Die Kritiker

Vielbeschäftigt, ausgebrannt und ein bisschen zu irre

von   |  5 Kommentare

Die Kritiker: Das ZDF hat mit «Brief an mein Leben» das Buch von Miriam Meckel als Spielfilm adaptiert. Die Kritik zu einem Film über Burnout.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Marie Bäumer («Das Adlon.») als Toni, Christina Hecke («Barbara») als Maria, Hanns Zischler («München») als Dr. Pogel, Petra Morzé («Hannas Entscheidung») als Dr. Darius, Christina Große («Neufeld, mitkommen!») als Therapeutin, Annette Paulmann als Steffi, Antoine Monot, Jr. («Ein Fall für zwei») als Alex, Melanie Straub als Sarah, Jutta Wachowiak («Nach all den Jahren») als Mutter, Joachim Bißmeier als Vater und andere


Hinter den Kulissen:
Regie: Urs Egger, Buch: Laila Stieler frei nach Motiven des gleichnamigen Buches von Miriam Meckel, Musik: Ina Siefert und Nellis du Biel, Kamera: Wojciech Szepel und David Slama, Schnitt: Benjamin Hembus, Produzentin: Anna Oeller, Produktion: Bavaria Fernsehproduktion

Miriam Meckel ist eine vielbeschäftigte Frau. Sie leitet nicht nur das Institut für Medien- und Kommunikationsmanagement der Universität St. Gallen sondern führt nebenbei auch noch die Redaktion der Wirtschaftswoche. Wenn, gerade bei Erwähnung ihres Namens in General-Interest-Medien, dennoch zuerst erzählt wird, dass sie die Lebensgefährtin von Anne Will ist, scheint das zwar nachvollziehbar, wird ihren Leistungen aber keineswegs gerecht. Aber naja, Leistungen sind ohnehin das Stichwort. In dem Buch „Brief an Mein Leben“ hat Meckel ihre Erfahrungen zum Thema Burnout aufgeschrieben. Eine freie Adaption bringt das Buch nun in fiktionaler Form auf die Fernsehschirme, doch weit mehr als nur die Konturen von Meckels Leben bleiben klar erkennbar.

Der gleichnamige ZDF-Film, der ebenfalls auf den Titel «Brief an mein Leben» hört, erzählt die Geschichte der Ozeanographie-Professorin Toni, die bereits im jungen Alter durchgestartet ist. Genau wie Miriam Meckel selbst, ist sie die jüngste Professorin Deutschlands, kommt kaum zu Schlaf und hat das Wort „Pause“ wohl noch nie gehört. Man mag das Burnout-Syndrom als Modekrankheit abtun und sagen, dass Menschen doch nur Krank feiern. Genau für die Leute, die so etwas behaupten, ist es eine wichtige Debatte gewesen, die das Meckel-Buch 2010 neu entfacht hat. Der Diskurs in 2016 ist freilich schon ein ganzes Stück weiter. Es ist quasi gesellschaftlicher Konsens, dass Burnout eine folgenschwere und ernstzunehmende Krankheit ist, das Boreout ist das neue Debattenthema. Für den Spielfilm ist es also kaum mehr möglich, derart starke Wirkungen hervorzurufen, wie es das Buch noch tat. Folgerichtig konzentriert sich die Produktion darauf, den Zuschauer emotional anzusprechen anstatt den großen Diskurs zu suchen.

Gegenwart trifft Vergangenheit, Innensicht trifft Außensicht


Steckbrief

Frederic Servatius schreibt seit 2013 für Quotenmeter. Dabei ist er zuständig für Rezensionen und Schwerpunktthemen. Wenn er nicht für unser Magazin aktiv ist, arbeitet er im Verlag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung oder schreibt an seinem Blog. Immer wieder könnt Ihr Frederic auch bei Quotenmeter.FM hören. Bei Twitter ist er als @FredericSrvts zu finden.
Der auffälligste Erzählkniff sind diverse Flashbacks, die das Leben der Protagonistin langsam aber vorhersehbar aufrollen und ihre Entwicklung erklären sollen. Eine an sich glückliche Beziehung, die sich durch Entfernung und Überarbeitung schwierig gestaltet, findet sich in der nahen Vergangenheit. Beim Blick weiter zurück tut sich die Geschichte ihrer alternden Eltern auf, auch hier ist Krankheit ein Thema, genauso wie Einsamkeit.

Dazwischen tut sich Toni aber auch in ihrem neuen Umfeld schwer. Denn auch in der Klinik soll sie Termine einhalten – einfach da sein – sich aber zugleich auch menschlich annähern, während sie Kontakt zu ihrer Lebensgefährtin meidet. Sie hat Angst von den Patienten stigmatisiert zu werden, stigmatisiert sie aber zugleich selbst als „die Irren“, „die Bekloppten“. Dabei gelingt es der Produktion einerseits ein menschliches Bild der Figuren zu zeichnen, problematisch ist jedoch dass eine gewisse Distanz nie überwunden wird. Es kann jedem passieren, so eigentlich die Botschaft. Doch zugleich hat man vor dem Schirm nie den Eindruck, dass sich das eigene Schicksal in den Figuren, die kaum unterschiedlicher sein könnten, wirklich widerspiegelt. Denn vordergründig hat der Film eine Art menschliches Kuriositätenkabinett zusammengestellt, dessen Fassade nur mit einigem Interpretationsgeist fällt. So aber schlägt die Wirkung phasenweise eher ins Gegenteil um und sorgt eher für weniger als für mehr Verständnis.

Doch es gibt Sequenzen in denen es dann doch gelingt. Vor allem dann, wenn die vermeintlich Irren ihre Klinik verlassen und in die Welt da draußen gehen. Dann wirken sie zwar immer noch wie die Bekloppten, hier aber wird die Außensicht der Situation viel klarer gemacht. Es sind die Menschen außerhalb der Klinik die uns Patienten verurteilen. Dafür, dass wir Krank sind. Für etwas, für das wir nichts können und für das wir, selbst wenn es anders ist, nicht zu verurteilen sind. Doch die Unterschiedlichkeit der Perspektiven wird dabei zu selten herausgestellt.

Zum Eindruck des Kuriositätenkabinetts trägt auch Antoine Monot, Jr. bei, der in den vergangenen Jahren sein schauspielerisches Talent häufig auf großartige Weise bewiesen hat. Hier macht er aus seiner beinahe komisch angelegten Rolle noch das Beste, schafft es aber kaum etwas daran zu ändern, dass die Figur einfach nicht wirklich ins Skript passt. Auch Marie Bäumer macht ihre Sache als Protagonistin Toni ganz ordentlich. Sie lässt den Zuschauer die Verzweiflung der Situation und die schiere Ratlosigkeit spüren.

Der Baum ist Leben – Ach was.


Doch es gibt weitere Störfeuer, wie den Baum, der gleich zu Beginn als billige Metapher für das Leben auftaucht. Oder ein aus dem Nichts auftauchender Erzähler, der zum Ende hin die Einzelschicksale noch einmal vorträgt. Klar, jeder Einzelne zählt. Und vielleicht ist es auch einfach ein Mittel dies zu untermauern, wenn die Geschichten von Figuren auserzählt werden, deren Story vorher nie so richtig begonnen hatte. Doch den Zuschauer lässt dieses Stilmittel in erster Linie irritiert zurück.

Dass die Geschichte Dinge oft – gerade wenn Vater und Protagonistin betrachtet werden – auf küchenpsychologische Einfachheit runterbricht, ist aber wohl das auffälligste Störelement. Das aber wird immerhin gen Ende behoben, der Film bietet dann interessante Denkanstöße. Gerade eine wichtige Botschaft wie die Aussage, dass qualitative Ansprüche nicht durch Quantität behoben werden können, wird dann noch einmal unterstrichen – leider eventuell etwas zu leise.

Die Zuspitzung jedenfalls ist relevant und interessant, allein der Weg dorthin ist zu lang geraten und führt phasenweise auf nicht befestigte Feldwege. Für manches aber entschädigt das derb-realistische aber doch einfühlsame Finale schon und regt vielleicht Manchen zum Denken an. Schade nur, dass es vermutlich auch reichen würde, die letzten 20 Minuten des Films zu sehen. Für eine jedenfalls ist das Ganze gut ausgegangen: „Heute arbeitet Sie wieder und passt auf sich auf.“ So heißt es zum Schluss über die Protagonistin Toni, die ja doch eigentlich Miriam Meckel ist. Bleibt nur zu hoffen, dass letztere auch wirklich auf sich aufpasst. Schaut man sich die Aktivitäten der Dame an, dürften zumindest ernste Zweifel daran aufkommen.

«Brief an mein Leben» läuft am Montag, 25. April um 20.15 Uhr im ZDF.

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Es gibt 5 Kommentare zum Artikel
Sentinel2003
24.04.2016 11:47 Uhr 1
Die 40% geben meinem Nicht - Bedürfnis auf den Film fast Recht....
Seute Deern
24.04.2016 16:02 Uhr 2
Zunächst: Es ist schön, dass Frau Meckel ein Buch über ihre Erfahrungen mit Burn out geschrieben hat, aus dem Elemente übernommen wurden, aber ich sehe den Film schon ziemlich losgelöst von ihr. Es ist fürs Schauen ziemlich egal, ob Du Anne Will & Miriam Meckel-Fan bist oder Hasser oder die beiden überhaupt kennst. Der Film taugt was - einfach aus sich heraus.



Ich finde ja, Sie liegen mit ihrer Kritik ziemlich daneben. Ich konnte den Film schon sehen und fand ihn spannend. Eine Geschichte über eine Frau, die in eine Krise gerät und das Ausmaß nicht begreift, die nicht weiß, wo sie ansetzen kann.



Marie Bäumer spielt das phantastisch. Von mir bekommt der Film mindestens 95 Prozent.



Und nein, ich krieg von den Machern keine Prozente. Grüße!!
Frederic
25.04.2016 11:24 Uhr 3
@Seute Deern:

Was ich unterschreiben kann: Die Geschichte funktioniert ohne Kenntnis von Miriam Meckel oder ihrer Story. Dennoch ist die Person Meckel für mich klar erkennbar, sicherlich nicht in jedem Detail, aber die Gemeinsamkeiten sind bewusst beibehalten worden.



Die anderen Punkte sind selbstverständlich Ansichtssache, das ist bei Kritiken eben oft so. Ich bleibe dabei: Die Distanz zu den Figuren wird zu selten überwunden und zugleich die Außensicht zu wenig reflektiert.



Das ändert nichts daran, dass der Konflikt relevant und interessant ist und phasenweise eine hohe Intensität erreicht. Deshalb gibt es auch 40 Prozent, das ist eben einfach eine mittelmäßige aber keinesfalls eine ganz schlechte Bewertung.



Liebe Grüße

Frederic
Sentinel2003
26.04.2016 09:52 Uhr 4
40 % und 95 % sind schon ein deftiger Unterschied!!
Frederic
26.04.2016 11:54 Uhr 5
Das stimmt. Ich wollte auch nicht sagen, dass es das gleiche ist. Die Wahrnehmungen sind definitiv unterschiedlich. Wollte die in meiner Kritik vertretene Position nur nochmal untermauern.
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