Die Kritiker

«Das radikal Böse»

von

Der vielseitige Regisseur Stefan Ruzowitzky widmet sich in der NS-Dokumentation «Das radikal Böse» der Frage, wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden.

Filmfacts: «Das radikal Böse»

  • Genre: Dokumentation
  • FSK: 12
  • Laufzeit: 96 Min.
  • Kamera: Benedict Neuenfels
  • Buch und Regie: Stefan Ruzowitzky
  • Mit den Stimmen von: Devid Striesow, Benno Fürmann, Alexander Fehling, Volker Bruch, Sebastian Urzendowsky, Nicolette Krebitz
  • OT: Das radikal Böse (D/AT 2013)
„Es gibt die Ungeheuer, aber sie sind zu wenig, als dass sie wirklich gefährlich werden könnten. Wer gefährlich ist, das sind die normalen Menschen!“ Dieses Zitat des italienischen Schriftstellers und Chemikers Primo Levi, der zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges zu den Kriegsgefangenen im KZ Auschwitz gehörte, eröffnet thematisch wegweisend die eineinhalbstündige Dokumentation «Das radikal Böse» von Regisseur Stefan Ruzowitzky, der im Jahr 2000 mit «Anatomie» das deutsche Genrekino wiedererweckte und sich mit «Hexe Lilli» kürzlich auch im Kinderabenteuerkino herumtrieb. 2013 versuchte er sich mit seiner aufklärenden NS-Produktion an der Beantwortung der Frage, was harmlose Menschen dazu treibt, sich als Massenmörder in den Dienst des eigenen Landes zu stellen. Als cineastischee Innovation auf diesem Gebiet erwies sich ein Jahr zuvor das Mammutprojekt «The Act of Killing» des texanischen Dokumentarfilmers Joshua Oppenheimer, der für sein brachial-kompromissloses Hinterfragen der Genozid-Umstände im Indonesien der Sechzigerjahre mit weltweiten Preisen sowie einer Oscar-Nominierung überhäuft wurde. Ohne sich direkt am Aufbau des Oppenheimer’schen Meisterwerks zu orientieren, ist die Ähnlichkeit unverkennbar und «Das radikal Böse» damit ein Film für ein breit gefächertes Publikum, das sich auf unkonventionelle Weise einmal mehr mit deam Terror des NS-Regimes auseinandersetzen möchte. Neue Erkenntnisse liefert Regisseur Ruzowitzky dagegen kaum.

Wie werden aus ganz normalen jungen Männern Massenmörder? Warum töten ehrbare Familienväter Tag für Tag, jahrelang, Frauen, Kinder und Babys? Stefan Ruzowitzkys Nonfiction-Drama «Das radikal Böse» beschäftigt sich in einer stilistisch innovativen Herangehensweise mit den systematischen Erschießungen jüdischer Zivilisten durch deutsche Einsatzgruppen in Osteuropa und der Suche nach den Ursachen des Bösen. «Das radikal Böse» ist Teil des Themenschwerpunkts im ZDF, der an das Ende der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft vor 70 Jahren erinnert.

Während Joshua Oppenheimer einst die Täter selbst mit ihren Gräueltaten konfrontierte und sie diese vor und mit laufender Kamera nachstellen ließ, bis sie – ebenfalls fürs Publikum sichtbar – an ihrer eigenen Diabolik zu zerbrechen drohten, wählt Stefan Ruzowitzky eine konventionellere Methode, um sich dem in uns allen schlummernden Killer-Potenzial zu widmen. Dabei wählt der Filmemacher den Schwerpunkt des NS-Regimes, wenngleich sich die thematische Aufbereitung der Frage, was Menschen zu Mördern macht, auch auf diverse andere Lebensbereiche anwenden ließe. Durch die Konzentration auf den Holocaust wirkt «Das radikal Böse» in sich kompakter, hat darüber hinaus jedoch das Problem der Wiederholung. Die inszenatorische Idee, nicht nur auf Archivmaterial sowie diverse Interviews mit Zeitzeugen, Psychologen oder anderweitigen Experten zurückzugreifen, sondern die Ereignisse mit nachgestellten Filmszenen anzureichen, lässt den Film zwar abwechslungsreich erscheinen. Konzentriert man sich hingegen auf die tatsächlich aussagekräftigen Szenerien, so nützen auch die breit aufgestellten Inszenierungsmethoden nicht, um den Mehrwert zu erhöhen.

«Das radikal Böse» verlässt sich vorzugsweise auf bekannte Thesen und Theorien, hat dafür den Vorteil der zum Filmtitel passenden Radikalität. Dazu gehören nicht nur die nachgestellten Momente eines Versuchs, in welchem Propanden einen vermeintlich unbeteiligten Versuchsteilnehmer auf Ansage des Wissenschaftlers mit Stromschlägen malträtieren sollen. Auch in den fiktiven Rückblicken auf das Kriegsgeschehen werden Szenen in den Mittelpunkt gerückt, welche die Rekruten dabei zeigen, wie diese an ihren eigenen Schandtaten zu zerbrechen drohen. Eine solch emotionale Sichtweise ist angesichts deren Massenmörder-Daseins kritisch, unterstreicht jedoch die Herkunft als Familienvater und „ganz normaler Bürger“, die angesichts fehlgeleiteter Moralvorstellungen und vorgegebener Feindbilder darauf verzichten, das eigene Verhalten zu hinterfragen. Um anschließend eine Universalantwort auf die Ausgangsfrage zu liefern, bleibt «Das radikal Böse» leider zu konventionell. In den Kernaussagen bleibt Stefan Rutzowizky dabei, sich auf Pauschalantworten wie Gruppenzwang, eingebläute Ideale und die Auswirkungen gezielter Stimmungmache innerhalb des NS-Regimes zu verlassen. So ist «Das radikal Böse» letztendlich ein cineastisches Experiment, das dem Grundsatz „style over substance“ folgt, diesen jedoch auf intellektueller Ebene vollzieht.

Fazit: Inszenatorisch andersartig und inhaltlich bekannt: Stefan Rutzowizkys Ausflug ins Dokumentarfach ist ein sehenswertes Filmprojekt, das sich der emotionalen Auswirkungen des Nationalsozialimus auf interessante Art und Weise widmet, sich inhaltlich jedoch weit mehr hätte aus dem Fenster lehnen dürfen.

Das ZDF zeigt «Das radikal Böse» am Freitag, den 1. Mai um 00:50 Uhr.

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