Die Kino-Kritiker

«Die Frau in Gold»

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Das subtile Portrait einer starken Frau: Simon Curtis gewinnt nicht nur dem angestaubten Genre des NS-Dramas neue Facetten ab, sondern schafft obendrein einen Film abseits der üblichen Kriegsfilmmechanismen.

Filmfacts: «Die Frau in Gold»

  • Kinostart: 04. Juni 2015
  • Genre: Drama / Biopic
  • FSK: 6
  • Laufzeit: 109 Min.
  • Kamera: Ross Emery
  • Musik: Martin Phipps, Hans Zimmer
  • Buch: Alexi Kaye Campbell
  • Regie: Simon Curtis
  • Darsteller: Helen Mirren, Ryan Reynolds, Justus von Dohnányi, Katie Holmes, Daniel Brühl, Max Irons, Antje Traue, Tom Schilling, Tatiana Maslany, Moritz Bleibtreu
  • OT: Woman in Gold (USA/UK 2015)
Die Umstände des Zweiten Weltkrieges sind aus den hiesigen Filmgefilden nicht mehr wegzudenken. Doch ausgerechnet ein Brite könnte dieser angestaubten Thematik – im wahrsten Sinne des Wortes – zu neuem Glanz verhelfen. Regisseur Simon Curtis weiß nämlich, wie man schon vielfach dargebotenem Stoff neue Sichtweisen abgewinnt. Sein Monroe-Portrait «My Week With Marilyn» zeichnete eine vermeintlich von allen erdenklichen Seiten beleuchtete Schauspielikone, wie man sie auf der Leinwand noch nie zuvor erleben konnte, sodass es nicht wundert, dass auch sein NS-Drama «Die Frau in Gold» nicht in die einheitliche Kerbe bedrückend-selbstgeißelnder Weltkriegs-Filme schlägt. Doch Curtis beschönigt den Holocaust nicht etwa. Stattdessen wählt er eine Facette des NS-Grauens, die bislang nur bedingt im vorzugsweise deutschen Kriegsdramakino stattfand. Die Rede ist von den Raubzügen der Nationalsozialisten, von Beutekunst und den dadurch bedingten Auswirkungen auf die Betroffenen. Mithilfe einer zweigeteilten Inszenierung, die sich aus den tragischen Rückblenden seiner zum Protagonisten gewählten Familie Bloch-Bauer sowie einem Gerichtsprozess im Hier und Jetzt zusammensetzt, erlaubt sich Simon Curtis einen fast schon beschwingten Tonfall. Dass dies möglich ist, ohne abgeschmackt, sondern vielmehr umso mitreißender zu wirken, verdankt Curtis allen voran seinem exzellent gecasteten Ensemble. Zu den international gewählten Schauspielern zählen neben Helen Mirren («R.E.D.») und Ryan Reynolds («The Voices») auch Daniel Brühl («Rush – Alles für den Sieg»), Moritz Bleibtreu («Stereo») und Antje Traue («Seventh Son»), denen der Spagat zwischen tiefschürfender Kriegsrückblende, spannendem Gerichtskrimi und bodenständiger Tragikomödie hervorragend gelingt.

Noch heute gehört Gustav Klimt (Moritz Bleibtreu) zu den bedeutendsten Malern Österreichs. Sein Jugendstil-Portrait „Goldene Adele“ ist eines seiner bekanntesten Werke, doch die Geschichte hinter dem Gemälde ist ebenso bedrückend wie faszinierend. Einst befand sich das komplett in Gold gehaltene Kunstwerk im Besitz der jüdischen Familie Bloch-Bauer, die während des Zweiten Weltkrieges ins Visier der Nazis geriet. Auf der Flucht aus dem Deutschen Reich mussten die erklärten Kunstliebhaber nicht nur ihr gesamtes Hab und Gut zurücklassen, sondern auch einige ihrer Mitglieder. Heute hängt das Bild in einem Wiener Kunstmuseum und genau von dort will es sich die resolute Maria Altmann (Helen Mirren) zurückholen. Die in den USA Schutz gefundene Bloch-Bauer-Nachfarin, deren Tante Adele (Antje Traue) auf dem Gemälde abgebildet ist, begibt sich an der Seite des selbstsicheren Anwalts Randol Schoenberg (Ryan Reynolds) nach Österreich, um ihren Besitz wiederzuerlangen. Sie und Schoenberg liefern sich ein anstrengendes Katz-und-Maus-Spiel mit den Österreichischen Behörden und scheinen in ihrem aussichtslosen Kampf um Gerechtigkeit keinen Schritt weiterzukommen. Doch dann wittert Randol die große Chance und bittet seine mittlerweile liebgewonnene Mandantin darum, noch ein letztes Mal zu kämpfen. Es kommt zu einem Gerichtsprozess, der ein Exempel statuieren wird.

Obgleich die Vermutung naheliegt, Curtis und sein mit diesem Film debütierender Drehbuchautor Alexi Kaye Campbell hätten sich mit dem Wust an Genreeinflüssen übernommen, so gelingt ihnen der Übergang beider Zeit- und Tonfallebenen doch ziemlich fließend. Das innerhalb der Interaktion von Mirren und Reynolds von überraschend viel Situationskomik geprägte Skript ist sehr darauf bedacht, die tragischen von den komischen Momenten zu trennen; wenn Curtis die NS-Umstände, die Ängste der Familie Bloch-Bauer sowie die spektakuläre Flucht inszeniert, vergreift sich «Die Frau in Gold» nie im Ton und schildert das Geschehen dramakonform. Das führt jedoch auch dazu, dass die Rückblenden nicht zu den Stärken des Films gehören. Dafür haben sie dem Thema selbst kaum Neues hinzuzufügen, sind für das rückblickende Nachvollziehen der Ereignisse jedoch vonnöten und damit nicht überflüssig. Auch die Dynamik der Szenen kann sich sehen lassen, denn obwohl man den Ausgang der Ereignisse erahnt und ein Überraschungsmoment kaum gegeben ist, integrieren sie sich flüssig in den Rest des Films und lassen «Die Frau in Gold» nicht künstlich in die Länge gezogen aussehen. Die großen Stärken sind hingegen die Momente in der Gegenwart. Das Protagonisten-Duo aus Helen Mirren und Ryan Reynolds legt eine solch charmante Chemie an den Tag, dass dem Dramastoff ein frischer Beigeschmack einverleibt wird. Trotz seiner themenbedingten, sehr ernsten Prämisse sind die Dialoge pointiert geschrieben und dank des Verzichts auf etwaige Albernheiten ist das Endergebnis rund. Auch in den hochdramatischen Momenten weiß der Regisseur in den meisten Fällen kurz vor einem „zu viel“ die Bremse zu ziehen. Curtis setzt somit ganz auf den Stil der Alltagsbeschreibung. Lediglich die Abschiedsszene zwischen der jungen Maria (Tatiana Maslany, «Für immer Liebe») und ihrer Familie fällt aufgrund allzu hölzerner Dialoge stark gegen die ansonsten unsentimentale Inszenierung ab.

Die Bodenständigkeit innerhalb der Inszenierung findet sich auch in der Wahl der einzelnen Akteure wieder. Während die Hauptrollen mit Mirren und Reynolds international besetzt sind, finden sich in vielen Nebenrollen einheimische Darsteller wieder, die mit den internationalen Kollegen jedoch nicht immer mithalten können. Das gezielte Werben mit Charakterschauspieler Moritz Bleibtreu erweist sich angesichts seiner auf wenige Sekunden beschränkten Screentime als absolut lachhaft – zumal sein Mimen des Gustav Klimt auch aufgrund von verfremdender Maskerade kaum zu erkennen ist. Der zuletzt in mehreren internationalen Projekten tätige Daniel Brühl hat als Stichwortgeber in deutschakzentuiertem Englisch eine undankbare Rolle, der weder Ecken und Kanten, noch ein direkter Einfluss auf das Leinwandgeschehen vergönnt ist. «Männerherzen»-Ikone Justus von Dohnányi geht in seiner schmierigen Anwaltsperformance jedoch richtig auf. Trotz einem überdeutlichen Mangel an jedweden Sympathiepunkten gehört sein Auftritt in jeder Szene zu den absoluten Highlights in «Die Frau in Gold»; und wann immer sich seine Figur einem Rededuell mit Mirrens Maria stellen muss, werden die Dialoge besonders spitzzüngig. Damit spielt der extrovertierte Schauspieler bewusst gegen den inszenatorischen Tonfall an, denn der setzt auf vollkommene Zurückhaltung und entfaltet seine Wucht über die Emotionen zwischen den Zeilen.

Das alles ist nicht zuletzt auch der technischen Umsetzung geschuldet: Die Rückblenden sprühen nur so vor Authentizität und sind trotz der leicht oberflächlichen Anrisse packend inszeniert und nachvollziehbar konstruiert. Das erhält den Eindruck aufrecht, Curtis ginge es bei seinem Film nicht um etwaige Awards, sondern um das Thema an sich. Die Leidenschaft für das Filmemachen steckt «Die Frau in Gold» in jeder Pore. Kein Wunder: Das im Original «Woman in Gold» titulierte Drama basiert auf den Memoiren der 2011 verstorbenen Maria Altmann höchstpersönlich, deren Vorstellungen einer cineastischen Aufbereitung ihres Schicksals zu jedem Zeitpunkt der Dreharbeiten gewahrt wurden. Damit gehört Simon Curtis‘ Werk vielleicht nicht zu den emotional niederschmetterndsten Filmen, die je zum Thema Nationalsozialismus gedreht wurden. Wohl aber zu den ehrlichsten und damit mitreißendsten der letzten Jahre. Da verzeiht man es Simon Curtis auch, dass sein genaues Auge für Details in manch einem Moment des Drehs nicht ganz bei der Sache gewesen sein muss: Ein Plakat zu den «Guardians of the Galaxy» hat im (nachgestellten) Jahre 2006 absolut nichts zu suchen.

Fazit: Trotz seichter Zwischenphasen hält «Die Frau in Gold» gekonnt die komödiantisch-dramatische Waage und begeistert mit einem top gecasteten Protagonisten-Duo.

«Die Frau in Gold» ist ab dem 4. Juni in den deutschen Kinos zu sehen.

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