Sonntagsfragen

Benjamin Ruth: Sender sollten sich nicht ständig im selben Brei wälzen

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Der Deutschland-Chef von Vice zeigt sich zufrieden mit der ersten Staffelhälfte seiner «Vice Reports» bei RTL II. Im Interview sagt er, warum Dokumentarisches im deutschen TV unterrepräsentiert ist, wie die Zusammenarbeit mit Sky aussehen wird und wo er Vice in drei bis fünf Jahren sieht.

Über «Die Vice Reports»

Das neue wöchentliche investigative Reportagemagazin «Die VICE Reports» auf RTL II zeigt international brisante, aktuell bedeutsame und kuriose Ereignisse aus Politik, Umwelt und Gesellschaft. Die Reportagen liefern tiefgründige Einblicke in weltbewegende Ereignisse direkt am Ort des Geschehens und erzählen die Geschichten von Menschen und ihren Schicksalen aus Insider-Perspektive. Erstmalig im deutschen Fernsehen zeigen Die VICE Reports Dokumentationen der Emmy-prämierten Newsserie VICE on HBO und des Nachrichtenkanals VICE News. Moderatorin Filippa von Stackelberg nimmt die Zuschauer mit auf eine augenöffnende Reise durch die Welt - aus der Sicht von VICE.
Quelle: Pressetext RTL II
Herr Ruth, fünf von zunächst zwölf «Vice Reports»-Folgen sind schon gelaufen. Zeit für eine erste Bilanz …
Ich kann sagen, dass wir und RTL II sehr zufrieden sind. Wir haben ein neues journalistisches Format lanciert, welches beim Publikum, besonders beim jungen Publikum sehr gut ankommt.

Bekannte Marken von RTL II sind «X-Diaries», «Frauentausch», «Berlin – Tag & Nacht» - einst auch «Big Brother». Spreche ich da jetzt von einem alten RTL II, während es nun mit Andreas Bartl und Tom Zwiessler bald ein neues RTL II geben könnte?
Ich weiß nicht, ob man von „alt“ oder „neu“ sprechen kann. Ich weiß nur, dass die neue Geschäftsführung und Programmdirektion von RTL II eine Vision hat, was junge journalistische Projekte angeht, sonst hätten wir auch nicht zu RTL II gefunden.

Mit Jo Schück haben Sie früher bei ZDF.kultur schon einmal «Die Vice Reports» gemacht…
…und zwar über zwei Staffeln hinweg, was so lange sehr gut funktioniert hat, bis leider der Sender begraben wurde. Mit Daniel Fiedler hatte ZDF.kultur damals einen sehr innovativen Programmmacher, der viel infrage gestellt hat und mit seinem Programm einen echten Mehrwert schaffen wollte. Nach der Zeit bei ZDF.kultur waren wir dann heimatlos. Und ich verrate Ihnen kein Geheimnis, wenn ich sage, dass wir dann mit eigentlich allen Sendern über eine Fortführung gesprochen haben. Und alle haben gesagt, dass sie die Marke Vice und die Zielgruppe, die man damit erreicht, begehrenswert finden. Überall aber hätten wir eine Vielzahl von krassen inhaltlichen Einschnitten machen müssen, wozu wir aber nicht bereit waren, weil wir letztlich gerade deshalb so erfolgreich sind, weil wir so authentisch und geradlinig sind.

Ich verrate Ihnen kein Geheimnis, wenn ich sage, dass wir dann mit eigentlich allen Sendern über eine Fortführung gesprochen haben. Und alle haben gesagt, dass sie die Marke Vice und die Zielgruppe, die man damit erreicht, begehrenswert finden. Überall aber hätten wir eine Vielzahl von krassen inhaltlichen Einschnitten machen müssen, wozu wir aber nicht bereit waren.
Benjamin Ruth, Chef von Vice in Deutschland
Noch vor drei Wochen sahen Ihre Quoten nicht wirklich gut aus. Da stand in der klassischen Zielgruppe die 3 vor dem Komma, vergangene Woche lief es deutlich besser mit fast sechs Prozent. Bei den 14- bis 29-Jährigen wurden laut RTL II sogar mehr als acht Prozent ermittelt. Interessiert einen Macher von «Vice» die TV-Quote überhaupt?
Natürlich. Die Quote ist für uns und den Sender wichtig. Wir wollen schließlich so viele Menschen wie möglich mit unseren Inhalten erreichen, allerdings sollte man die Quote im Kontext betrachten und die «Vice Reports» nicht mit Entertainment-Formaten vergleichen. Acht bei der 14 bis 29-Jährigen mit einem Reportagemagazin zu gewinnen, ist meiner Meinung nach stark.

Das ist auch das Credo von ZDFs «heute plus». Sind die Kollegen da auf einem guten Weg?
Ich muss gestehen, dass ich zu wenig Zeit hatte, um «heute plus» detailliert zu beobachten. Ich weiß aber, dass die Kollegen eine Woche nach unserem Start ein Angebot gelaunched haben, dass in eine ähnliche Richtung geht. Man bedient damit einen Markt, auf dem noch viel mehr passieren muss.

Fürchten Sie die Konkurrenz?
In Deutschland, wo es zuletzt hauptsächlich Shows, Reality, Fiction und Fiction Light gab, ist Dokumentarisches im linearen TV doch massiv unterrepräsentiert. Ich bin der festen Überzeugung das Sender wieder mehr Menschen vor das TV-Gerät bekommen würden, wenn sie einen größeren Willen zur Innovation hätten und sich nicht ständig im selben Brei wälzen würden.
Benjamin Ruth, Chef von Vice in Deutschland
Es gibt dort noch viel, viel mehr Bedarf. In Deutschland, wo es zuletzt hauptsächlich Shows, Reality, Fiction und Fiction Light gab, ist Dokumentarisches im linearen TV doch massiv unterrepräsentiert. Ich bin der festen Überzeugung das Sender wieder mehr Menschen vor das TV-Gerät bekommen würden, wenn sie einen größeren Willen zur Innovation hätten und sich nicht ständig im selben Brei wälzen würden. Schauen Sie sich doch einmal die erfolgreichen Dokumentar-Angebote im Internet an, diese werden speziell von einem jungen Publikum konsumiert. Schauen Sie nach US oder UK, wo journalistische Innovation einen viel höheren Stellenwert hat.

Die alte Version bei ZDF.kultur war oft darauf ausgelegt verrückt oder lustig zu sein. Das neue Format ist in der Regel etwas ernster. Eine bewusste Entscheidung?
Ja. Unser journalistischer Anspruch bei RTL II ist nun mehr durch die «Vice News» geprägt. Auch bei ZDF.kultur gab es einen klaren «Vice»-Stempel, allerdings mit Geschichten von sehr unterschiedlicher Coleur. So, wie wir «Vice» jetzt bei RTL II zeigen, ist es für uns einfacher, die Marke hier im deutschen Markt zu etablieren.

Oftmals sind Ihren Beiträgen subjektive Erzählperspektiven gewählt – geht der TV-Zuschauer allgemein und der RTL-II-Zuschauer im Speziellen kritisch genug mit dieser Art von Fernsehen um?
Da müssen sie nur die Kommentare auswerten, die uns nach den Sendungen auf verschiedene Wege erreichen. Ich kann sagen, dass unser Publikum sogar äußerst kritisch und interessiert ist.

In den USA gab es Kritik an einem unkommentierten IS-Beitrag, in Deutschland wurde der Beitrag mit dem Verweis ausgestrahlt, dass nicht die Redaktionsmeinung wiedergegeben wird. Wie waren die Reaktionen hierzulande?
Der IS-Beitrag wurde weltweit prämiert, unter anderem auch vom sehr angesehenen Peabody Award in den USA. Wir freuen uns mit unseren Kollegen für die sehr hohe Auszeichnung. Dass wir den Beitrag hierzulande mit der Kommentierung versehen haben, hatte medienrechtliche Gründe. Allerdings sind unsere Zuschauer sehr wohl in der Lage, zu differenzieren, dass es sich dabei um einen dokumentarischen Beitrag gehandelt hat und nicht um eine Meinungsäußerung von Vice.

Gerade solche Beiträge, die von extremen Aussagen leben, provozieren. Genau das aber wollen Sie auch erreichen, nämlich dass man nach der Sendung – bestenfalls noch in den Tagen danach – über das Gesehene spricht.
Wir wollen zur Diskussion anregen. Und wir sind der Meinung, dass uns das schon gelungen ist. Besser geht es also nicht. Die Leute sollen unsere Beiträge nicht nur konsumieren, sondern sich danach wirklich damit auseinandersetzen – und das am Besten noch mit ihrer Peer-Gruppe, etwa abends an der Bar. Bislang können wir uns da auf die Schulter klopfen und ich hoffe, dass das auch passieren wird, wenn wir in den kommenden Wochen verstärkt mit deutschen Themen On Air gehen. Kommende Woche zum Beispiel werden wir über die boomende Sex-Industrie im Saarland berichten, die aufgrund der französischen Gesetzgebung außer Kontrolle geraten ist.

Sie haben auch eine Zusammenarbeit mit Sky gestartet, bisher vor allem im Bereich von Veranstaltungen. Was ist für die Zukunft geplant?
Die Zusammenarbeit mit Sky Sports hat verschiedene Ebenen, eine inhaltlich und eine Marketing-Ebene. Wir syndizieren Programm, verzahnen die Redaktionen und entwickeln neue digitale Marketing-Konzepte. Die Zusammenarbeit ist äußerst spannend, da Sport für uns ein strategisches Vertical ist und Sky ein starker Partner.

Wo sehen Sie Vice in drei oder fünf Jahren?
Wir werden mit großem Abstand das wichtigste Medienunternehmen für ein junges Publikum in Deutschland und einem Großteil der Welt sein und – wenn wir das momentane Wachstum zu Grunde legen – ebenfalls ein sehr sehr großes Unternehmen, welches schwerpunktmäßig Bewegtbild produziert und distribuiert, und dies auf eine Art und Weise, die uns heute noch unbekannt ist.

Danke für das Interview.

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