Abreise immer und immer wieder verzögert wird, fängt Lockhart an, genauer hinzuschauen. Doch mit jedem neuen, wundersamen Detail, auf das er stößt, wird sein Verstand auf konsequent härtere Proben gestellt. Oder sind es nur die Toxine, die endlich seinen Körper verlassen?

Was man Langeweile nennt, ist eigentlich vielmehr eine krankhafte Kurzweiligkeit der Zeit infolge von Monotonie: große Zeiträume schrumpfen bei ununterbrochener Gleichförmigkeit auf eine das Herz zu Tode erschreckende Weise zusammen; wenn ein Tag wie alle ist, so sind sie alle wie einer; und bei vollkommener Einförmigkeit würde das längste Leben als ganz kurz erlebt werden und unversehens verflogen sein. Akzeptieren Sie die Diagnose!

Wer sich nur oberflächlich mit den Regiearbeiten Gore Verbinskis beschäftigt, könnte in Versuchung geraten, die im «A Cure for Wellness»-Marketing wiederholt getätigte Behauptung, er sei ein Visionär, als haltlos abzustempeln. Aber weit gefehlt. Der studierte Filmwissenschaftler, der seine professionelle Laufbahn als Musikvideo-Regisseur begonnen hat, weist etwas auf, das vor allem im Big-Budget-Kino vom Aussterben bedroht ist: Eine markante Handschrift, die dennoch flexibel genug ist, um Filmen unterschiedlicher Couleur gerecht zu werden. So eint Verbinskis Regiearbeiten vor allem eins: Sie vermengen diverse Tonalitäten und Filmgattungen, verneigen sich dabei vor der Historie ihres jeweiligen Hauptgenres – und sind dennoch äußerst individuelle Biester.

Diese Andersartigkeit bringt Verbinskis Filmen zuweilen großen Respekt und Erfolg ein. Sein Horror-Meisterwerk «Ring» wird beharrlich zu den eindringlichsten Genrestücken sowie zu den besten Remakes unserer Zeit gezählt – gerade, weil es nicht allein auf Schockmomente setzt, sondern ein intensiver Crime-Thriller mit in Mark und Bein übergehenden Horrorelementen ist. Verbinskis drei Beiträge zur «Fluch der Karibik»-Saga sind für unter Disney-Flagge auflaufende Abenteuerblockbuster verdammt düster und zudem verflucht-verwegene Mixturen aus Bombastunterhaltung, selbstbewusstem Slapstick, epochaler Fantasy-Mythologie und leichtgängiger Piratenaction – inszeniert mit der Wucht und Attitüde von Rockopern, aufgebaut nach der Logik von Spaghettiwestern. Eine volle Breitseite, die der Regisseur auf sein Publikum losließ – und dennoch waren diese äußerst verqueren Produktionen mit allen Salzwassern gewaschene Hits.

Mitunter scheint Verbinski seiner Zeit allerdings voraus zu sein: Als Regisseur, der nach eigener Aussage primär Filme nach seinem waghalsigen Gusto inszeniert, ist der bei aller Verrücktheit bis ins kleinste Detail Sorgfalt walten lassende Filmemacher wohl dazu verdammt, gelegentlich am kontemporären Massengeschmack vorbeizudrehen. Umso mehr reifen seine Arbeiten aber mit der Zeit – wie «Lone Ranger», eine immens unterschätzte, virtuose Achterbahnfahrt durch das gesamte Westerngenre mit all seinen Weltanschauungen, Erzähltempi und Härtegraden. Wenn so jemand nun durch ein Genrelabyrinth schreitet, dessen Korridore die Gefilde des Thrillers, Horrors sowie des surreal angehauchten Psychodramas durchziehen, dann geht das schlichtweg nicht ohne großes Tamtam.

Seine Zweifler werden vorurteilsbehaftet aufstöhnen. Sollen sie. Sie wissen nicht, was ihnen entgeht. Dann ist Gore Verbinskis neuestes Projekt eben satte 146 Minuten lang. Dann wurde es halt trotz des logistischen Aufwandes zu großen Teilen nicht im Studio, sondern in diversen Winkeln Deutschlands sowie in der Schweiz an realen Schauplätzen gedreht. Und dann streift die Produktion trotz hohen Budgets auf verdichtete Art Themen, wie man sie sonst eher im Arthouse-Bereich vermutet. Schlussendlich ist «A Cure for Wellness» ein paralysierender Höllenritt mit der Anmut eines morbiden, in Schweiß und Moder gemalten Gemäldes, dessen visuellem Rausch man sich von der ersten Minute an nicht entziehen kann.

Die Zweifler denken eben, man könne ein Bild malen, ohne sich den Kittel zu beschmutzen ... Doch der Weg zur Reinheit verlangt manchmal dreckige Augenblicke.

Verbinski, der sich die Geschichte von «A Cure for Wellness» gemeinsam mit «Zeiten des Aufruhrs»-Drehbuchautor Justin Haythe ausgedacht hat, erschafft sein komplexes Schauergemälde mittels einer widersprüchlichen Herangehensweise. An der Oberfläche dieses Suspensestücks, das die Tonalität einer jugendgotischen Erzählung mit der Atmosphäre des galanteren 70er-Gruselkinos und dem Verve der Hammer-Studios zu ihren Blütezeiten verschränkt, arbeitet der Oscar-Preisträger mit grobschlächtiger Symbolik: Workaholic Lockhart hat sich im Schnellzug seinen eigenen, kleinen Chaosschreibtisch aufgebaut – inklusive Nikotinkaugummi, Energiedrink, stapelweise Unterlagen und dem unvermeidlichen Laptop, auf dessen Tastatur der Manager einhämmert, als gäbe es einen Preis fürs Tastenmalträtieren. Kaum steht fest, dass Lockhart längere Zeit im Wellness-Sanatorium verweilen wird, bleibt seine Uhr stehen. Und das vornehmlich an Wirtschaftsmagnaten gerichtete Spa begann seine Geschichte als Ort eines dubiosen Adligen – die Ausbeuter von heute treffen sich im Anwesen der Leuteschinder von einst.

Diese große, laute, intensive Symbolik unterstreicht die gotischen Aspekte von «A Cure for Wellness», dem Verbinski, ähnlich seinen Piraten-Rockopern, eine operettenhafte Vehemenz verleiht. Stets ist alles eine Spur getragener als im heutigen Kino-Mainstream, es gleicht eher den dialogarmen Leinwandträumen von einst, aus Zeiten, zu denen noch keine so überdeutliche, künstliche Grenze zwischen Unterhaltung und Kunst gezogen wurde und eine energisch-verbitterte Kritikerminderheit deklarierte, dass nur die leisten Töne Kunst sind. An der Oberfläche reicht Verbinskis melancholisch-verwirrt-verstört-verbittertes Gefühlschaos mehrere Jahrzehnte zurück, als der kunstvolle, behänd-starke Ausdruck einer im Film geschilderten Situation noch als einnehmendes Können bewundert wurde. Unter dieser Ebene der markanten, mit dem groben Pinsel und schmetternder Opernintensität erschaffenen '70s Gothic'-Stimmung verbergen sich in «A Cure for Wellness» jedoch zahlreiche, feingliedrige Details. Diese verschränkt Verbinski scheinbar mühelos, so dass seine unter die Haut gehende, atmosphärische Analogie dennoch lebendig wird, und die wie ein impressionistisches Gemälde erscheinende Welt zu atmen beginnt sowie die von Traumlogik durchzogene Erzählung dennoch eine beunruhigend-schwammige Plausibilität erlangt.

Daher ist nicht ganz eindeutig, in welcher Art Filmuniversum «A Cure for Wellness» denn nun spielt. Beginnt all dies in einem direkten Abbild unserer Realität? Nur betrachtet durch die meisterlich geführte Kamera Bojan Bazellis («Ring»), der die Wirklichkeit so ausleuchtet, dass sie ein kränkliches Grün-Blau-Grau annimmt und fast sämtliche Rottöne und somit an Wärme verliert? Sind die zunehmend abstruseren Geschehnisse im Erholungszentrum nur Einbildung, dem Kinopublikum nahe gebracht durch einen unglaubwürdigen Erzähler? Ist «A Cure for Wellness» vielleicht eher eine die Wirklichkeit verzerrende, mahnende Metapher vor der völligen Verausgabung? Eine dunkelromantische, von Weltschmerz durchzogene Selbstfindungsgeschichte vor abgeschmacktem Hintergrund? Oder eher ein besonders malerisch verwirklichter Nervenheilanstaltsschocker mit für intellektuellen Anspruch sorgenden Verweisen auf Thomas Manns Bildungsroman «Der Zauberberg»?

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