Hingeschaut

«Uncovered»: Viel Style - aber auch viel Substanz

von   |  1 Kommentar

Mit einer neuen Reportage-Reihe versucht sich ProSieben an Imagepflege und Relevanz. Und obgleich sich das Format mit Thilo Mischke etwas arg an den eigens gefilmten Aufnahmen erfreut, weiß es inhaltlich zu punkten - vor allem hintenraus.

Infos zu Thilo Mischke

  • Journalist, Autor und TV-Moderator
  • schrieb bereits Beiträge für diverse Zeitungen und Zeitschriften (u.a. dpa, VICE, GQ, Playboy, Stern, Bild am Sonntag)
  • verfasste insgesamt drei Bücher (u.a. den Bestseller «In 80 Frauen um die Welt»)
  • ist seit 2012 Teil des «Galileo»-Teams, aber auch immer wieder bei anderen Formaten (u.a. «Unter fremden Decken») und anderen Sendern («Heiß & Fettig!», ZDFneo)
Es ist nicht ganz aus der Luft gegriffen, ProSieben hämisch als Dauer-Abspulstation US-amerikanischer Sitcom-Ware zu bezeichnen. Ein wenig unfair mutet es angesichts der zahlreichen (und oftmals wenig erfolgreichen) Serien-Neustarts, Blockbuster und hochwertigen Shows vor allem am Samstagabend aber doch an. Wenn der Unterföhringer Privatsender sich sogar zu einigermaßen prominenter Sendezeit gegen 22:05 Uhr dazu hinreißen lässt, dokumentarische Inhalte über den Äther zu schicken, sollte selbst dem schärfsten Kritiker zumindest ein anerkennendes Nicken möglich sein - denn mit informativen Inhalten beim Massenpublikum zu punkten, ist seit vielen Jahren im Privatfernsehen eher die Ausnahme als die Regel. Und nein, «Uncovered» ist keine dieser Pseudo-Reportagen, die unter dem Deckmantel der Informationsvermittlung billigsten TV-Voyeurismus betreiben. Lediglich auf Belehrung und Bildung wollte man sich allerdings dann auch nicht verlassen.

Thilo Mischkes Reportage-Reihe hat es sich zum Ziel gesetzt, Menschen zu begleiten, "die in einer Schattenwelt leben" und gemeinhin äußerst kamerascheu sind. Weil sie etwas zu verbergen haben, weil sie in sozialen Gruppen verkehren, in denen Telegenität nicht unbedingt als ein erstrebenswertes Talent gilt, weil sie wohl auch Vorurteile gegenüber Film und Fernsehen hegen und sich nicht gerne als Gaffobjekte des bierbäuchigen Sofahelden hergeben möchten. In der ersten Episode handelt es sich dabei um Gangs verschiedener Arten an unterschiedlichen Orten - in erster Linie in Japan, Brasilien und El Salvador.


Visuelle Stilisierung zu Beginn...


Die Aufbereitung geizt nicht gerade mit einer gewissen Stilisierung der Gang-Thematik, schließlich haben so ein paar Brummer auf ihren Motorrädern und auf Hochhäusern sprayende Graffiti-Künstler auch gehörigen Schauwert, dem man sich insbesondere im vergleichsweise noch harmlosen ersten Drittel der Reportage in Japan oft und gerne hingibt. Das von der Kamera gefilmte Material ist in der Tat ein absoluter Hingucker, der Schnitt höchst professionell und die musikalische Untermalung voll auf der Höhe der Zeit - insbesondere dem Dubstep haben sich die Verantwortlichen der Sendung offenbar verschrieben.

Was bei aller Ästhetisierung nicht vergessen werden darf, ist der damit verbundene Informationsgehalt, da sich ansonsten im Rahmen einer Reportage jedes noch so starke Bild dem Vorwurf stellen muss, reiner Selbstzweck zu sein. Hinsichtlich dessen lässt sich eine Dreiteilung erkennen: In Japan stehen zunächst eher Entertainment und Optik im Zentrum des Geschehens. Die gesellschaftliche Keimzelle, aus der sich letztlich eine Brut wie die mafiöse Yakuza entwickeln kann, wird nur am Rande und recht oberflächlich thematisiert. Überdies werden die Bezüge und eventuellen Divergenzen zwischen der Yakuza und der Bosozukus-Motorrad-Gang oberflächlich behandelt, sodass sich der Informationsgehalt hier noch in relativ eng gefassten Grenzen hält.


...und mehr Gehalt zum Ende hin


Auch beim Übergang nach Brasilien wird die dort ansässige Pixadores-Graffiti-Gang zunächst eher in ihrer "Coolness" präsentiert, in manchen Einstellungen sogar fast ein wenig heroisiert. Doch ob es Zufall, Kalkül im Hinblick auf ein langsames Herantasten an das kognitive Zentrum der anvisierten jungen Zielgruppe oder vielleicht auch die gestörte Wahrnehmung des Rezensenten ist, der einen Dreischritt sehen möchte, wo keiner vorhanden ist: Allmählich tastet man sich an soziale, gesellschaftliche und politisch-institutionelle Probleme heran, die eine solche Gang-Kultur erst befeuern. Sehr nachdenklich und bedrückend wird schließlich der Grundton in El Salvador, einem der gefährlichsten Länder der Welt außerhalb von Kriegsgebieten: Hier gehört Mord und Totschlag zwischen den Gangs, aber auch zwischen ihnen und dem kollektiv und systematisch versagenden Staatsapparat zum traurigen Alltag, der Outlaw- und ritualisierte Bruderschafts-Pathos verliert jeden Reiz, wenn man das sinn- und verstandsentleerte Gemetzel vor Augen geführt bekommt.

Insofern ist «Uncovered» nicht nur dramaturgisch, sondern wenn man so weit gehen möchte auch didaktisch clever konstruiert: Zunächst macht man sich ein wenig zum Handlanger der Selbstdarstellung dieser Gruppierungen, um sich danach sukzessive in die gesellschaftlichen Missstände hinein zu arbeiten, die vielerorts erst ihren Nährboden darstellen und schließlich die Grausamkeiten offenlegen, die mit ihnen einhergehen. Das ist sicherlich wirkungsvoller als eine knapp anderthalbstündige Zeigefinger-Reportage, lässt das junge Publikum mit dem stets interessiert und authentisch wirkenden Drehteam sympathisieren und hat den angenehmen Nebeneffekt, dass man mit Bildgewalt arbeiten kann, ohne sich im Nachgang allzu vielen ethischen Vorwürfen stellen zu müssen.

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Sehr gut, ich freue mich schon auf die weiteren Folgen.
49,1%
War in Ordnung, da kann man zumindest mal reinschauen.
11,1%
Ganz mies, das muss ich nicht noch einmal sehen.
8,3%
Habe es (noch) nicht gesehen.
31,5%


Mit dieser Mischung hebt sich die Sendung von den informativeren, aber eben auch sperrigeren, anstrengenderen und unnahbarer wirkenden Dokus und Reportagen der Öffentlich-Rechtlichen ab, ohne zum inhaltlichen Vakuum zu verkommen, das außer geilen Bildern und protzigem piktoralen Protz nichts zu bieten hat. Der Auftakt in die ProSieben-"Wissensoffensive" (mehr dazu hier) ist also als gelungen zu bezeichnen und bietet authentische und interessante Einblicke in eine soziokulturelle Sphäre, von der man nicht täglich so umfassende Impressionen erhält. Ob guter Inhalt in diesem Fall auch mit guten Quoten einhergehen wird, muss sich nun zeigen - verdient wäre ein Erfolg allerdings.

«Uncovered» wird auch in den kommenden drei Wochen jeweils montags gegen 22:05 Uhr bei ProSieben auf Sendung gehen. Im Anschluss daran läuft jeweils das Ranking-Format «10 Fakten» zum Thema der zuvor gezeigten Reportage.

Kurz-URL: qmde.de/86755
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Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
Lonewolff
12.07.2016 01:25 Uhr 1
Mir hat das Format heute sehr gut gefallen.



Ich würde diese Art der Berichterstattung einem "XXX in the Box" jederzeit vorziehen, welches mir oftmals viel zu gekünzelt und konstruiert wirkt.



Das hier war mMn eine starke und tiefgründige Dokumentation diverser unseglicher Zustände. Das Team um bzw. aus Galileo kann gerne öfter mal solch anspruchsvolle Themen aufgreifen und objektiv aufbereiten.

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