Die Kritiker

«Blochin»: Ich muss noch mal weg!

von   |  1 Kommentar

Das ZDF versucht sich an einer stimmungsvollen, horizontal erzählten Serie. Die Idee ist gut, der Versuch lobenswert. Aber wie ist das Gesamtergebnis?

Cast und Crew

  • Regie: Matthias Glasner
  • Darsteller: Jürgen Vogel, Thomas Heinze, Marko Dyrlich, Jördis Triebel, Maja Schöne, Christoph Letkowski, Agnieszka Piwowarska, Emilia Eidt, Jörg Pose, Gisa Flake, Thomas Lawinky, Jule Böwe, Peri Baumeister, Samuel Finzi, Carol Schuler, Sascha Alexander Gersak, Corinna Harfouch
  • Chefautor: Matthias Glasner
  • Drehbuch: Svenja Rasocha, Laura Lackmann, Maxim Kuphal-Potapenko
  • Kamera: Jakub Bejnarowicz
  • Szenenbild: Claus-Jürgen Pfeiffer, Ina Timmerberg
  • Kostüm: Sabine Keller
  • Schnitt: Heike Gnida
  • Musik: Lorenz Dangel
Böse Zungen werfen Berufskritikern gerne vor, dass man es ihnen nie recht machen kann. Zur Verteidigung muss man aber auch einmal sagen: Mitunter machen es die Film- und Fernsehschaffenden der Kritikerzunft schwer. Aktuelles Beispiel: Auf dem internationalen Parkett explodiert seit Jahren das Angebot an komplexen Serien mit episodenübergreifenden Handlungsfäden. "Horizonzales Erzählen" nennt der Medienkritiker und Fernsehjunkie dieses Vorgehen. Und bettelt zugleich danach, dass auch hiesige TV-Stationen endlich eine Serie in die Wege leiten, die mehrere Storybögen über längere Zeit ausdehnt und letztlich auch vereint. Ein deutsches «The Wire», «Breaking Bad» oder halt 'nur' ein deutsches «The Closer» soll her.

Wenn dann eine horizontal erzählte Serie daherkommt, dürfte man daher erwarten, dass sich die Kritikerschaft darüber freut. Insbesondere, wenn sie wie «Blochin» zudem mit einem Hauptdarsteller auftrumpft, der Kinoerfahrung hat. Ein Mime mit echtem Format. In diesem Fall ist es Jürgen Vogel. Und auch wenn nicht ganz ein ultrastylischer, mit aller Macht nach der Leinwand schreiender Look erzielt wird, so erzeugen Regisseur Matthias Glasner («Der freie Wille») und sein Kameramann Jakub Bejnarowicz («Feuchtgebiete») sehr wohl Bilder, die mehr Flair haben als ein Gros der deutschen Kinoproduktionen. Wenn, wenn, wenn ... Trotzdem folgt kein 'Dann', sondern ein 'Aber': Diese Pluspunkte mögen alle sein, aber letztlich bleibt die inbrünstige Lobeshymne aus. Und das wird womöglich das Bild vom ewig unzufriedenen Kritiker bei manchem Leser aufrecht erhalten. Allerdings kann nur konstruktive Kritik Orientierungshilfe leisten. Und so gut einige Aspekte von «Blochin» auch sind, den spürbaren Ambitionen wird der Fünfteiler nicht gerecht.

Die Geschichte würde eher einen Zweiteiler tragen als eine Serienstaffel: Als Jugendlicher wurde er niedergeschossen, nun, als erwachsener Mann ohne Erinnerung an seine Kindheit, ist Blochin (Jürgen Vogel) Mitglied des sechsköpfigen Berliner Teams der Mordkommission 7. Dort ist er ein waschecher Cop der Marke: 'Raue Schale, weicher Kern' und erfindet oftmals seine eigenen Regeln. Sein direkter Vorgesetzter Dominik nennt sich nur "Lieutenant" (Thomas Heinze) und ist zugleich sein Schwager - was Blochin allerdings eines Tages in arge Probleme bringt. Denn als Blochin von einem schurkischen Ex-Kumpel erpresst wird, nimmt der "Lieutenant" die Dinge selbst in die Hand. Und wenn er die Dinge selbst in die Hand nimmt, wird es harsch ...

Gelinde gesagt: Der zentrale Kriminalfall von «Blochin» trägt keine 360 Minuten. Und selbst wenn einige der besten horizontal erzählten Serien irgendwann aus ihrer ursprünglichen Geschichte rauswachsen, ist dies bei «Blochin» nur rein konzeptionell ebenfalls so. Denn die zahlreichen kleinen Nebenschauplätze, in die sich «Blochin» verirrt, wie etwa ein Camp für MS-Kranke, in das Blochins Frau Inka (Maja Schöne) fährt, sind nicht fesselnd genug, um den Aufhänger der Serie zu übertönen. Und so macht sich «Blochin» zweier Verbrechen schuldig: Die Geschichte ist nicht fesselnd, und ihre an zeitgemäße US-Modelle angelehnte horizontale Erzählung gerät zum Selbstzweck.

Die in zwei Mal 90 und drei Mal 60 Minuten aufgeteilte Geschichte ist nur deswegen eine fünfteilige Serie, weil die Verantwortlichen halt gern solch eine Serie haben wollten. Das Drehbuch des generell sehr fähigen Regisseurs und Autors Matthias Glasner entwirft kein packendes Konstrukt, sondern listet die Geschehnisse bloß in einer "Und dann, und dann, und dann ..."-Aneinanderreihung haarklein auf. Weder werden die Plotstränge jemals durch eine fesche Parallelmontage zusammengerafft, noch kommt es in der Gegenwartshandlung je zu erzählerischen Auslassungen, die den Intellekt des Publikums fordern, indem sie es dazu auffordern, selber Lücken zu schließen oder Verbindungen zu ziehen.

Umso lückenhafter wird Blochins in ausgewaschenen, monochromen Szenen angerissene Kindheit angepackt. Die Vergangenheit der Titelfigur ist daher bloß irgendetwas zwischen schmückendem Beiwerk und Sequel-Lockmittel. Diese offenen Fragen könnten ja in einer zweiten Staffel beantwortet werden! Per se wäre sie ja sogar willkommen. Jürgen Vogel spielt den ihm auf den Leib geschriebenen Titel-Antihelden mit Ambition, und auch wenn Glasner schon einfallsreichere Regiearbeiten ablieferte, sind seine sich von Folge zu Folge stärker von den üblichen Motiven distanzierenden Berlin-Porträts atmosphärisch stimmig: «Blochin» atmet Großstadt-Luft, ohne Postkartenmotive abzuhaken oder schlicht die stereotypen Bilder des Schreckens zu zeigen. Die vom Filmorchester Babelsberg eingespielte Instrumentalmusik stärkt den audiovisuellen Eindruck ebenfalls. Eine zweite Staffel dürfte diese Elemente beibehalten.

Dann aber sind da die Dialoge: Dass man aus Blochins Dringlichkeit erzeugen sollendem, stetigen "Ich muss noch mal weg!" ein Trinkspiel machen könnte, sei der Serie noch als stilbewusste Wiederholung angerechnet. Dass sich aber die braveren Figuren in hölzernen, klinischen Wortwechseln unterhalten, und die schattenhafteren Gestalten zuweilen in Gepose verlieren, lässt «Blochin» wie einen televisionären Maulhelden dastehen: Das große, neue deutsche horizontale Erzählen will sie repräsentieren, mit Storys wie im guten US-Fernsehen. Aber dann sind die Figuren doch nur Pappkameraden, statt komplexe Charaktere darzustellen. Unter den Männern ist es bloß Vogel, der mehr aus dem Stoff rausholt. Und die einzige Frau, die sprichwörtlich weder Hure noch Heilige spielt, ist Jule Böwe, die zugleich durch einen der raren emotionalen Momente dieser Serie führen darf.

Somit ist «Blochin» ein guter Grundgedanke. Letztendlich ist das Format allerdings nur ein Testament dessen, dass Deutschland in Sachen horizontal erzählte Thrillerserien weiterhin ein Entwicklungsland ist.

Die erste Folge «Blochin» ist im ZDF am 25. September 2015 ab 20.15 Uhr zu sehen, die Folgen zwei bis vier am Tag darauf zur selben Zeit. Das Finale folgt am 27. September ab 22 Uhr.

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Quotenqueen2008
22.09.2015 14:32 Uhr 1
Offensichtlich hat der Kritiker die Serie nicht gesehen. Alle Parallelhandlungen werden meisterhaft zusammengeführt und führen, je länger die Serie geht, zu einem grossen Ganzen.



Ein bisschen Geduld muss man haben, aber dann haut's einen um. Unbedingt gucken.

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