First Look

«Eine Reihe betrüblicher Ereignisse» bei Netflix: Doppelt und dreifach magisch

von   |  3 Kommentare

2017 ist noch jung, trotzdem wird es keine verrücktere Serie in diesem Jahr geben als diese. «Eine Reihe betrüblicher Ereignisse» durchbricht die serielle Innovationsarmut im Minutentakt – und serviert den besten Neil Patrick Harris aller Zeiten.

Cast & Crew

  • Kreiert von: Mark Hudis nach der Buchreihe von Lemony Snicket
  • Darsteller: Neil Patrick Harris, Patrick Warburton, Joan Cusack, Malina Weissman, Louis Hynes u.a.
  • Regie: Barry Sonnenfeld
  • Autor: Daniel Handler
  • Ausf. Produzenten: Cindy Holland, Daniel Handler, Barry Sonnenfeld
  • Produktion: Paramount Televison für Netflix
  • Episoden: 8 in Staffel 1
„Look away, look away, look away…“ Wir Zuschauer sind nicht willkommen, macht man uns unmissverständlich klar, von der ersten Sekunde an. Schaut nicht hin, was wir euch erzählen, es ist eine durch und durch betrübliche Geschichte. Die Story habe kein Happy Ending, aber auch kein „happy beginning“, wie der Erzähler uns schnell vorträgt, und auch in der Mitte gebe es nicht viel Freudiges.

Diese Eröffnungsszene, dieser Monolog, er brennt sich ein im Kopf des Zuschauers. Nicht nur, weil Serien höchst selten mit der direkten Ansprache an das Publikum beginnen – der «House of Cards»-Effekt. Sondern auch, weil wir es nicht gewohnt sind, verstoßen zu werden. Sonst werden wir wertvollen Zuschauer mit offenen Armen empfangen, man biedert sich uns an, man nimmt uns gern als selbstverständlich hin. Hier, bei «Eine Reihe betrüblicher Ereignisse», sind wir nicht erwünscht. Ein wundervoller Kunstgriff, uns noch neugieriger machen als ohnehin schon.

Und je mehr wir diese uns gebotenen Ereignisse verfolgen, desto mehr können wir dem ominösen Erzähler Glauben schenken: Die Geschichte ist wahrhaft betrüblich und grau. Was zu einer wunderbaren Selbstreflexion führt. „Look away“: Jedes Mal, wenn am Anfang der nächsten Episode die Intro-Sequenz vorgetragen wird, denken wir über das bisherige Geschehen nach. Und wir erkennen, dass nichts freundlicher und besser wurde, sondern eher schlimmer. Der Erzähler soll recht behalten; das Intro wird mit jeder Folge authentischer. Und wir bleiben gefesselt.

Neil Patrick Harris in seiner fiesesten Rolle


«Eine Reihe betrüblicher Ereignisse» erzählt von den drei Geschwistern Violet (14 Jahre alt), Klaus (12) und Baby Sunny Baudelaire, die plötzlich zu Waisen werden. Ihre reichen Eltern sterben bei einem Feuer, dem das gesamte Anwesen der Baudelaires zum Opfer fällt. Sie hinterlassen den Kindern zwar keinen Wohnsitz, aber ein finanzielles Vermögen. Dieses darf die Älteste Violet allerdings erst verwalten, wenn sie volljährig ist. Bis dahin sieht das Testament einen Vormund vor, der die Kinder angemessen erziehen soll. Über unglückliche Umwege fallen sie so in die Hände des Grafen Olaf. Er beutet die Kinder aus und lässt sie schuften, gleichzeitig hat er es auf das Vermögen abgesehen und versucht mit allen Mitteln, in dessen alleinigen Besitz zu gelangen. Schnell erkennen die Kinder ihre unglückliche Lage. Sich jedoch auch aus den Fängen des schlauen Grafen zu befreien, erfordert viel Fantasie und Skrupellosigkeit.

Die eigentliche Geschichte um die Baudelaire-Kinder ist nicht allzu tiefgründig, die Handlung wenig komplex. Sie könnte schnell erzählt werden. Dies liegt auch daran, dass die Netflix-Serie auf einer gleichnamigen Kinderbuchreihe des US-Autors Lemony Snicket (Pseudonym) basiert. Die Reihe erschien in 13 Bänden bis 2006 und wurde schnell zu einem Klassiker der amerikanischen Kinderbuchliteratur. Ein Hollywood-Film mit Jim Carrey interpretierte die Erzählungen 2004 wenig erfolgreich – die nun gestartete Netflix-Serie ändert dies auf zauberhafte Art und Weise. Es sei erwähnt, dass auch – oder besser: vor allem – Erwachsene ihren Spaß mit dieser neuen Adaption haben werden.

Weil also die Handlung, der Inhalt, wenig Tiefgang bietet, hat Netflix die Form zum eigentlichen Hingucker stilisiert: Schon in den ersten Minuten zeigt sich eine ganz eigenartige Welt, in die wir entlassen werden. Eine eigenartige Welt im wahrsten Sinne des Wortes. Dies liegt nicht nur am angesprochenen Erzähler, der die Handlung immer wieder unterbricht und uns Zuschauer so aus der Immersion herausreißt, sondern auch an Farbgebung, bewusster Sterilität, an kalten Charakteren. Fast die gesamte Serie wird untermalt mit fantasievoll-aufdringlicher Musik; krude Gesangseinlagen im Musical-Stil gibt es ebenfalls. Kameraführung und Einstellungen sind so unvorhersehbar wie unkonventionell. Figuren stempeln sich als stereotyp ab; selbstreferentiell ist die Serie immer wieder. Selten ist vorhersehbar, was als nächstes geschieht. So hält die Serie ihre Spannung aufrecht, und sie fördert gleichzeitig die Imagination des Zuschauers.

Einzigartig ist das pedantische Spiel mit der (korrekten) Sprache, das oft ausufernd zelebriert wird: Da wird über die unterschiedliche Bedeutung von literally und figuratively sinniert, über richtige Aussprache und über Reime; eine subtile Ironie wird so im Großteil der Serie verankert. Selten wurden Serien-Dialoge so einfallsreich geschrieben wie hier. Sie kaschieren nicht nur die oberflächliche Handlung, sie machen sie vergessen. Es sei daher angeraten, die Serie im englischen Original zu sehen. Schauspielerisch befindet sich das Netflix-Format dank Neil Patrick Harris auf höchstem Hollywood-Niveau. Der «How I Met Your Mother»-Star porträtiert den grausamen Grafen Olaf mit einer so wechselhaften Mimik und Gestik, dass man nur staunend zuschauen kann. Auch die anderen Darsteller überzeugen vollends.

«Eine Reihe betrüblicher Ereignisse» ist eigentlich kaum vergleichbar mit anderen Werken aus Film und Fernsehen, weil ihr Mix all dieser Stilmittel eine ganz eigene Atmosphäre erzeugt. Wenn aber die Serie stilistisch an etwas entfernt erinnert, dann sind es manche Werke von Tim Burton. Die Netflix-Serie wirkt dabei so, als sei Willy Wonka in einen Topf voller bunter Rasierklingen gefallen. Dies wird nicht jedem Zuschauer gefallen; dazu ist das Format letztlich zu grimm, zu ironisch, zu eigenwillig. Trotzdem ist sicher: Verrückter als mit diesem Juwel wird das Serienjahr 2017 nicht.

Die Serie ist ab Freitag, 13. Januar 2017, auf Netflix abrufbar.

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Es gibt 3 Kommentare zum Artikel
Malte
12.01.2017 12:39 Uhr 1


Nein, danke. Wie ist die deutsche Synchro geraten? Berlin oder München? Ist Philipp Moog auf Harris zu hören?
Schnuffi73
16.01.2017 19:09 Uhr 2
Die deutsche Synchro leidet ein wenig unter mangelhaft umgesetzten Wortspielen, die im deutschen halt anders funktionieren. Trotzdem ist es liebevoll gemacht.

Trotzdem, wenn mein Englisch besser wäre, würde ich das Original genießen.
Vittel
16.01.2017 21:46 Uhr 3
Sieht sehr interessant aus, das werde ich mir demnächst mal ansehen.
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