Die Kino-Kritiker

«Bridge of Spies – Der Unterhändler»

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Mit dem charakteristischen Steven-Spielberg-Pathos erzählt «Bridge of Spies» von Beharrlichkeit, Aufrichtigkeit und den kleinen, menschlichen Schicksalen im Kalten Krieg.

Filmfacts «Bridge of Spies – Der Unterhändler»

  • Regie: Steven Spielberg
  • Produktion: Steven Spielberg, Marc Platt, Kristie Macosko Krieger
  • Drehbuch: Matt Charman, Ethan Coen, Joel Coen
  • Darsteller: Tom Hanks, Mark Rylance, Amy Ryan, Alan Alda, Austin Stowell, Jesse Plemons, Sebastian Koch, Bill Magnussen, Will Rogers
  • Musik: Thomas Newman
  • Kamera: anusz Kamiński
  • Schnitt: Michael Kahn
  • Laufzeit: 141 Minuten
  • FSK: ab 12 Jahren
Der Zeitgeist tendiert wieder gen Agentengeschichten: Die zwei vergangenen James-Bond-Filme «Skyfall» und «SPECTRE» gehören zu den größten Hits in der über 50 Jahre langen Kino-Historie von 007. Tom Cruise sorgte mit «Mission: Impossible – Rogue Nation» dafür, das seinen Kritikern die Spucke wegblieb. Und «Spy – Susan Cooper undercover» sowie «Kingsman: The Secret Service» zogen mit gänzlich unterschiedlicher Attitüde das Genre durch den Kakao. Im deutschen Fernsehen wiederum nimmt sich die Ausnahmeserie «Deutschland 83» der Thematik 'Spionage im Kalten Krieg' mit Anspruch an.

Wo diese Welle an Agentenstoffen in der Popkultur aktuell herrührt? Gewiss spielt es durchaus eine Rolle, dass die NSA-Abhörskandale und Streitigkeiten zwischen verschiedenen Geheimdiensten über Zuständigkeit aus den Nachrichten kaum wegzudenken sind. Und nicht nur diese Themen werden gesellschaftlich heftig diskutiert: Fragen über Sicherheit, Privatsphäre und die unübersichtliche Einordnung weltpolitischer Allianzen gehören längst zum Alltag. Schlagwörter, mit denen in der Welt der Geheimdienste unentwegt umgegangen werden muss.

Steven Spielbergs «Bridge of Spies – Der Unterhändler» befährt diese thematischen Gewässer gezielter als etwa die ebenfalls dieses Jahr gestartete Spionagestory «Codename U.N.C.L.E.» oder der dümmliche Actioner «Hitman: Agent 47». Da es sich hierbei um einen Geschichtsfilm von Steven Spielberg handelt, stand dies so auch zu erwarten. Ebenso sehr war zu erwarten, dass «Bridge of Spies» ungeachtet der ernsten Grundlage einen inspirierenden, optimistischen Film darstellt. Den charakteristischen Pathos eines Steven Spielberg dürften vereinzelte Kinogänger wohl als unverhohlenen US-Patriotismus missverstehen, andere werden dem Regieveteranen wohl einmal mehr eine Simplifizierung der Weltgeschichte vorwerfen. Wem jedoch bewusst ist, dass Spielberg eine weitere Heldengeschichte über das Gute im Menschen erzählen will und sich dabei von wahren Begebenheiten inspirieren ließ, darf sich auf rund 140 dramatische, aber auch warmherzige Kinominuten einstellen.

Eine Geschichte, viele Facetten


Das Jahr 1957: Auf Höhe des Kalten Krieges wird in Brooklyn Jagd auf sowjetische Spione gemacht. Dabei geht den US-amerikanischen Behörden der Spion Rudolf Abel (Mark Rylance) ins Netz. Da dem mit einer beeindruckenden Gelassenheit auftretenden Agenten vor Gericht per Gesetz eine angemessene Verteidigung zusteht, aber niemand sein Mandat übernehmen möchte, wird diese Aufgabe letztlich dem Versicherungsanwalt James B. Donovan (Tom Hanks) herangetragen. Dieser steigert sich in den Auftrag hinein und rattert seine Pflichten nicht etwa pro forma ab, sondern bemüht sich mit Leib und Seele, um für Abels Rechte einzustehen. Dies bringt Donovan die Verachtung seiner Kollegen und Mitbürger ein. Dennoch steht er weiter dafür ein, seinen Mandanten vor der Todesstrafe zu bewahren. Als der Pilot Francis Gary Powers (Austin Stowell) bei einem Spionageflug über Russland abstürzt und festgenommen wird, macht sich Donovans Strategie bezahlt: CIA-Chef Allen Dulles (Peter McRobbie) bittet ihn, mit den Sowjets über den Austausch von Powers gegen Abel zu verhandeln …

Auf dem Weg zu besagten Verhandlungen ist «Bridge of Spies» vieles auf einmal: Ein Gerichtsdrama, in dem Spielberg nüchtern aufzeigt, welche Lynchmob-Mentalität der amerikanischen Gesellschaft (und nicht nur der!) innewohnt. «Bridge of Spies» ist auch eine Historien-Dramödie, die mit sprödem Sarkasmus vorführt, welche Doppelmoral wir Menschen aufweisen. Gerade in den mitunter zynischen Sequenzen, in denen Spielberg etwa auf einen Flaggenschwur einen sehr harten Schnitt auf eine Abfolge von Zerstörung folgen lässt, ist die Feder der am Drehbuch verantwortlichen Coen-Brüder spürbar. Auch, wann immer Tom Hanks mit kesser Gelassenheit seine ihn kritisierenden Gesprächspartner vorführt, werden Erinnerungen an die Skripts der «A Serious Man»-Macher wach: In den Augen patriotischer Amerikaner ist Donovan ein Vaterlandsverräter, weil er sich an die Verfassung hält und seinem Mandaten einen fairen Prozess verschaffen möchte – galanter kann man das US-Denken nicht vorführen.

«Bridge of Spies» ist aber auch Politthriller, etwa, wenn Kamera-Legende Janusz Kamiński eine bedrohlich ruhige, lange Kamerafahrt nutzt, um das Getümmel beim Bau der Berliner Mauer festzuhalten. Oder wenn in vermeintlich entspannten Verhandlungen schlagartig doch deutlich wird, wie angespannt die politische Lage zwischen Ost und West ist. Und selbstredend ist «Bridge of Spies» auch ein Kalter-Krieg-Agentenfilm, selbst wenn hier kein Spion handelt, sondern ein Anwalt zum Schutze seines Mandanten im fremden Land eine knifflige Mission zu lösen versucht.

Tom Hanks' Gelassenheit ist das Zugpferd des Films


Dass «Bridge of Spies» diesen zahlreichen Genrezutaten zum Trotz nicht zusammenbricht, liegt an der erstaunlichen Leichtigkeit, mit der Spielberg den Stoff verarbeitet. Zwar ist «Bridge of Spies» viel eher ein Drama als eine Komödie, allerdings lässt der Regisseur nie Zweifel daran aufkommen, dass er eine optimistisch stimmende Geschichte erzählt. Daher lässt er in potentiell lebensbedrohlichen Situationen die Zügel etwas locker, hellt die sonst sehr nasskalte Bildsprache auf und fokussiert Tom Hanks' sympathisch-souveränen Gesichtsausdruck. Der Thriller-Anteil fällt deswegen gering aus. Kurzweilig ist «Bridge of Spies» trotzdem, dank geschliffener Dialoge, einer magnetisch-liebenswerten zentralen Performance und zügig erzählter Etappen.

Spielberg fängt stets so viel Not, Elend und Verständnislosigkeit ein, wie es nötig ist, um den Ernst der Lage zu erfassen – aber zugleich so wenig, wie möglich, so dass mehr Raum ist, den er Donovoans sowie Abels Standfestigkeit widmen kann. Die Werte Anständigkeit und Prinzipientreue werden im Skript und in der souveränen Inszenierung jedoch nicht übertrieben beweihräuchert: Komponist Thomas Newman schafft eine emotional ausgeglichene Atmosphäre, mit sehr trockenem Humor wird Donovans DDR-Trip launig genug dargeboten, um ihn nicht als weltverändernde Heldentat hochzustilisieren. Erst ganz zum Schluss erlaubt sich Spielberg zu viel Symbolhaftigkeit in seiner Bildsprache und feiert den friedlichen, freien Westen – was umso bedauerlicher ist, da Spielberg zuvor noch angemessen mit den überforderten DDR-Funktionäre (pointiert gespielt von Burghart Klaußner und Max Mauff) sympathisierte. Selbst Sebastian Koch bekommt als selbstgefälliger Verhandlungspartner ein paar Lacher zugeschoben.

Auffälliger als die auf der Zielgeraden Überhand nehmende Prise Pathos sind die zahlreichen losen Fäden: In der ersten Hälfte beginnt «Bridge of Spies» mehrere Mini-Subplots, etwa über Donovans Kollegen und Familie, die der Film letztlich aus den Augen verliert. Dies ist ein verzichtbarer Schönheitsfehler. Großes Kino ist Spielberg hiermit trotzdem gelungen – das muss man dem Oscar-Preisträger standhaft eingestehen.

Fazit: «Bridge of Spies – Der Unterhändler» ist ein kurzweiliges, unerwartet aufmunterndes Drama mit schönen Bildern und einem betont freundlichen, magnetischen Tom Hanks in der Hauptrolle.

«Bridge of Spies – Der Unterhändler» ist ab dem 26. November 2015 in vielen deutschen Kinos zu sehen.

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