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Virtual Reality: Die Revolution im Wohnzimmer

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Auf der Gamescom ist Virtual Reality Gesprächsthema Nummer eins. Die Technologie wird neben dem Gaming auch verändern, wie wir Filme und Serien erleben. Zu den Pionieren gehören: Jon Stewart, HBO und die NBA.

Wenn man die Brillen im Einsatz beobachten, wenn man sieht, wie Menschen mit ihnen agieren und in fremde Welten eintauchen, wenn man selbst schon einmal Virtual Reality erlebt hat: Man fühlt sich an Science Fiction erinnert. An Geschichten wie «Total Recall» zum Beispiel, in der die Menschen mit sogenannten Mind Trips aus ihrem tristen Alltag fliehen können. Die Trips ermöglichen, die eigenen Träume zu verwirklichen: Zumindest für eine kurze Zeit kann man in die Erinnerung des US-Präsidenten eintauchen, man kann Tiefseetaucher sein oder Hollywoodstar.

VR-Brillen kommen dieser Fiktion nun näher, die Sinneseindrücke werden durch das neue Setup intensiver erlebt. Das Stichwort Immersion wird oft genannt – man taucht stärker in die Welten ein, die erkundet werden wollen. Dies geschieht dadurch, dass die Brillen das komplette Sehfeld blickdicht einnehmen. Der virtuellen Realität kann nur noch entflohen werden, wenn man das Gerät vom Kopf reißt. Über Kopfbewegungen bestimmt man die Blickrichtung seines Avatars, Handbewegungen können mit speziellen Controllern die klassische Steuerung in einem Spiel übernehmen.

VR simuliert bisweilen so realitätsnah, dass unser Gehirn nicht mehr verarbeiten kann, dass wir uns in einer Fiktion befinden. Dies kann zum Positiven genutzt werden: Die Brillen werden medizinisch eingesetzt, heilende Wirkungen sind beispielsweise bei Traumapatienten belegt. Das Risiko spielt bei neuen Technologien aber immer mit: In einer Tech-Demo von Sony konnten Spieler ihren eigenen Selbstmord simulieren. Doch nachdem die Probanden die Pistole an ihre eigene virtuelle Schläfe gesetzt und abgedrückt hatten, litten sie unter extremem psychischen Stress. VR kann auch Traumata auslösen. „Dieses Medium ist sehr mächtig, deshalb müssen wir vorsichtig mit dem sein, was wir anbieten“, erklärt Sony-Chef Shuhei Yoshida deshalb.

Auf der Gamescom ist die Technologie das Thema Nummer eins: Im Oktober wird Sony seine VR-Brille für die PlayStation 4 veröffentlichen, bereits jetzt sind Gadgets wie die Oculus Rift oder HTC Vive für leistungsstarke PCs zu kaufen. Für den Massenmarkt sind die Preise noch zu hoch. Aber die Technologie hat das Potenzial, unser Entertainment-Erlebnis nachhaltig zu verändern. Hinter den Brillen stehen die namhaftesten Tech-Firmen, darunter Facebook (Oculus Rift), Microsoft (HoloLens) oder Sony (PlayStation VR). Sie wollen nicht den Gaming-Markt umkrempeln, sondern gleich das ganze Wohnzimmer. Auch Filme und Serien sollen der virtuellen Realität beitreten.

Die ersten Knospen dieser Entwicklung sind bereits da: Schon öfter ließ HBO verlauten, dass man an den Fortschritten von VR sehr interessiert sei. Im Frühjahr investierte der Pay-TV-Gigant dann 300 Millionen Dollar in das Start-Up Otoy, das 3D- und VR-Inhalte produziert. Auch Discovery Communications beteiligte sich an der Firma. Zu den Content-Produzenten von Otoy gehört auch Comedian Jon Stewart: „Otoy ist unglaublich! Das ist eine grenzenlose, unglaublich kreative Plattform. Mein Traum ist es, irgendwann einmal zu verstehen, wie die Entwickler das hinbekommen haben“, sagt Stewart scherzhaft. In den nächsten vier Jahren wird Otoy für HBO Inhalte produzieren, zunächst kleinere Filme. Betitelt wird das Ganze als holographic content — der noch nicht näher definiert ist. Lediglich das: Man werde „ neue Entertainment-Erfahrungen für Konsumenten über alle Plattformen hinweg anbieten, über TV, Web, soziale und wearable Technologien wie virutelle und augmentierte Realität.“ Viele Fremdwörter, große Ziele. Jon Stewart wird liefern müssen.

Virtual Reality: Sportliches Storytelling


HBO ist nicht allein mit seinem Interesse, auch Mitbewerber Netflix investiert. Schon im letzten Jahr wurde die App für Samsungs VR-Brille veröffentlicht, inklusive 360-Grad-Rundumblick. Die eigentlichen Inhalte – Filme und Serien – sind aber selbstverständlich noch nicht für VR produziert, allerdings besteht die technische Möglichkeit dazu. Die US-Basketballliga NBA will zu den VR-Pionieren gehören: Der alte Marketing-Spruch „Mittendrin statt nur dabei“ wird jetzt wahr, man kooperiert mit dem Anbieter NextVR. Dieser produziert Livesport, Konzerte und Reiseberichte im Virtaul-Reality-Format. Sprich: Man kann als Zuschauer virtuell zu Coldplay auf der Bühne abtanzen, am Grand Canyon in die Tiefe schauen oder im Stadion in der ersten Reihe sitzen. Allerdings sind diese Produktionen noch an einem festen Standort verankert, bewegen kann man sich also nicht im Raum, anders als bei Games oder Filmen. Mit Fox Sports hat NextVR in diesem Jahr eine langfristige Partnerschaft geschlossen. Es geht um nicht weniger als das Ziel, das Sporterlebnis für den Zuschauer zu revolutionieren.

Auch die großen Hollywood-Studios sehen in VR die Zukunft. Für sie ist es ein Weg, dem passiven Medium mehr Leben einzuhauchen und zu ermöglichen, dass Zuschauer auch beim dritten oder vierten Schauen Neues entdecken. Zur Vision gehört eine neue Art von Storytelling, in der jeder die Geschichte potenziell anders erlebt: je nachdem, welche Blickwinkel er einnimmt oder mit welchen Charakteren er interagiert. So verschmelzen Gaming und Film. Produzenten müssen dafür mit klassischen Grundsätzen brechen, beispielsweise der linearen Story. Für ein Medium, das über ein Jahrhundert alt ist, wird dies ein herausfordernder Prozess. Aber auch einer mit vielen Chancen.

„Das kreative Denken wird sich ändern“, sagt Andy Cochrane vom VR-Studio Mirada, das Filmemacher Guillermo del Toro gegründet hat. „Wir sprechen nicht mehr darüber, Geschichten zu erzählen. Sondern wir erschaffen Erlebnisse, die man erfahren kann.“ Auf der Medienmesse CES in Las Vegas konnten Fachbesucher sich von den Möglichkeiten bereits überzeugen: 20th Century Fox bat dort zur «The Martian VR Experience», produziert von Ridley Scott und basierend auf dem Kinofilm. Im 20-minütigen Erlebnis schlüpft man in die Rolle von Astronaut Mark Watney (Matt Damon), der auf dem Mars ums Überleben kämpft. Für die Öffentlichkeit wird der interaktive Film in diesem Jahr veröffentlicht. Auch alle anderen Filmstudios experimentieren mit solchen kleinen Projekten, darunter Warner Bros. und Disney. „Wir kratzen derzeit nur an der Oberfläche davon, wie Hollywood und VR das Entertainment revolutionieren werden“, sagt Mike Dunn, Präsident von 20th Century Fox Home Entertainment. Er spricht von einem neuen Medium des Storytelling.

Wie sehr und vor allem wie schnell VR in unserem medialen Alltag Einzug halten wird, ist schwer vorherzusagen. Die technologische Entwicklung ist dabei nur zweitrangig. In erster Linie wird es darauf ankommen, wie Kreative und Produzenten die Technologie nutzen und ob sie weiter denken als bis zum nächsten 360-Grad-Video. Die Ankündigungen zumindest sind großspurig, bisweilen vielleicht schon vermessen. Auf der anderen Seite sind die Möglichkeiten riesig.

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