Die Kritiker

«The Tick»: Idee gegen Umsetzung

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In den USA ist der blau gekleidete, verblendete Superheld zwar kein Erfolgsgarant, sehr wohl aber Kult. Wie schneidet bei Amazon sein neuster Anlauf ab?

Hinter den Kulissen

  • Idee und Drehbuch: Ben Edlund
  • Regie: Wally Pfister
  • Darsteller: Peter Serafinowicz, Griffin Newman, Valorie Curry, Brendan Hines, Jackie Earle Haley, Yara Martinez, Kyle Catlett
  • Produktion: Peter Serafinowicz, Patrick Warburton
  • Musik: Chris Bacon
  • Kamera: Bryce Fortner
  • Schnitt: Harry B. Miller III
In einer Medienwelt voller Superheldengestalten ist The Tick noch immer ein seltsames Biest: Mitte der 80er von Comickünstler Ben Edlund als Maskottchen erdacht, bekam er alsbald eigene Geschichten spendiert. Diese zeigen die Titelfigur als durchgeknallte, großspurige, aber gutmütige Type, deren Abenteuer als absurde Parodien auf das Superheldengenre dienten. Mitte der 90er gelang dem blau gekleideten Hünen ohne jegliche Erinnerung an sein früheres Dasein der Sprung ins Fernsehen. Die Zeichentrickserie «Der Tick» brachte es zwar nur auf 36 Folgen (aufgeteilt in drei Staffeln), vor allem in den USA erarbeitete sich die schrille Superheldensatire dennoch eine treue Fangemeinde.

2001 nahm Edlunds Schöpfung dann eine neue Gestalt an, und zwar als Realfilmserie. Das nach nur neun Episoden vom Network FOX wieder aufgegebene Format imitiert einen Sitcom-Stil und zeigt Superhelden außerhalb ihres Arbeitslebens. 15 Jahre später haucht Edlund, der auch bei «Supernatural» und «Powers» seine Finger im Spiel hat, dem kuriosen Heroen ein weiteres Mal neues Leben ein. Nach einer manischen Trickserie und einer „«Seinfeld» trifft Superhelden“-Sitcom ist die neuste Version von «The Tick» eine schwermütigere Neuinterpretation der nischigen Kultfigur – wohlgemerkt noch immer mit einer Dosis Absurdität.

Die Geschichte ist in einer Welt nicht ungleich der von «Powers» angesiedelt: Seit eines sonderbaren Vorfalls im Jahre 1908 ist allen bestens bekannt, dass es Superhelden und Superschurken gibt – und die drögen Normalos versuchen, zwischen deren Kämpfen ein geradliniges Leben zu führen. Für Arthur Everest (der in anderen «The Tick»-Versionen zum Sidekick des Titelhelden wird und den hier Griffin Newman verkörpert) lief dies allerdings nicht erfolgreich ab: Er verlor 1996 seinen Vater in Folge eines Kollateralschadens im Zwist eines Superheldenteams mit dem übermächtigen Terror (herrlich überzogen: Jackie Earle Haley). Arthur wurde somit zu einem von Traumata und Paranoia zerfressenen Versager, der nun, 20 Jahre später, unglücklich vor sich hinvegetiert – und der davon überzeugt ist, dass Terror noch immer sein Unwesen treibt und sogar im Besitz seiner Heimatstadt ist. Dass Superian (Brendan Hines), der erste Superheld auf Erden, ihn eigenhändig ein für alle mal ausgeschaltet haben soll, bezweifelt Arthur konsequenterweise. Als er eines Nachts bei seinen Recherchen den unverletzbaren, prahlende Monologe daherschwafelnden Helden Tick (Peter Searfinowicz) trifft, zweifelt Arthur dann letztlich selber an seinem Verstand …

Die Regie bei der Pilotfolge übernahm Wally Pfister – seines Zeichens Kameramann bei den meisten Christopher-Nolan-Regiearbeiten, darunter bei der «The Dark Knight»-Trilogie, deren geerdetes Verständnis von Superhelden hier gemächlich auf die Schippe genommen wird. Auf dem Papier ist Pfister somit eine spannende Wahl für den Regieposten – in der Praxis derweil unterstreicht «The Tick» die Befürchtungen, die über Pfister seit seines Kinoflops «Transcendence» und seiner «Flaked»-Episode bestehen:

Pfister hat ein wundervolles Auge und kann starke Bilder kreieren, was auch in diesem überdurchschnittlich gut aussehenden Piloten zu bemerken ist. Als Geschichtenerzähler eignet er sich aber weniger. Die Pointen, von denen dieser Serienauftakt aufgrund seines Ansatzes eh deutlich weniger aufweist als ein durchschnittliches «The Tick»-Abenteuer aus früheren Versionen, versanden während dieser Pilotfolge immer wieder in einer nüchtern-spröden Inszenierung. Dabei gelingt es Pfister trotz des ulkig-knalligen Kostüms des Titelhelden nur sehr selten, die cartoonigen Aspekte als überraschende Gegenstücke zur restlichen Stimmung der Pilotfolge zu setzen: Abgesehen von einer Rückblende, die den Tod von Arthurs Vater zu einer zynisch-übertriebenen Lachnummer abstempelt, wirken die bewussten tonalen Ausrutscher ins Comichafte zu sachte, um zu zünden. Es mangelt an der nötigen Finesse, um diese spaßig-verrückten Momente schillern zu lassen, und sie dennoch nahtlos in die restliche Erzählung einzupflegen.

Umso mehr stellt sich die Frage, ob weitere Folgen unter anderer Regieführung, und ohne die übliche Pilotfolgenproblematik, in wenigen Minuten sehr viel erklären zu müssen, mehr aus diesem Ansatz holen könnten. Peter Searfinowicz verspricht, eine gute Besetzung für die Titelrolle zu sein: Wenn der Mime mit stolz geschwellter Brust in seinem albernen Kostüm herumspaziert und trocken lacht, während er angeschossen wird, oder wenn er mit jeder Menge Pathos in der Stimme einen schwachsinnigen Monolog hält, hat dies durchaus Potential, in einer runderen Umsetzung enormen Spaß zu bereiten. Und einen Hauch Dramatik bringt Searfinowicz ebenfalls mit, wirkt seine Version von The Tick doch mit seinem hohlen, gleichwohl entschlossenen Blick zudem irre – was Türen für schneidende Entwicklungen offen lässt.

Griffin Newman unterdessen vermag es, seinen Arthur glaubwürdig als nervöse, gescheiterte Existenz mit Köpfchen darzustellen, kann im Piloten aber nicht gegen die durchwachsenen Dialoge anspielen. Bleibt für «The Tick»-Fans also nur zu hoffen, dass gute Bewertungen während der aktuellen Amazon-Pilot-Season und die Namhaftigkeit der Serienmacher das Unternehmen dazu bewegen, weitere Folgen in Auftrag zu geben – und dass sich das gebotene Potential in einer vollständigen Staffel besser entfaltet.

Die «The Tick»-Pilotfolge ist derzeit bei Amazon frei verfügbar.

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