Die Kritiker

«Letzte Ausfahrt Sauerland»

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Nach dem Tod seiner Frau hat sich Horst (Heiner Lauterbach) in die Einsamkeit zurückgezogen. Doch gezwungenermaßen macht er sich auf eine letzte große Tour.

Cast & Crew

Vor der Kamera: Heiner Lauterbach («Der Verleger») als Horst Kierspe, Friedrich von Thun («Die Pilgerin») als Johann Schlorke, Emilio Moutaoukkil («Bibi & Tina: Voll verhext!») als Elyas Kierspe, Annika Kuhl («Dr. Psycho») als Lisa Kierspe, Jan Messutat als Felix, Vladimir Weigl («Max Schmeling – Eine deutsche Legende») als Postbote Kalle, Tabea Tarbiat als Elisabeth und andere


Hinter den Kulissen:
Regie: Nikolai Müllerschön, Buch: Matthias Lösel und Markus B. Altmeyer, Musik: Jules Kalmbacher, Kamera: Klaus Merkel, Schnitt: Yvonne Tetzlaff, Produktion: filmpool fiction

Gefühlt seit 100 Jahren hat sich Horst (Heiner Lauterbach) in die Einsamkeit zurückgezogen. Im Sauerland wohnt er zusammen mit seinem alten Kumpel Johann, ansonsten hat er kaum soziale Kontakte. Den Tod seiner Frau vor Jahrzenten hat Horst nie verarbeitet, seine Tochter kurz nach dem Unglück alleine gelassen. Aus diesem Grund hat er auch seinen mittlerweile 16 Jahre alten Enkel Elyas nie kennen gelernt. Ein wirkliches Interesse hat der Eigenbrötler daran aber ohnehin nicht – schon allein, weil Elyas der uneheliche Sohn eines Türken ist, was Horst mindestens ungünstig findet. Doch nach Jahren in denen der einzige familiäre Kontakt eine jährliche Geburtstagskarte war, lockt Horsts Tochter den alten Miesepeter in ihre Heimat Frankfurt, weil sie erfahren hat, dass es offensichtlich nicht gut um dessen Gesundheit steht. Widerwillig lässt sich der Protagonist dann auch vom Lebensgefährten seiner lange ungesehenen Tochter untersuchen, der in der Mainmetropole als Arzt tätig ist.

Dramaturgisch wenig überraschend stellt der Mediziner fest, dass es nicht besonders gut um Horst steht. Doch auf eine Behandlung hat er wenig Lust und bittet seinen Kumpanen Johann doch schnell vorbeizueilen. Als Fluchtgefährt kommt dieser allerdings mit einem einachsigen Verkehrsmittel. Und obschon das Fahrzeug motorisiert ist, so reicht es den beiden doch nicht, um wirklich weit zu kommen. Kurzerhand schnappen sich die senilen Figuren das nächste Auto. Wie es der Zufall so will, handelt es sich dabei um einen Leichenwagen. Die naheliegende (aber nichtsdestominder intensiv-gelungene) Schlusssequenz dürfte sich der Zuschauer allein schon deshalb denken. Weil er nicht rechtzeitig flieht, packen die alten Herren auch noch Enkel Elyas mit in den Wagen, der von der Entführung zunächst gar nicht begeistert ist. Doch – wie soll es anders sein – mit der Zeit erkennt der Junge, dass sein Großvater gute Gründe für sein Handeln hatte. Außerdem versucht Horst seine übrige Zeit dafür zu nutzen, einiges in seinem Leben ins Reine zu bringen.

Auf der Rasierklinge geritten – aber nicht geschnitten


Was auf den ersten Blick nach nicht besonders differenzierten Figuren klingt, entpuppt sich schnell als tiefer gehendes Charakterdrama. Tatsächlich nämlich sind die Einblicke in die menschlichen Schicksale beeindruckend ehrlich und faszinierend realistisch. Dabei allerdings schafft es die Produktion zugleich ein Roadmovie zu bleiben und strahlt in vielen Momenten das dazugehörige Gefühl der Freiheit und Unbeschwertheit aus. In der Kombination ist das ein gelungener Ritt auf der Rasierklinge, bei dem sich weder Regisseur noch Drehbuchautor oder Darsteller auch nur den geringsten Schnitt zugefügt haben. Dass dazu noch eine starke Optik kommt, lässt die Überzeugungskraft zusätzlich wachsen: Dominant sind vor allem orange-braune Töne sowie grüne Farben. Stadt, Straße und auch das freie Land werden damit im Kern sehr gut getroffen.

Trotz alledem fühlt sich der Zuschauer damit nicht wirklich vor die Bildschirme gefesselt – zumindest über weite Strecken nicht. Am Ensemble liegt das aber nicht, es spielt die meiste Zeit gut, gerade in Ergänzung zueinander. Die beiden Protagonisten Heiner Lauterbach und Friedrich von Thun harmonieren dabei prächtig. Dass sie auch schon im Kinothriller «Harms» zusammenwirkten, macht sich bemerkbar. Und noch ein dritter Mann war an beiden Filmen beteiligt: Regisseur Nikolai Müllerschön. Besondere Erwähnung sollte ferner noch Jan Messutat finden, der als Lebensgefährte von Horsts Tochter zwar nur wenig Screen Time hat, in dieser aber umso mehr auftrumpft. Im restlichen Cast gibt es hingegen keine positiven Ausreißer mehr. Eher negativ fällt jedoch Emilio Moutaoukkil in der Rolle des Elyas auf. Wenn der Jungdarsteller seinen Film-Opa auffordert, mit dem Krebs zu sprechen, um ihn zu besiegen, wirkt das eher hölzern. Der humoristische Effekt, der aus Horsts Ablehnung entstehen soll, geht dadurch verloren.

Eine überflüssige Storyline?


Dazu kommt, dass eigentlich die gesamte Storyline um Elyas eher mäßig funktioniert. Der Verlust seiner Ex-Freundin mag die Figur zwar schmerzen, als Zuschauer folgt man dem aber kaum, vor allem, weil man das Mädel nur wenige Momente gesehen hat – und dann auch eher als unsympathisch empfindet. Wenn außerdem gegen Ende eine kurze SMS von ihr kommt, in der sie schreibt „Neue Chance? Yolo!“, dann wirkt das so, als hätte ein Degeto-Redakteur geschwind Jugendsprache in die Suchmaschine getippt und das erste Ergebnis verwurstet. Bewandtnis hat Elyas Geschichte allerdings insofern, als gezeigt werden soll, dass Freiheit auch gelebt werden muss: Der Junge befindet sich im gedanklichen Konflikt zwischen Chinesisch-Prüfung und Stipendienbewerbung mit dem Wunsch nach Spaß und Erlebnis. Was in der Theorie einigermaßen ordentlich klingt, wirkt in der Umsetzung zäh und gezwungen. Ohne diesen Teil der Geschichte aber wäre es von der Story her eben auch ein wenig mau gewesen. Sie einfach wegzulassen wäre also auch kein Mittel gewesen. Das Problem liegt dabei ohnehin mehr in der Inszenierung als in der Grundidee. Durch eine häufig funktionierende Mischung aus Humor und Tiefgang, zum Beispiel wenn Johann und Horst Enkel Elyas allein lassen, um einen Zwischenstopp im Puff zu machen, wird dieser negative Aspekt allerdings wieder wettgemacht.

Witziger hätte die Mischung aus Roadmovie und Tragikomödie insgesamt schon sein können, so manche Pointe geht ein Stück daneben oder bleibt sogar ganz aus. Der emotionale Tiefgang allerdings wäre so nicht unbedingt zu erwarten gewesen und weiß vor allem deshalb zu überzeugen. Von einem klassischen Roadmovie lässt sich aus diesem Grund nicht reden, das aber ist auch nicht die Absicht der Produktion, die sich intensiv mit Leben und Sterben auseinandersetzt. Inhaltlich ist der Anspruch nicht übermäßig hoch angesetzt, was den emotionalen Anspruch anbelangt sieht das aber schon anders aus. In der letzten halben Stunde zieht es sich auch dadurch gelegentlich, der Schlussakt entschädigt für diese Phase aber allemal. Das Finale nämlich – es ist fantastisch.

«Letzte Ausfahrt Sauerland» ist am Freitag, 15. Mai um 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.

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