Popcorn & Rollenwechsel

Die verflixten Freigaben

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Wieso gibt es eigentlich unzählige Filme ab 12 aber relativ wenig Produktionen mit hohen Freigaben?

Ich habe mich ja bereits zumindest in gewisser Form für die Flut an Fortsetzungen stark gemacht, die uns im Kino seit einiger Zeit ereilt. Aber bei aller Euphorie für gute Sequels muss ich einräumen: Natürlich wäre es schön, auch im Big-Budget-Sektor öfter originelle Stoffe zu sehen, und selbstredend ist es ärgerlich, dass große Studios mittlerweile nahezu alles als Risiko einstufen, was nicht auf bereits bestehender Materie basiert. Betrachtet man aber die zahlreichen Kinofortsetzungen für sich, so lassen sich unter ihnen zahllose sehenswerte Filme finden. Anders gesagt: Es gibt ein prinzipielles Problem, aber verdammt gute Filme, die Teil des Problems sind. Fortsetzungen, Prequels, Ableger und Remakes sind jedoch nur ein Bestandteil der selbstauferlegten Eingrenzung, die es in der Filmindustrie zu bewundern gibt. Ein mindestens ebenso großes Phänomen sind die Grenzen, die sich viele Produktionen im Hinblick auf die Jugendfreigaben geben – oder geben müssen.

In Hollywood etwa regieren zwei Jugendfreigaben: PG-13 (zumeist vergleichbar mit dem, was hierzulande eine FSK ab 12 Jahren erhält) und R (grob mit unserem FSK ab 16 vergleichbar). So kommen in den USA mehr R-Filme heraus (2012 zum Beispiel 168, gefolgt von 113 PG-13-Filmen), doch das PG-13 ist der große Geldbringer – mehr als die Hälfte des US-Jahresergebnisses wird an den Kinokassen durch Filme mit dieser Freigabe generiert. Die höchste Freigabe, das NC-17, wird jedoch mit Bedacht vergeben. Und dies nicht aufgrund einer hohen Toleranz der Freigabebehörden, sondern weil die US-Filmindustrie wenig daran interessiert ist, Filme zu produzieren, die nach diesen Altersfreigaben schreien.

Dies liegt jedoch nicht an einem Mangel an Grenzen auslotenden Filmemachern, sondern zu großen Teilen daran, dass die Infrastruktur des Filmmarkts besonders harschen Produktionen unzählige Steine in den Weg legt. Und ganz gleich, wie wenig kompromissbereit ein Regisseur oder Produzent sein mag: Wenn er die Wahl hat, seinen Film einem Publikum von nennenswerter Größe zugänglich zu machen oder all sein in die Produktion gestecktes Geld aufs Spiel zu setzen, indem er das potentielle Publikum klein hält – dann ist es eben doch verführerisch, einige Sekunden zwecks niedrigerer Freigabe zu opfern. Oder direkt einen anderen Film zu drehen. Denn in den USA ist ein NC-17 eine Art Todeskuss. Der erfolgreichste NC-17-Film aller Zeiten auf dem US-Markt ist der damals als Flop bewertete «Showgirls» mit einem Einspiel von 20,35 Millionen Dollar. Der erfolgreichste Film mit einem R-Rating, «Die Passion Christi», kam in den Staaten derweil auf 370,78 Millionen Dollar. Und selbst der aktuelle Rang 200 der ewigen US-Bestenliste der kommerziell einträglichen R-Rated-Movies, «Der englische Patient», kam immerhin auf mehr als 78 Millionen.

Woran dies liegt, erläuterte kürzlich Lukas Kendall, der Produzent des Thrillers «Lucky Bastard», in einer Kolumne für das US-Filmportal 'Film School Rejects'. Kendalls Film handelt von einem jungen Mann, der eine Nacht mit einer Pornodarstellerin verbringen darf, sein bestes Stück vor lauter Nervosität nicht hochbekommt und die Professionelle sowie ihre Kameracrew daraufhin aus Scham tötet. Obwohl «Lucky Bastard» keinen expliziten Sex beinhaltet, ist er recht anzüglich und obendrein brutal, weshalb er ein NC-17 erhielt. Eine Kürzung des Films lehnte Kendall ab, weil der Streifen durch die großzügigen Zensuren unverständlich geworden wäre. Die Folge dessen: Kaum ein Festival willigte ein, die Produktion zu zeigen, da allein schon die Altersfreigabe zu große Assoziationen mit echter Pornografie geweckt habe.

In regulären Kinos hatte Kendall ebenfalls kein Glück: Nahezu alle US-Multiplexe zeigen gar keine NC-17-Filme, es sei denn, sie stammen von einem Verleih, der zum selben Mutterkonzern wie die Kinokette gehört. Viele Arthouses wiederum zeigen derartige Nischenprojekte bevorzugt, wenn sie gar keine Altersfreigabe haben, weil dann keine Regularien der Freigabebehörde zu befolgen sind. Und der boomende Video-on-Demand-Markt? Die großen Anbieter verweigern sich dem NC-17, es sei denn, der Film wurde zu einem popkulturellen Diskussionspunkt (wie «Blau ist eine warme Farbe») und trägt als solcher zum Imagegewinn der Seite bei.

Und auch wenn deutsche Kinos und Onlineportale lockerer mit der FSK-Freigabe ab 18 Jahren umgehen als der US-Markt mit seinem NC-17, so ist es auch für hiesige Filmemacher schwer, in solche Gefilde vorzudringen. Ähnlich wie in den Vereinigten Staaten vermeiden auch hierzulande viele Produktionsfirmen die höchstmögliche Jugendfreigabe, weil ein kleineres potentielles Publikum ein zu großes wirtschaftliches Risiko darstelle. Maximilian Erlenwein, Regisseur des Thrillers «Stereo», erklärte in einem Interview mit 'epd-Film', dass er aus diesem Grund mit seiner Regiearbeit von vornherein auf eine FSK ab 16 Jahren abzielte: „Hätten wir ein ‚FSK 18’ bekommen, dann hätte der Verleih wahrscheinlich gesagt, das ist kommerziell ein Desaster und ich hätte etwas entschärfen müssen.“

Und selbst die 16er-Freigabe wird eher ungern gesehen. Da nicht wenige deutsche Kinofilme aus Geldern von Fernsehsendern mitfinanziert werden, Filme ab 16 Jahren jedoch erst nach 22 Uhr gezeigt werden dürfen, wird von den Geldgebern das primetimetaugliche ab 12 deutlich bevorzugt. Die Ausmaße dessen werden immer dann klar, wenn ein für 20.15 Uhr angekündigter Fernsehfilm plötzlich eine Freigabe ab 16 Jahren erhält – und mit großem Medienrummel der «Tatort» daher erst ab 22 Uhr läuft oder die ARD «Operation Zucker» radikal kürzt, selbst wenn dies das Ende und somit die Aussage verfälscht (wir erinnern uns).

Schlussendlich gilt für dieses Thema, was ich schon über Fortsetzungen sagte: Natürlich gibt es großartige Filme ab 12 Jahren. Einige der besten Produktionen aller Zeiten tragen das grüne Siegel. Ähnlich sieht es mit dem PG-13 aus. Aber wenn Filmprojekte aufgegeben werden, weil sie keine niedrige Freigabe erhalten werden, dann schielen die Verantwortlichen so sehr auf diese Beurteilung, dass es der Vielfalt der Filmkunst und -unterhaltung bloß schadet.

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