Die Kino-Kritiker

«Avengers: Age of Ultron»: Marvels düster-spaßiger Bombast-Mythos

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Die Kino-Kritik des Monats: Größer, dramatischer, verquerer – «Avengers: Age of Ultron» bietet überwältigendes Superhelden-Entertainment und eröffnet dem 'Marvel Cinematic Universe' neue Horizonte.

«Avengers: Age of Ultron» in der Kurzkritik

Das von Joss Whedon beeindruckend inszenierte, zweite Aufeinandertreffen der Avengers ist verrückter, dramatischer und bombastischer als «Marvel's The Avengers». Aufgrund einiger außergewöhnlich-verschrobener Storyaspekte ist dieser pompöse Superheldenmythos allerdings auch längst nicht mehr so zugänglich wie der Erstling. Geschliffene Dialoge, eine klarere Ausdifferenzierung der Figuren und abwechslungsreich-überwältigende Action werden Fans der Reihe aber über diese Kleinigkeit hinwegtrösten.
7,16 Milliarden Dollar weltweites Einspielergebnis. Und dies allein im Kino – Merchandising, Heimkino und TV-Lizenzverkäufe sind in diese beachtliche Summe gar nicht erst eingerechnet! Es steht daher wohl außer Frage: Im Laufe von zehn Filmen und gerade einmal sieben Jahren katapultierte sich das 'Marvel Cinematic Universe' auf einen Ehrenplatz in der Kino-Wirtschaftsgeschichte. Doch nicht nur das zahlende Publikum weiß die Produktionen der Marvel Studios zu schätzen, selbst die Kritikerzunft ist den Superheldengeschichten zugeneigt: Beim US-Portal Rottentomatoes befinden sich die zehn mal eng, mal lose miteinander verbundenen Marvel-Abenteuer aus den Jahren 2008 bis 2014 allesamt im positiven Bereich. Insofern verwundert es kein Stück, dass in Hollywood die neue Leitfrage lautet „Wie können wir Marvels Erfolgsfilme kopieren?“

Während daher ein 'Cinematic Universe' nach dem anderen angekündigt wird, legt Marvel mit «Avengers: Age of Ultron» die Messlatte nun noch höher – und führt seinen Mitbewerbern einmal mehr vor, dass die Idee eines zusammenhängenden Kinouniversums alleine nicht genügt. Die zahlreichen Fäden müssen auch gekonnt geführt werden. Gerade bei diesem Versuch verheddern sich so manche Ultra-Blockbuster, allen voran Marvel-Trittbrettfahrer wie Sonys «The Amazing Spider-Man»-Reihe. Joss Whedon derweil hält beim zweiten großen Superhelden-Stelldichein mehr Fäden denn je in der Hand, und lässt es so mühelos aussehen wie schon im ersten «Avengers». Was allerdings keinesfalls bedeuten soll, dass das neue Marvel-Epos schlicht bereits Geleistetes wiederholt. Stattdessen erschließt «Avengers: Age of Ultron» kühn neue Horizonte im Marvel-Universum und stellt somit einen spannenden Wendepunkt dar.

Gewohntes und Andersartiges kollidieren


Seit die Avengers erstmals aufeinander trafen, um gemeinsam eine Alien-Invasion zu stoppen, sind mehrere ereignisreiche Jahre ins Land gezogen. Unter anderem wurde in der Zwischenzeit S.H.I.E.L.D. zerschlagen, die Geheimorganisation, die den wilden Haufen an Heroen überhaupt erst zusammentrommelte. Deshalb kämpfen die Avengers jetzt auf eigene Faust gegen übermächtige Bedrohungen – wie etwa gegen die Überreste der sinistren Vereinigung Hydra. Wie das Heldenteam in Erfahrung brachte, befindet sich ausgerechnet in deren Händen das ungeheure Kräfte beherbergende, zuletzt von Loki geführte Chitauri-Zepter. Somit steht die nächste Mission für Iron Man, Hulk, Black Widow, Thor, Hawkeye und Captain America fest – aber seinem gefährlichsten Widersacher begegnet das Sextett erst, als es sich wieder in Sicherheit wiegt: Eine von Iron Man alias Tony Stark zwecks Friedenssicherung kreierte Künstliche Intelligenz namens Ultron entflieht der Kontrolle ihres Schöpfers – und Ultrons Vorstellungen, wie der Weltfrieden zu garantieren ist, haben todbringende Konsequenzen …

Schlechte Fortsetzungen folgen stur dem Ablauf des Erstlings, hoffend, so dieselben Publikumsreaktionen hervorzurufen wie der beliebte Vorgänger. Exakt dieses Vorgehen resultiert zuweilen in Logiklöcher (gelernte Lektionen werden von den Figuren verlernt, womit sie wieder in alte Schemata fallen) und obendrein behält es dem Zuschauer neue Sehgenüsse vor, womit oftmals Langeweile vorprogrammiert ist. Dessen ungeachtet braucht eine filmische Fortführung ein kleines Maß an Wiederholung, um seine Zielgruppe nicht zu enttäuschen – denn wer eine Karte für ein neues Abenteuer mit alten Bekannten löst, möchte diese ja auch gern wiedererkennen. Ein «Stirb langsam» braucht den „Yippie-Ya-Yeah, Schweinebacke“-Spruch, ein «Pirates of the Caribbean»-Film muss eine Abwandlung des „He's a Pirate“-Stücks bieten und wenn James Bond eine ganze Mission ohne seinen Martini absolviert, sind die Fans schockiert.

«Buffy – Im Bann der Dämonen»-Schöpfer Joss Whedon, der bei «Avengers: Age of Ultron» in Personalunion als Regisseur und Drehbuchautor fungiert, ist sich glücklicherweise der zwiespältigen Anforderung bewusst, der sich Sequels stellen müssen. Und so greift er auf einen ebenso schlichten wie genialen Kniff zurück, um zu gewissen «Avengers»-Grundpfeilern zurückzukehren und trotzdem früh zu verdeutlichen, dass Part zwei ein ganz eigenes Biest darstellt: Nur wenige Sekunden nach Filmbeginn serviert Whedon eine halsbrecherische Plansequenz, die alle Avengers höchstkonzentriert unter Einsatz ihrer besonderen Fähigkeiten zeigt.

Solch eine turbulent-vergnügliche Kamerafahrt stellte beim ersten Aufeinandertreffen der Marvel-Superhelden den Höhepunkt des ausführlichen Finalkampfes dar. Und es dürfte wohl zu verführerisch gewesen sein, solch eine mühevoll orchestrierte, vor Coolness beinahe zerberstende Sequenz auch im zweiten Teil für den Schlussakt aufzubewahren. Sozusagen als effektvolle Geheimwaffe, um dem Gebotenen in den letzten Zügen einen zusätzlichen Knall zu verleihen – bloß, dass eben diese dann gar nicht mehr so richtig überrascht hätte. Dass «Avengers: Age of Ultron» viel, viel früher als erwartet seine Geheimwaffe zückt, ist daher auf mehreren Ebenen effektiv: Gleich zu Beginn des Films wirkt sie, da der Zuschauer sich gerade noch dabei befindet, sich in das Leinwandgetümmel einzufinden, ungemein umwerfend. Und sie dient als Warnschuss: Die alten Regeln aus «Avengers» gelten nicht mehr. Neues Gefecht, neue filmische Grundsätze. Wie die extrem stylische Plansequenz darüber hinaus unterstreicht: Die Avengers müssen nicht schon wieder zusammenfinden. Sie sind schon von der ersten Sekunde an ein verdammt gut eingespieltes Team!

Das drückt nicht nur der Prolog aus, sondern auch das charmant verzerrte Gegenstück zu den Helicarrier-Dialogpassagen aus Teil eins. Ziehen diese ihren Reiz daraus, dass sich eine Gruppe unangepasster Sturköpfe auf einem schwebenden Flugzeugträger raffiniert geschriebene Feindseligkeiten an den Kopf wirft, gibt es in «Avengers: Age of Ultron» erneut eine längere Phase, die allein von verbaler Interaktion lebt. Bloß, dass die titelgebenden Helden dieses Mal eine Siegesfeier schmeißen, freundschaftliche Schwätzchen abhalten, sich kollegial necken, flirten und ihre gemeinsame Zeit auf Erden genießen. Die Casting-Leistungen Marvels zahlen sich in dieser Passage zu himmlischen Ergebnissen aus: Die Chemie innerhalb des Avengers-Sextetts sowie mit Darstellern zweitrangiger Figuren aus diesem Filmuniversum, wie etwa «How I Met Your Mother»-Darstellerin Cobie Smulders alias Ex-Agentin Maria Hill, ist einzigartig. Kombiniert man diese toll aufgelegte, perfekt gecastete Truppe mit Whedons geschliffen-spaßigen Dialogen, wünscht man sich als Betrachter glatt, diesen festlichen Abend im Avengers-Tower in Echtzeit miterleben zu dürfen.

Gemeinsamer Abstieg in die Finsternis


Aber jede Party findet einmal ihr Ende – manche gar ein unrühmliches, wie etwa die von Ultron nachhaltig getrübte Siegesfeier der Avengers. Mit ihr endet auch vorerst der locker-leichte Tonfall, der vornehmlich mit den Marvel-Kinospektakeln assoziiert wird. Aufgrund der immensen Fähigkeiten Ultrons und seines schauderhaften Plans nimmt «Avengers: Age of Ultron» nach dem verspielt-leichtherzigen Anfang eine zielstrebige Wende ins Dramatische. Verstärkt wird dies dadurch, dass Ultron – anders als einige Marvel-Filmschurken vor ihm – eine einnehmende Persönlichkeit hat: Das entfesselte Spiel James Spaders, der Ultrons Zeilen am Set zum Besten gab, wird durch bestechende Computeranimationen wiedergegeben und ermöglicht so, Ultron zu einem unvergesslichen Bösewicht aufsteigen zu lassen. Ultron ist nicht nur energisch und skrupellos, sondern hat des Weiteren einen finsteren Sinn für Humor und zudem einige charakterliche Macken, die zum Schmunzeln einladen. Dank dieser fesselt es umso mehr, wenn Ultrons abartige Machenschaften aufgehen oder er einen sardonischen Monolog hält. Im Grunde funktioniert diese Rolle wie eine Roboterversion des Jokers aus «The Dark Knight», wenngleich Heath Ledgers Paraderolle noch eine Spur besser ist. Sie haben zwar eine gänzlich andere Motivation und Persönlichkeit, die Wirkung dieser Figuren ist dagegen verblüffend ähnlich: Wenn sie eine Szene betreten, reißen sie diese auch sofort an sich, und selbst wenn sie gelegentlich amüsieren, verleihen sie ihrem jeweiligen Film mittels schwer widerstehlicher, unheilvoller Ausstrahlung einen düsteren Tonfall.

Aufgrund des Naturells seiner Helden ist «Avengers: Age of Ultron» allerdings 'nur' düsterer als der erste «Avengers»-Film, während er es vermeidet, dermaßen dunkle Klänge anzuschlagen wie Nolans zweiter Batman-Einsatz. Denn Whedon und das hervorragende Ensemble rund um Robert Downey Jr., Chris Evans, Scarlett Johansson, Mark Ruffalo, Chris Hemsworth und Jeremy Renner achten darauf, dass die Protagonisten ihr gewitztes Mundwerk beibehalten. Und so lachen sie gelegentlich dem Schrecken ins Gesicht oder muntern sich mit pointierten Aussagen gegenseitig auf. Doch anders als im vorhergegangenen Crossover, in dem die zu bezwingende Bedrohung mächtig war ohne je völlig ausweglos zu erscheinen, finden sich die Avengers dieses Mal wiederholt in grimmen Sackgassen wieder. Dem Drehbuch gelingt dabei durchgehend eine diffizile Balance: Die Leinwandereignisse sind stets unterhaltend, können zwecks Spannungsbildung trotzdem einen schwermütigen Beiklang annehmen.

Dass dieser Balanceakt gelingt, liegt – und somit schließt sich der Kreis – größtenteils an der Interaktion des gewaltigen Figurenrasters in hellen wie dunklen Momenten: Jeder der Avengers hat sein ganz eigenes Humorverständnis, seinen eigenen inneren Handlungsantrieb und seine ganz eigene Art, sich im (verbalen oder handgreiflichen) Kampf durchzusetzen. Dies wissen die Skriptzeilen und Performances ohne Verwendung der Brechstange zu vermitteln, wodurch der Plot unentwegt in Bewegung und auch in sich plausibel bleibt: Wie zuvor erwähnt und im Film eingangs vorgeführt, sind die Avengers eine eingespielte Mannschaft und somit am Zusammenhalt interessiert, da alle Figuren aber eine eigene Persönlichkeit aufweisen, entsteht eine glaubwürdige Reibung. Durch diese Reibung bleibt es spannend, ob das Helden-Team oder Ultron das jeweils nächste Kapitel der Story gewinnt, was wiederum den eher düsteren Tonfall befeuert und zugleich die Figuren bemerkenswerter macht. Die Avengers sind weder ein eintöniges Team, noch eins, das in diesem Film aufgrund ewiger, unüberwindbarer Konflikte nach einer Auflösung schreit. «Avengers: Age of Ultron» meistert also das Kunststück, der wachsenden Ansammlung an Figuren gerecht zu werden, ohne dass irgendeine Rolle einseitig, unnütz oder störend wirkt. Schon im Erstling war dies eine respektable Leistung, Teil zwei aber traut sich, die Charakterentwicklung ausdifferenzierter zu betreiben und verzichtet dabei zugleich darauf, innerhalb des Avengers-Teams zwischen 'zentralen' und 'nebensächlichen' Personen aufzuteilen. Es sind daher fast (aber nur fast!) zu viele Fäden, an denen Whedon ziehen muss – und trotzdem hakt die Narrative zu keinem Zeitpunkt und es gibt auch keinen Moment, in dem eine Figur ohne Erklärung wider ihrer Natur handelt. Da muss doch schwarze Magie im Spiel sein!

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