Die Kino-Kritiker

«Die Wolken von Sils Maria»

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Hollywood ist nicht dafür bekannt, von starken Frauenfiguren überrannt zu werden. Umso eindrucksvoller präsentiert sich da nun die Schauspielersatire «Die Wolken von Sils Maria», die, inszeniert von einem ehemaligen Filmkritiker, sämtliche Erzähl- und Sehgewohnheiten auf den Kopf stellt.

«Die Wolken von Sils Maria»

  • Kinostart: 18. Dezember 2014
  • Genre: Drama
  • FSK: 6
  • Laufzeit: 123 Min.
  • Kamera: Yorick Le Saux
  • Buch und Regie: Olivier Assayas
  • Darsteller: Juliette Binoche, Kristen Stewart, Chloë Grace Moretz, Lars Eidinger, Johnny Flynn, Nora von Waldstätten
  • OT: Serena (USA 2014)
Es ist nicht das erste Mal in diesem Jahr, dass sich Hollywood und seine Mechanismen aktiv in die Karten blicken lassen. David Cronenberg etwa nahm sein Publikum in «Maps to the Stars» mit hinter die Kulissen der Traumfabrik und sezierte die Prinzipien von Erfolg und die Geheimnisse manches Ruhms ebenso akribisch wie bitterböse. Vor Kurzem erst entführte gar Hugh Grant den Zuschauer in das US-amerikanische Geschäft mit der Schauspielerei. Mimte er in «Wie schreibt man Liebe» doch einen desillusionierten Drehbuchautor, dessen Oscar-Gewinn schon lange zurückliegt und der im Rahmen eines Studienganges für angehende Schriftsteller seines Kalibers so etwas wie seine geheime Berufung sucht. Während der Eine den beklemmenden Psychothriller zum Vermitteln seiner Botschaft bevorzugt und der Andere die Message lieber in eine leicht zugängliche, gar humoristische Story verpackt, gesellt sich zu den inoffiziellen Nachfolgern von «Boulevard der Dämmerung» und Co. mit «Die Wolken von Sils Maria» noch ein drittes Spielfilmprojekt, das sich ebenso darin suhlt, uns ahnungslose Zuschauer mit den Dekadenzen und Neurosen der internationalen Schauspielprominenz zu konfrontieren. Dabei geht der französische Regisseur Olivier Assayas allerdings weitaus weniger auf Konfrontationskurs, als es seine Konkurrenten tun. Stattdessen unterwandert er die Prinzipien der Satire, indem er schlussendlich nie beantwortet, wie viel Bodenständigkeit und wie viel Überspitzung tatsächlich in seinem mittlerweile schon 14. Langfilmprojekt steckt. Das lässt bis zum Schluss zwar viele Fragen offen, versorgt seine Geschichte zeitgleich jedoch mit ganz besonderem Flair.

Auf dem Höhepunkt ihrer Karriere erhält die international gefeierte Schauspielerin Maria Enders (Juliette Binoche) das Angebot, in der Wiederaufführung eines Theaterstücks zu spielen, mit dem ihr vor 20 Jahren der Durchbruch gelang. Damals hatte sie die Rolle der Sigrid übernommen, einer verführerischen jungen Frau, die auf ihre Vorgesetzte Helena eine ganz besondere Faszination ausübt und sie schließlich in den Selbstmord treibt. Anders als vor 20 Jahren soll Maria diesmal jedoch nicht Sigrid sondern die ältere Helena spielen, so der Wunsch von Regisseur Klaus Diesterweg (Lars Eidinger). Gemeinsam mit ihrer Assistentin Valentine (Kristen Stewart) fährt sie nach Sils Maria, um dort, in der Abgeschiedenheit der Alpen, das Stück zu proben. Als Sigrid ist Jo-Ann Ellis (Chloë Grace Moretz) vorgesehen, ein junges Starlet aus Hollywood mit Neigung zum Skandal. Eine charmante, aber nicht ganz durchsichtige junge Frau - und ein beunruhigendes Spiegelbild ihrer selbst, dem sich Maria nun gegenüber sieht.

In einem Zeitalter, in dem sich Hollywood immer noch schwer tut, starke Frauenfiguren zu kreieren, kommt «Die Wolken von Sils Maria» mit seiner nahezu durchgehend weiblichen Besetzung fast experimentell daher. Im Mittelpunkt stehen in der ersten Hälfte Schauspiellegende Juliette Binoche («Words & Pictures»), deren eigener Karriereweg ziemlich gut mit dem ihrer zu verkörpernden Figur Maria übereinstimmt. Binoche, die seit über 30 Jahren mit selbstverständlicher Regelmäßigkeit Filme dreht, ist nicht nur selbst eine Bank, sondern vermittelt diesen Status auch zu jedem Zeitpunkt in ihrer Rolle. Sie ist ein alter Hase des Showgeschäfts, ruhig, gelassen und mit den Erfolgsfaktoren der Traumfabrik ebenso vertraut, wie mit den Gefahren, die eine Karriere in der Öffentlichkeit zwangsläufig in sich birgt. Als Maria Enders strahlt Binoche eine angenehme Ruhe aus. Wann immer man ihr jedoch den sich ändernden Zeitgeist anhand der Nachfolgegeneration vor Augen führt, schwingt sogleich eine Spur der leisen Existenzangst mit. Ein idealer Nährboden für eine Geschichte, die sich damit befasst, dass eine Schauspielerin nach zwanzig Jahren noch einmal in dem Film mitwirken soll, mit welchem sie einst berühmt wurde. Dies ist aufgrund des buchstäblichen Rollentauschs ein Wink in Richtung menschlicher Vergänglichkeit. Gleichzeitig bleibt die Message ob des Franchise-Wahns Hollywoods nicht aus, wo selbst für sich allein stehende Charakterdramen irgendwann wieder aus der Mottenkiste herausgezerrt werden, um sich eines Remakes zu unterziehen.

Als Gegenpol stellt man Binoche das von der Kritik schon oft hart ins Gericht genommene «Twilight»-Beauty Kristen Stewart an die Seite. Nachdem die 24-jährige Aktrice zuletzt vorzugsweise mit ihrem Privatleben Schlagzeilen machte, erweist sich ihre Besetzung in «Die Wolken von Sils Maria» als überaus cleverer Schachzug von Seiten der Verantwortlichen. Während das Drehbuch, das der Regisseur Olivier Assayas selbst verfasste, ihre Rolle der Assistentin Valentine ohnehin schon als starken Kontrast zur unauffälligen Maria anlegt, kann insbesondere Kristen Stewart selbst ihrer Rolle eine überaus interessante Ebene abgewinnen. Durch Stewarts Wahrnehmung in der Öffentlichkeit lassen sich die unterschiedlichen Erfolgsfaktoren verschiedener Schauspielgenerationen direkt auf die jeweiligen Rollen Binoches und Stewarts anwenden und erhalten somit einen direkten Zugang ins Hier und Jetzt. Damit bleibt das Handlungsgeschehen nicht mehr bloß auf der Leinwand zu sehen, sondern überträgt sich auf die Realität, bleibt gar noch nach dem Abspann bestehen. Meta as Meta can – doch so ganz geht die Rechnung erst auf, als in der zweiten Hälfte Chloë Grace Moretz («The Equalizer») auf die Leinwand tritt.

Moretz hat in ihrer Rolle des umtriebigen Starlets zwar am wenigsten mit sich als realer Person zu tun. Gleichzeitig hat die als Hit-Girl bekannt gewordene Schauspielerin sichtlich den größten Spaß an ihrer Rolle. In Momenten, in welchen sich Maria und Valentine vermeintlich von Amateuren gedrehte Youtube-Videos der Skandalnudel angucken, mutiert «Die Wolken von Sils Maria» regelrecht zur Komödie und wird in derlei Szenen auch am aktivsten zur Satire. Der selbstdemontierende Aspekt der Story ist schlussendlich nur ein kleiner Faktor hinter dem qualitativen Erfolgskonzept des Dramas, dem weitaus mehr an der Psychoanalyse zweier voneinander abhängiger Frauen liegt. So eröffnet sich alsbald eine weitere Meta-Ebene: Während Maria Enders für eine Rolle probt, in welcher die gefährliche Leidenschaft zwischen zwei Frauen im Mittelpunkt steht, kristallisiert sich ebenjene Situation im fortwährenden Verlauf der Handlung auch zwischen ihr und ihrer Assistentin heraus. Wohin die Reise dieser andersartigen Liebschaft geht, soll aus Spoilergründen an dieser Stelle nicht verraten werden. Gleichwohl legt das Filmende eine solch große Anzahl an Interpretationsmöglichkeiten offen, dass nicht das „Wie“ von Relevanz ist, sondern die entscheidende Frage nach dem „Warum“.

Auch aufgrund der mit Bedacht gewählten Kulisse der Alpen versprüht «Die Wolken von Sils Maria» eine ganz besondere Atmosphäre. Hier oben in den Bergen finden die beiden Protagonistinnen nicht nur die notwendige Abgeschiedenheit, um sich mit der zu spielenden Rolle auseinanderzusetzen. Gleichzeitig fordert die Einsamkeit auch die Auseinandersetzung mit den eigenen Dämonen heraus. Assayas, der vor seiner Karriere als Regisseur als – man glaubt es kaum – Filmkritiker zuständig war, schlägt dem fachkundigen Publikum mit dem konsequenten Verweigern vor einfältigen Perspektiven immer wieder ein Schnippchen und fordert es, im Drehbuch auch aktiv so benannt, zum Einnehmen unterschiedlicher Sichtweisen heraus. Das macht «Die Wolken von Sils Maria» zwar zu einem Film, der nicht bloß angesehen, sondern akribisch genau verfolgt und gedeutet werden will. Gleichzeitig offenbart sich dem Zuschauer nur so das ganze Ausmaß der dreigeteilten Erzählung, wo jeder Abschnitt auf den jeweils anderen fußt und doch seine ganz eigene Message hat. Gerade aus diesem Grund ist Assayas‘ Werk von einer durchgehend angespannten Stimmung geprägt, die sich lange Zeit überhaupt nicht entlädt und dann so unspektakulär aufgelöst wird, dass das Unbehagen ob der fast beiläufigen Inszenierung noch viel, viel größer ist. Kurzum: Assayas gibt nichts auf gängige Sehgewohnheiten und erzählt nicht nur völlig frei von Konventionen, sondern inszeniert sein visuell unspektakulär gefilmtes Drama auch so, dass man das Gefühl für Realität und Fiktion alsbald verliert.

Fazit: «Die Wolken von Sils Maria» ist hervorragend gespieltes Experimentalkino, das nicht nur die Kritiker überlistet, sondern in seiner Durchschlagkraft noch angenehm lange nachhallt.

«Die Wolken von Sils Maria» ist ab dem 18. Dezember in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen!

Zum Kinostart von «Die Wolken von Sils Maria» verlost Quotenmeter.de 3x2 Freikarten zum Film. Beantwortet einfach folgende Frage und schickt die Antwort mit dem Betreff "Wolken" an gewinn@quotenmeter.de.

Als was arbeitete der Regisseur Olivier Assayas vor seiner Karriere als Filmemacher?

Tipp: Der Titel findet sich auch in der obigen Filmkritik.
Teilnahmeschluss ist am 21. Dezember 2014 um 23:59 Uhr. Viel Glück!

Weitere Informationen zu den Teilnahmebedingungen findet ihr unter http://tinyurl.com/QuotenmeterGewinn.

Kurz-URL: qmde.de/75130
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