Sonntagsfragen

'Synchronisierte Realfilme mag ich überhaupt nicht'

von

Quotenmeter.de traf die «Alles steht Kopf»-Synchronsprecher Bettina Zimmermann und Kai Wiesinger zum Roundtable-Interview und sprach mit ihnen über den neuen Pixar-Film und deutsche Synchronarbeit.

Gemeinsame Arbeiten von Kai Wiesinger und Bettina Zimmermann

Das Schauspieler-Paar agiert in der Webserie «Der Lack ist ab» als frustrierte Eheleute und spricht in der deutschen Synchronfassung von «Alles steht Kopf» die Eltern der jungen Riley, in deren Kopf sich ein Großteil der Handlung abspielt.
Ihr sprecht nun zum wiederholten Mal in einem Pixar-Animationsfilm mit. Mit welcher Einstellung geht ihr diese Synchrojobs an?
Bettina Zimmermann: Das ist immer wieder eine große Ehre und eine ebenso große Freude! Ich finde es toll, in der langen Riege an Disney- beziehungsweise Pixar-Filmen zu stehen und an einigen deutschen Fassungen mitwirken zu dürfen.
Kai Wiesinger: Ja, das kann ich nur bestätigen. Ich finde es einfach beeindruckend, wie man bei Pixar arbeitet und welcher Quantensprung in den neuen Computeranimationen erreicht wurde. Die Figuren sind so organisch und greifbar! Sie sprechen ganz „menschlich“, was bei der Synchronisation von Bedeutung ist.

Hat Ihre Arbeit als Synchronsprecher Ihren Blick auf Disney- und Pixar-Filme verändert?
Zimmermann: Nein, ich war schon immer begeisterte Zuschauerin von den Disney- und Pixar- Filmen. Ich finde sie wahnsinnig gut gemacht und sie sind mehr als nur irgendwelche Filme, in die man mit der ganzen Familie reingeht, und danach sofort wieder vergisst. Diese Filme sind nachhaltige Unterhaltung mit tiefgreifenden Geschichten, die man sich auch sehr gut als Erwachsener anschauen kann. Dass ich nun in einigen Filmen als Synchronsprecherin dabei bin, hat meinen Blick auf Disney und Pixar nicht beeinflusst.
Wiesinger: Ich würde schon sagen, dass sich durch die Arbeit als Synchronsprecher mein Blick verändert hat. Denn dadurch, dass wir Zugriff auf Hintergrundinformationen haben, können wir auch mehr Dinge entdecken. So ist das ja in vielen Bereichen der Kunst. Es ist natürlich ein Luxus, dass wir die Regisseure und Produzenten kennenlernen dürfen und so mehr über ihre Liebe zum Detail erfahren. Daher wissen wir deren Arbeit noch ganz anders zu schätzen. Bei einem Rennauto ist das nicht anders: Wer darin einmal mitgefahren ist, weiß, dass dahinter mehr steckt, als nur schnell durch die Gegend zu kurven.

Diese Filme sind nachhaltige Unterhaltung mit tiefgreifenden Geschichten, die man sich auch sehr gut als Erwachsener anschauen kann.
Bettina Zimmermann über Disney- und Pixar-Trickfilme
Haben Sie einen Pixar-Lieblingsfilm?
Zimmermann: Da kann ich mich nicht entscheiden. Ich habe sie alle gesehen, aber ich würde mir da keinen Liebling herauspicken wollen.
Wiesinger: Ich muss zugeben, dass mich «Das große Krabbeln» besonders beeindruckt hat. Dadurch, dass ich da die Hauptfigur gesprochen habe, habe ich den Film so gut kennengelernt, dass ich so vieles in ihm zu schätzen weiß. Mir gefällt, dass es eine Variation der klassischen Heldengeschichte ist, von einem Einzelnen, der dazu auserkoren wurde, für die Gemeinschaft etwas zu erledigen. Das ist ein Stoff, der schon in der griechischen Tragödie so beschrieben wird und seither immer wieder in großen Filmen vorkommt. Was Pixar aber daraus gemacht hat, und wie gut das funktioniert, ist etwas Besonderes. Wie sie in dem Film ganz große Gefühle wecken in einer ganz kleinen Welt … Die letzte Kameraeinstellung in «Das große Krabbeln» ist in der Hinsicht genial: Wir sind erst ganz nah an den Ameisen, und dann zieht die Kamera auf und wir sehen, wie winzig das alles ist. Bis vor einer Sekunde bedeutete das aber noch für mich die Welt. Das ist großartig gemacht.

«Alles steht Kopf» wiederum folgt der klassischen Heldenstruktur weniger streng als «Das große Krabbeln» …
Wiesinger: Ja, wobei beide Filme gemeinsam haben, dass sie sich mit einem eigentlich kleinen Problem sehr ausführlich beschäftigen und es von vielen Seiten beleuchten. Das Thema ist hier: „Wie komme ich zu meinen Emotionen?“, und daraus entwickeln sich auch Fragen wie „Wie nehme ich mein Umfeld wahr?“. Das sind alles Dinge, denen wir eigentlich auch permanent im Alltag begegnen. Aber Pixar schafft es, dass diese alltäglichen Kleinigkeiten zur ganz großen Geschichte werden.

Haben Sie aufgrund Ihres Berufes einen anderen Zugang zum Thema Emotionen?
Wiesinger: Ich finde nicht. Es ist meine Aufgabe als Schauspieler, beim Zuschauer Emotionen auszulösen. Das muss aber nicht bedeuten, dass ich diese Emotionen auch in diesem Moment selber empfinde. Es ist wichtig offen zu sein, aber entscheidend ist was der Zuschauer empfindet. Und privat sind wir Schauspieler auch nicht anders als andere Menschen, es ist nicht so, dass wir aufgrund unseres Berufes besser Gefühle analysieren können. Oder sie vortäuschen, das wäre ja auch ganz schlimm!
Zimmermann: Ich finde schon, dass man vor der Kamera Gefühle bis zu einem gewissen Grad zulässt. Es ist aber unsere Aufgabe, zu entscheiden, wie sehr. Da es ja meistens mehr als nur einen Take gibt und Szenen aus dieser, dieser, und jener Einstellung gedreht werden, kann man bei einer traurigen Szene unmöglich den ganzen Tag durch heulen. Da kommt dann das Handwerk hinzu, damit man immer wieder den Anschein dieses Gefühls aus der Erinnerung hervorrufen kann. Eine leichte Vermischung zwischen echter Emotion und Schauspiel ist in unserem Beruf in meinen Augen also schon gegeben.

Wie unterscheidet sich für Sie die Arbeit vor der Kamera und die im Synchronstudio?
Zimmermann: Das ist sicher bei jedem anders, aber ich zumindest mache da keine Unterschiede. Ich bin jemand, der auch beim Synchronisieren die Körperlichkeit mit umsetzt, so dass man es an der Stimme erkennt, wenn sich die Figur gerade anstrengt oder sich ihre Situation auf sonst eine Art vom bloßen Herumstehen unterscheidet.
Wiesinger: Bei mir ist das genauso. Wenn die Figur, die ich spreche, den rechten Arm ausstreckt, dann strecke auch ich meinen rechten Arm aus. Denn ich finde, dass diese Bewegung etwas an der Atmung und der Stimme ändert, und das möchte ich beim Synchronisieren berücksichtigt wissen. Es gibt sicher auch Synchronsprecher, die alles bewegungslos im Stehen machen oder sogar nur im Sitzen.

Und wie stehen Sie privat, als Zuschauer zu Synchronisationen?
Synchronisierte Realfilme mag ich überhaupt nicht. Für mich sind die nur ganz schwer zu ertragen. Denn ich finde, dass in der Synchronisation dem Schauspieler, der auf der Leinwand zu sehen ist, etwas weggenommen wird. Aber wir in Deutschland sind daran leider gewöhnt, diese Fassungen zu sehen.
Kai Wiesinger über Synchronisationen
Wiesinger: Synchronisierte Realfilme mag ich überhaupt nicht. Für mich sind die nur ganz schwer zu ertragen. Denn ich finde, dass in der Synchronisation dem Schauspieler, der auf der Leinwand zu sehen ist, etwas weggenommen wird. Aber wir in Deutschland sind daran leider gewöhnt, diese Fassungen zu sehen, und es ist noch immer sehr schwer, sich im Kino ein Original anzuschauen. Ich finde Synchronisation nur bei Animationsfilmen lohnenswert, denn die animierte Figur ist darauf angewiesen, dass ihr jemand seine Stimme leiht. In diesen Fällen wird der Figur nicht etwas weggenommen, sondern sie erhält etwas dazu, sie bekommt eine Persönlichkeit.
Zimmermann: Ich sehe gelegentlich im Ausland zufällig auch meine eigenen Filme in synchronisierter Fassung, das ist ganz befremdlich. Einmal habe ich einen Film in Russisch gesehen, aber da gab es nur einen Sprecher für alle männlichen Rollen und eine Sprecherin für alle weiblichen. Und da hat man dann im Hintergrund immer noch ganz leise seine eigene Stimme gehört. Auch in China habe ich einmal einen meiner Filme gesehen, und das ist ganz komisch. Es heißt ja immer, wir Deutschen hätten eine harte Sprache, aber das ist gar nichts gegen Chinesisch! Da gibt es auch in ruhigen, emotionsarmen Szenen einen knallharten Singsang – sehr ungewohnt! (lacht)

Herr Wiesinger, bedeutet Ihre persönliche Abneigung gegen Synchros auch, dass Sie sie am liebsten generell vom Markt verschwinden sehen würden?
Wiesinger: Nein, natürlich nicht. Erstens ist das für viele Kollegen eine wichtige Einnahmequelle, und zweitens haben Synchronisationen eine totale Berechtigung für all jene, die beim Filmgucken nicht ununterbrochen Untertitel lesen möchten und nie die im Original gesprochene Sprache erlernt haben. Aber ich als Schauspieler bin natürlich Verfechter des Originals. Denn ich glaube, wenn ich als Schauspieler in einer Szene atme, dann tue ich das mit einer Intention. Ich habe früher 250 Folgen von «Neighbors» synchronisiert, und habe damals aufgehört, als ich in einer anderen Synchronproduktion vom Regisseur angehalten wurde an einer Stelle murmelnde und angestrengte Geräusche zu machen als der Schauspieler auf der Leinwand das Gegenteil tat – er versuchte während einer Bankraubszene alle Geräusche zu vermeiden. Nur der Synchronregisseur wollte es „gefüllt“ haben. Da habe ich mich entschieden das nicht mehr zu machen. Denn ich fand das unfair dem Schauspieler gegenüber.

Vielen Dank für das interessante Gespräch!
«Alles steht Kopf» ist ab dem 1. Oktober in vielen deutschen Kinos zu sehen. In 2D sowie 3D. Unser Interview mit den Filmemachern findet ihr hier!

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