Die Kritiker

«Alles muss raus – Eine Familie rechnet ab»

von

Bei Sat.1 widmete man sich 90 Filmminuten lang humorvoll der Schlecker-Pleite. Das ZDF versucht es dramatisch und doppelt so lang. Doch bedeutet doppelte Länge auch doppelte Qualität?

Cast und Crew

Vor der Kamera:

Robert Atzorn («Der Fall Jakob von Metzler») als Max Faber, Lisa Martinek («Die Schuld der Erben») als Kerstin, Josefine Preuß («Die Hebamme») als Janine, Florian Lukas («Weissensee») als Frank Landers, Benjamin Sadler («Das Jerusalem Syndrom») als Henry Bergmann, Imogen Kogge («Phoenix») als Ingrid Faber, Barry Atsma («Loft») als Oskar Etsch


Hinter der Kamera:

Regisseur: Dror Zahavi, Drehbuch: Kai Hafemeister, Kamera: Gero Steffen, Ausstattung: Gabriele Wolff, Musik: Stefan Hansen, Schnitt: Fritz Busse, Produktion: Oliver Berben und Sarah Krikegaard
Wann ist genug geschleckert? In den vergangenen Wochen zeterten viele Fernsehfreunde, dass zwei Filme über die Schlecker-Pleite mindestens einer zu viel seien. Aber so voreingenommen wollen wir an dieser Stelle einfach mal nicht sein. Nicht zuletzt, weil Sat.1 mit «Die Schlikkerfrauen» eine amüsante Komödie ablieferte, die mit ihren satirischen Elementen nicht auf den Kopf gefallen ist. Wenn diese Produktion schon gelungen ist, dann kann das ZDF-Drama «Alles muss raus – Eine Familie rechnet ab» ja so übel nicht sein, oder? Schließlich zeichnet Oliver Berben für den Zweiteiler verantwortlich, der unter deutschen Produzenten zu den Spezialisten für TV-Filme über deutsche Zeitgeschichte zählt.

Und wie bei einer Berben-Fernsehproduktionen zu erwarten war, brettert «Alles muss raus – Eine Familie rechnet ab» zumindest hinsichtlich seiner Ausmaße an der Sat.1-Konkurrenz vorbei. 180 Minuten (aufgeteilt in zwei Parts) müssen es sein, statt nur 90. Und der denkwürdige Vorspann könnte mit seinem prägnantem Design auch vor einem James-Bond-Film laufen, sollte 007 künftig gegen Wirtschaftsverbrecher kämpfen. Und auch der Film selbst hat auf der visuellen Ebene große Ambitionen: Kameramann Gero Steffen arbeitet in vielen Szenen mit reduziertem Licht, etwa wenn die Drogerieangestellte Janine (Josefine Preuß) und ihr mehrfach vorbestrafter Lover Landers (Florian Lukas) ihren erotischen Spielchen nachgehen. Oder wenn der Tagedieb Lotto Karl (Armin Rohde) nachts um schwach beleuchtete Häuser zieht. Oder auch, wenn nur das gelbliche Strahlen der eleganten Lichterketten die vor prachtvoller Kulisse stattfindende Geburtstagsfeier des Drogeriemagnaten Max Faber (Robert Atzorn) erfüllt. Obwohl all diese Szenen im Halbdunkeln spielen, verleiht Steffen ihnen eine unterschiedliche Ästhetik, die jeweils eine kalte, verlotterte oder luxuriöse Atmosphäre erweckt.

Steffen und Regisseur Dror Zahavi heben diese meist zwischenmenschliche Dramen vorantreibenden Szenen so auch von den Sequenzen ab, die im Drogeriemarkt oder in Büros und Konferenzräumen spielen und eher den sozialwirtschaftlichen Themen dieses Zweiteilers angehören. Bei so viel Ambition hinsichtlich der Bildsprache stören auch nur die dreisteren Anlehnungen an die «House of Cards»-Optik den positiven Eindruck der hier gebotenen Ästhetik. Da zudem die Klangtapete von «Alles muss raus – Eine Familie rechnet ab» solide bis stimmig ist, wird eins rasch klar: Auf der bild- und klanggestalterischen Ebene führte das Mehr an Ambition auch zu einem verdienten, audiovisuellen Vorsprung gegenüber der unauffälliger gestalteten Sat.1-Satire.

Insgesamt haben «Die Schlikkerfrauen» allerdings die Nase vorn. Denn die Produktion aus dem Hause UFA Fiction hatte ein klares Ziel vor Augen, dass sie effizient verfolgte. Im Fall von «Alles muss raus – Eine Familie rechnet ab» hingegen geht beim unaufhörlichen „Viel hilft viel!“-Gedanken jeglicher Sinn für Prägnanz verloren. Um die Laufzeit zu rechtfertigen, überlädt sich der Zweiteiler mit Handlungsfäden, die die gesamte soziale Leiter abdecken. Drogerieketten-Gründer und Firmenchef Max Faber hat sich in eine Sackgasse manövriert und will daher mittels einer Planinsolvenz dem sonst drohendem Neustart ausweichen. Tochter Kerstin (Lisa Martinek) eilt extra aus dem Ausland herbei, um das Erbe ihres Vaters zu retten – rasch kommt es aber zu Uneinigkeiten darüber, welche Methoden das Hause Fabei bei der Unternehmensrettung versuchen soll. Die engagierte Faber-Angestellte Janine wiederum geht allen Unkenrufen zum Trotz jeden Tag mit stolzem Eifer zur Arbeit – und träumt von einem gefestigten Leben mit ihrem Freund Landers, der entgegen seiner Versprechen noch immer kriminell ist. Aber ist er wirklich schlimmer als der listige Investor Oskar Etsch (Barry Atsma) oder der gewiefte Journalist Henry Bergmann (Benjamin Sadler), der einen Deal mit seiner Ex Kerstin eingeht und die Pressestimme bezüglich Faber nach ihrem Belieben zurechtbiegt?

Das Drehbuch von Kai Hafemeister versucht, mit diesen Handlungssträngen die Struktur und Figurenkonstellation großer TV-Gesellschaftsdramen wie «Einmal im Leben» oder «Der große Bellheim» zu imitieren. Allerdings reicht «Alles muss raus – Eine Familie rechnet ab» nur an die thematische Bandbreite seiner Vorbilder heran. Doch mit einer sperrigen Laufzeit und einem großen Wust aus angeschnittenen Themen geht nicht automatisch inhaltliche Tiefe einher. Geschweige denn große Spannung: Selbst wenn bis zum Abschluss der 180 Filmminuten viele Figurenschicksale in der Luft hängen bleiben, fehlt ihnen durchgehend die narrative Dringlichkeit und die nötige Schärfe in der Charakterzeichnung, um interessant zu bleiben.

Der zumeist wundervolle Robert Atzorn beispielsweise kann seiner Rolle des einst aufstrebenden Geschäftsmanns, der nunmehr die Übersicht über den Markt verloren hat, in diesem dreistündigen, sich bierernst nehmenden Sozialdrama weniger Facetten abgewinnen als Sky du Mont seiner Schlecker-Imitation in «Die Schlikkerfrauen». Beide Figuren werden als Unternehmer gezeichnet, die klein anfingen, dann vor lauter Geld betriebsblind sowie zu selbstbewusst wurden und die nun zwischen Egomanie oder Idealismus entscheiden müssen. Doch während du Monts Karikatur mit ihrer Selbstironie zudem eine schurkische und eine verspielte Note erhält, tritt Atzorns Figur aufgrund des zwar um Ausführlichkeit, nicht aber um tiefschürfende Charaktermomente bemühten Skripts stundenlang auf der Stelle.

Auch Josefine Preuß' ambivalentes Verhältnis zu ihrem Arbeitgeber – einerseits bringt sie großen Arbeitseifer mit, andererseits große Wut über die betrieblichen Zustände – bleibt innerhalb der Laufzeit ungefähr auf dem Niveau an Charakterisierung, das Sat.1 prägnanter, amüsanter und mit verschmitztem Grinsen den Arbeiterinnen in seiner Schlecker-Story gönnte. Zwar bietet der Subplot darüber, wie Janine zum Spielball der Presse und Fabers listiger Tochter wird, zusätzliches Potential, jedoch verläuft dieser Storyaspekt kurz nach seiner Einführung in Teil zwei wieder im Sand. Stattdessen nimmt eine thematisch überflüssige, sich auf Herzschmerz-Klischees verlassende Nebenhandlung über einen gesundheitlichen Schicksalsschlag in Familie Faber umfangreich Raum im Abschluss dieser Saga ein. So bedeutungsschwanger der inszenatorische Tonfall und die humorfreien Figuren sein mögen, die letztlich in «Alles muss raus» erzählten Geschichten und die ungeschliffenen Dialoge wissen den bemühten Pathos zu Fall zu bringen.

Es muss natürlich nicht gleich das hohe Niveau von «Wolf of Wall Street» sein, selbst wenn Martin Scorseses dreistündiger Wirtschaftskrimi bewies, dass sich eine Story über Ehrgeiz und Gier auch in dieser Bandbreite dynamisch erzählen lässt und dabei trotzdem smart sein kann. Aber wenn es schon 180 Minuten sein sollen, dann muss nicht nur die Frage „Haben wir genügend Storys?“ bejaht werden, sondern auch die Frage „Tragen unsere Storys diese Laufzeit?“ Und in diesem wichtigen Punkt versagt «Alles muss raus». Denn die Produktion von Moovie - the art of entertainment bietet gleichermaßen zu viel und zu wenig für ihr eigenes Wohl. Es sind so viele Figuren, Milieus und gesellschaftliche Baustellen, die eingefangen werden, dass Dramaturgie und Prägnanz verloren gehen. Zugleich sind zu wenige Überraschungen, charakterbezogene Einsichten und aussagekräftige Momente gegeben, um die langatmige Gesamtheit dieses Films zu stützen.

«Alles muss weg» hat zwar vereinzelte Momente der Brillanz aufzuweisen – etwa das Intro, in dem Faber Millionen durch die Lappen gehen, weil er bei seinem Jagdausflug schlechten Handyempfang hat. Aber der gute Kern ging beim vorherrschenden Expansionsgedanken verloren. Bittere Ironie, ist doch genau das laut Hafemeisters Skript der Weg, der stetig wachsende Konzerne in den (moralischen und/oder wirtschaftlichen) Ruin führte …

Der erste Teil von «Alles muss raus - Eine Familie rechnet ab» ist am Montag, den 13. Oktober 2014, um 20.15 Uhr im ZDF zu sehen. Teil zwei folgt am 15. Oktober, ebenfalls zur besten Sendezeit. Am Sonntag, den 19. Oktober, strahlt ZDFneo ab 21.45 Uhr beide Teile im Doppel aus.

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