First Look

Not that Wicked...

von

Die neue ABC-Serie «Wicked City» wollte das verrucht-düstere Flair des Sunset Strips der 80er Jahre aufleben lassen. Gelungen ist ihr so gut wie nichts. Jan Schlüter und Julian Miller mit einem First Look.

Julian Miller


Cast & Crew

Darsteller: Jeremy Sisto, Taissa Farminga, Gabriel Luna, Jaime Ray Newman, Evan Ross, Ed Westwick u.v.m.
Schöpfer: Steven Baigelman
Produktion: ABC Studios und Mandeville Television
Executive Producer: Steven Baigelman, Amy B. Harris, Laurie Zaks, Todd Lieberman, David Hoberman und Jon Cassar
1982. Der Sunset Strip in Los Angeles. Draußen stehen die Nutten Schlange, drinnen in den Clubs spielt Billy Idol, auf den Toiletten ziehen sich die Ladys kiloweise Koks durch die Näschen. Und inmitten all des verderbten, dreckigen West-Coast-Trubels rekrutiert ein sweettalkender, smarter Serienkiller seine Opfer, die er in seinen Wagen lockt, dort knattert und ihnen anschließend ein Messer durch den Kopf rammt.

Seine Herangehensweise erinnert den ebenfalls smarten, gleichsam durchtrainierten und nicht sonderlich skrupelhaften Robbery/Homicide-Dick Jack Roth und seinen jüngeren, unerfahreneren Partner Paco Contreras an die Taten eines Serienmörders, den Roth bereits hinter Gittern gebracht hat. Der neue Täter imitiert dessen Verbrechen – und beginnt ein Katz-und-Maus-Spiel mit dem LAPD.

Man ist ob dieser Prämisse freilich versucht, gewisse Parallelen mit den Romanen (und den davon adaptierten Filmen) von James Ellroy herzustellen. Jack Roth erinnert ein wenig an Lloyd Hopkins, die dreckig-verruchte Optik von «Wicked City» an den noch wesentlich düstereren Ton von Ellroys literarischen Schlachthöfen, die zwielichtigen und dekadenten Orte, die diese Serie zeigt, an jene noch viel zwielichtigeren und dekadenteren, an denen Ellroy seine kaputten Figuren sich in ihrer Verderbtheit und Gebrochenheit suhlen lässt.

Nun ist eine Network-Serie natürlich gewissen (rechtlichen) Begrenzungen unterworfen, was die Darstellbarkeit von Sex und Gewalt angeht. Doch an den – sagen wir einmal: weniger exorbitanten – Sex- und Gewaltszenen scheitert diese Serie nicht. Sie scheitert an ganz anderen Dingen.

Denn eine Serie, die waghalsig Vergleiche mit «L. A. Confidential», der «Black Dahlia» und den Lloyd-Hopkins-Romanen eingeht, muss sich an diesen Ansprüchen messen lassen. Und hier lassen sich all die qualitativen Diskrepanzen feststellen, die die amerikanischen Kritiker «Wicked City» schon zum kolossalen inhaltlichen Fehlschlag ausrufen ließen. Alles wirkt brav abgeschrieben, fein herausdestilliert, und nach strengem Rezept zusammengerührt. Statt dreckig und gritty wie die Optik, wirkt die Dramaturgie dagegen nahezu steril perfekt. Austauschbar. Uninteressant. Abwaschbar. Die Buchstaben stimmen. Aber der Geist fehlt.

Da ist Jack Roth, der Lloyd-Hopkins-Verschnitt, ein treusorgender Vater und liebender Ehemann, der – was bei Ellroy ein sinniger Widerspruch ist, bei «Wicked City» dagegen zu gewollt und der Figur wesensfremd wirkt – eine außereheliche Affäre hat (mit einer Undercover-Polizistin, die am Sunset Strip in der Drogenszene ermittelt, wenn Sie es genau wissen wollen). Da ist der charmante Psychopath mit einem gestörten Verhältnis zu… ziemlich allem. Seine seltsame-Partnerin-in-Spe, eine Single Mom mit einer befremdlichen sadistischen Neigung. Und eine junge Journalistin, ”like Truman Capote without the lisp”, die alles tun würde, um es zum “Rolling Stone” zu schaffen.

Um es freundlich zu sagen: Man hat komplexere Charaktere erwartet. Und eine intelligentere Story.

Jan Schlüter


Überlebenschance

2%. Es müsste schon ein Wunder passieren, dass ABC sich zur Serie bekennt und sie mit einer zweiten Staffel fortführt. Dazu müsste es überragende Abrufzahlen im Netz geben und gewaltige Steigerungen bei der zeitversetzten Nutzung. Aber selbst, wenn all dies eintritt, ist eine Fortsetzung ziemlich unwahrscheinlich. Vermutlich wird erst einmal etwas Anderes passieren. Nämlich, dass die Quoten in der kommenden Woche eher sinken.
Manuel Weis
Gefreut hatte ich mich auf eine Art «True Detective» in Hollywood, etwas weniger grau und depressiv als das Original, dafür etwas schneller, pointierter erzählt. Berechtigte Hoffnungen konnte ich mir durchaus machen: Das amerikanische Network-Fernsehen hat in den vergangenen Jahren gezeigt, dass man mithalten kann mit den Dramen von HBO, Showtime und Co. Prestige-Projekte wie «The Good Wife», «Hannibal» oder «Parks and Recreation» werden weiter produziert, obwohl die Einschaltquoten schwach sind. Man will sich unabhängiger machen von der Quote.

Dass «Wicked City» kein Zuschauerhit werden würde, war mir von vornherein klar. Aber der Trailer im Mai versprach eben eine solche Serie, die vielleicht so gut ist, dass sie zum Prestige-Projekt wird. Man überschreite die Grenzen des Network-Fernsehens, wurde kürzlich von den Darstellern in einem Interview versprochen – und meine Erwartungen stiegen weiter. Nach Folge eins bleibt davon nicht mehr viel übrig. Die Geschichte ist mehr oder weniger berechenbar, das scheinbare Motiv des Killers – wenn man es überhaupt so nennen kann – extrem plump: Nekrophilie. Sollte es dabei bleiben, opfert sich dieser Krimi der Simplizität. Denn gerade Motivfragen sind es doch, die solche Formate spannend machen.

Noch beunruhigender: Ich habe nicht das Gefühl, dass die Geschichte sich weiterentwickeln kann. Es werden zu wenige Handlungsfäden ausgelegt, zu wenige spannende Charaktere eingeführt, die mich weiter einschalten lassen. Der Killer mordet weiter und weiter, seine neue Freundin darf bald mitmachen und ein Mörder-Duo geht demnächst auf die Jagd – Stichwort vorhersehbar. Richtige Storyentwicklung sieht anders aus. Die Geschichte um die Jung-Journalistin ist anfangs spannend, als sie dann von der Polizei als Lockopfer instrumentalisiert wird und nicht mehr auf eigene Faust handelt – Stichwort Spannung –, verliert sich auch hier der Reiz. Überhaupt: Der Ermittler ist in Folge eins schon so nah dran am Killer, dass die Geschichte auch hier schon hätte enden können. Stattdessen warten noch neun weitere Episoden.

Ich empfehle stattdessen: «Aquarius». Ebenfalls ein Peroid-Drama über einen Serienkiller, ebenfalls mit fortlaufender Handlung, deutlich spannender, weniger redundant, komplexer, tiefgründiger. Mit David Duchovny. Und bereits für eine zweite Staffel verlängert, trotz schlechter Zuschauerzahlen. Meine Prognose: «Wicked City» wird dieses Geschenk nicht zuteil werden.

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