First Look

Ein Mord, der alles verändert?

von   |  1 Kommentar

Julian Miller ist sich sicher: «American Crime» von ABC ist wahrscheinlich der beste Neustart der aktuellen Saison. Ein First Look:

Cast & Crew

  • Produktion: LiveLikeLisa, Stearns Castle Entertainment und ABC Studios
  • Schöpfer: John Ridley
  • Darsteller: Felicity Huffman, Timothy Hutton, W. Earl Brown, Richard Cabral, Caitlin Gerard, Benito Martinez, Penelope Ann Miller, Elvis Nolasco u.v.m.
  • Executive Producer: John Ridley, Michael J. McDonald
In der kalifornischen Stadt Modesto ist ein schreckliches Verbrechen begangen worden: Ein junger Mann, ein GI der US Army, der nach dem 11. September den Streitkräften beigetreten ist und im Irak gedient hat, wurde bei einem Einbruch erschossen. Seine Frau Gwen hat der Täter bestialisch vergewaltigt. Sie liegt schwer verletzt im Krankenhaus.

Die Eltern des Mordopfers können das alles nicht fassen. In den emotional aufwühlenden Tagen des langsamen Realisierens, dass ihr Sohn tot ist, brechen auch die alten Konflikte des seit langem geschiedenen Ehepaares durch: Vater Russ hat die Familie verlassen, als die Kinder noch klein waren. Seine Spielsucht hatte alle in den Ruin getrieben. Mutter Barb musste damals mit ihren zwei Söhnen in die Projects ziehen. Die emotionalen Torturen, die sie dort als Weiße von den mehrheitlich schwarzen Nachbarn aus der sozialen Unterschicht erfahren haben will, hat sie bis heute nicht verwunden.

Als die Polizei ihr erläutert, dass ein „young Hispanic male“ vermutlich in den Mord an ihrem Sohn involviert ist, läuft in ihrem Kopf direkt die Assoziationskette „Hispanic, ergo illegaler Einwanderer“ ab.

Ein Bild, das «American Crime» freilich nicht unreflektiert stehen lassen wird. Denn neben dem Leidensweg von Russ und Barb erzählt die Serie auch die Geschichte der Familie Gutierrez, durch deren Sohn der mutmaßliche Mörder an das Tatfahrzeug gekommen ist. Und zuletzt ist da noch der vermeintliche Täter selbst: ein schwarzer Mann namens Carter Nix, liiert mit einer hübschen weißen Frau (eine Konstellation, die aufgrund bodenloser rassistischer Ressentiments im amerikanischen Film vor einigen Jahrzehnten noch nicht darstellbar gewesen wäre). Beide sind heillos drogenabhängig, bettelarm – und existieren im Zustand der permanenten seelischen und existentiellen Verzweiflung.

«American Crime» macht es dem Zuschauer nicht leicht, seine Sympathien zu verteilen: Man spürt Barbs furchtbares Elend und kann ihre Wut und Verzweiflung ohne Zweifel nachvollziehen. Aber man hasst ihren Rassismus. Für Carter Nix gilt Ähnliches: Er tut einem leid, wenn man die grässlichen Umstände sieht, unter denen er leben muss – doch natürlich exkulpieren sie ihn nicht dafür, dass er seine Dealer niederdrischt und (vielleicht?) sogar einen Menschen getötet und eine Frau vergewaltigt hat. Und bevor Sie den Fehler machen und nach dieser Beschreibung albernes Gewäsch vom grundgütigen Menschen erwarten, den die gesellschaftlichen Umstände zum Mörder haben werden lassen: Vergessen Sie’s. «American Crime» ist viel intelligenter, vielschichtiger, nuancierter als das und würde den Teufel tun, sich seinen Figuren mit dieser Hausfrauenpsychologie zu nähern.

Die in ihrer ersten Staffel auf elf Episoden angelegte Serie will anhand der Auswirkungen der beschriebenen Tat und ihrer Verfolgung durch das Justizsystem aus verschiedenen Blickwinkeln, primär denen der Familien des Opfers und der mutmaßlichen Täter, komplexe Themen wie Recht und Gerechtigkeit verhandeln. Ein mutiges Unterfangen, ein relevantes ebenso – und damit eines, das in letzter Zeit zu oft den Kabelsendern überlassen wurde. Dass das Network-Fernsehen genauso gut und kompromisslos erzählen kann, beweist ABC mit dieser Serie.

«American Crime» ist gleichsam eine hoch aktuelle Studie über das (vermeintlich?) post-rassisch/ethnische Amerika: Die Affäre Ferguson wird die amerikanischen Gemüter noch jahrelang erhitzen, der fünfzigste Jahrestag der blutigen Demonstrationen von Selma, Alabama, in dessen terminlicher Nähe der Pilot ausgestrahlt wurde, schafft ebenso einen eindeutigen Kontext.

Wie lange dauert es, und was muss passieren, damit die säuberlich sublimierten Ressentiments wieder nach oben kommen und jahrzehntelangen gesellschaftlichen Fortschritt zunichtemachen? Das ist die zentrale Frage, die «American Crime» stellen will. Sie klingt einfach, fast schon banal. Doch ihre Antworten sind hoch komplex.

Schön, dass «American Crime» diese Komplexität zulässt, dass man sich traut, unbequem zu sein, und auf narrative Vielschichtigkeit statt penetrante Überinszenierungen setzt. Und großartig, dass Felicity Huffman und Timothy Hutton die Hauptrollen übernommen haben. Für ihre exzellenten Performances verdienen sie es, mit Emmys und Golden Globes überschüttet zu werden. Eine Nominierung der Serie in der Spitzenkategorie "Best Drama" sollte ebenfalls nur noch Formsache sein.

In Deutschland zeigt 13th Street «American Crime» ab dem 16. März immer montags um 21.50 Uhr.

Kurz-URL: qmde.de/76828
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Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
Sentinel2003
10.03.2015 13:42 Uhr 1
Ich freue mich total drauf!!!
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