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Gelbe Karte: Wo die WM-Berichterstattung von ARD und ZDF enttäuscht

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Mehr als drei Wochen berichten die deutschen Sender nun von der FIFA WM aus Brasilien. Zeit für ein Zwischenfazit über gute und schlechte Experten, nachrichtenfreie «heute»-Sendungen und einen blassen Moderationsort.

Facts zur WM-Berichterstattung

ARD und ZDF haben rund ein Viertel weniger Personal vor Ort als zur WM 2010, da die FIFA mittlerweile deutlich mehr Inhalte zentral zur Verfügung stellt – darunter beispielsweise Interviews oder Bilder vom Training. Erstmals überhaupt zeigen die beiden Sender alle 64 WM-Spiele, 2006 und 2010 hatte RTL noch Rechte eingekauft. Die Bilder von ARD und ZDF werden ferngesteuert: vom internationalen Medienzentrum in Rio Barra, das rund 30 Kilometer von der Moderationsplattform an der Copacabana entfernt liegt.
Entscheidend ist auf dem Platz – dieses Fußball-Gesetz gilt zwar auch bei dieser WM, doch was wäre eine atmosphärische Weltmeisterschaft ohne die Rahmenberichterstattung, ohne die Interviews und Analysen, ohne die Aufreger und Diskussionen abseits des Spielfeldes? Für die gute Turnier-Stimmung und den gepflegten Fußballabend sind die Berichte immens wichtig, nehmen sie doch oft mehr Netto-Sendezeit ein als die eigentlichen Partien. Gut drei Wochen nach dem Start der FIFA WM in Brasilien machen ARD und ZDF einen ordentlichen, meist guten Job: zum Beispiel in Sachen Taktik-Analyse, die dennoch weiterhin einen geringen Stellenwert einnimmt.

Aber auch in Sachen Experten. Oliver Kahn präsentiert sich mit seinen mitunter unkonventionellen Ansichten als gutes Korrektiv der Mainstream-Meinung, die zwar kritische Töne zulässt, jedoch vor allem dann, wenn diese ohnehin populär sind. Kahn war es, der vor der Euphorie bei der deutschen Nationalmannschaft unter anderem nach dem Portugal-Sieg warnte und eine distanzierte Kritik formulierte. Bitter nötig bei der ansonsten extrem wohlwollenden Gute-Laune-Berichterstattung aus dem deutschen Lager: Da planscht Katrin Müller-Hohenstein mit Lukas Podolski am Pool. Da wird Jogi Löws morgendlicher Jogginglauf am Strand tagelang so inszeniert, als würde der Bundestrainer bald in «Top Gun 2» und «Baywatch» gleichzeitig den Helden spielen. Und da wird kundgetan, wie perfekt doch alles sei, wie gut die Mannschaft sich verstehe, wie hervorragend alle spielen – eine etwas ausgeglichenere, differenziertere Berichterstattung war selten zu finden, vielleicht manchmal bei Kahn.

Ebenfalls im ZDF machte Experte Lutz Pfannenstiel eine gute Figur, der gemeinsam mit dem routinierten Rudi Cerne bei den Spätspielen eingesetzt wurde. Pfannenstiel spielte als Torwart in der ganzen Welt, hat eine enorme Sachkenntnis nicht nur im Fußball, sondern auch in der Fußball-Kultur der Länder. Weitere TV-Einsätze wären zu begrüßen. Enttäuschend dagegen Giovane Elber (Foto, rechts) in der ARD: Seine Analysen beschränkten sich bei vielen Mannschaften auf Oberflächlichkeiten, richtige Fachkenntnis – als sogenannter Experte, der uns Zuschauern neue Dinge vermitteln will – brachte er lediglich bei Brasilien, punktuell bei anderen südamerikanischen Mannschaften, mit.

Generell aber wirkt das Experten-Modell, bei dem ein Fußballprofi eine alleinige Meinung über das Spiel abgibt, leicht antiquiert. In dieser Hinsicht machte sogar der Spartenkanal ZDFinfo den besten WM-Job; dort wurden vier Parallelspiele am letzten Gruppenspieltag gezeigt. Nicht nur setzte man bei ZDFinfo während der Livepartien die Stamm-Mannschaft an Kommentatoren ein, auch präsentierte man ein ausführliches Rahmenprogramm: eine Runde aus drei Experten, die gemeinsam mit Moderator Yorck Polus für teils hitzige, interessante Diskussionen sorgte. Und für verschiedene Meinungen, die bei den großen Sendern durch den alleinigen Experten außen vor bleiben. Dieses Roundtable-Modell, das beispielsweise auch Sky schon erfolgreich bei den Bundesliga-Topspielen einsetzt, ist ein Modell der Zukunft. In vielen anderen Ländern ist es längst Standard. ZDFinfo begann diese Berichterstattung eine Dreiviertelstunde vor Spielbeginn und ließ sogar in der Halbzeitpause diskutieren – also dann, wenn auf den anderen Sendern Nachrichten gezeigt wurden.

Das genaue Gegenteil präsentierte EinsFestival, das ebenfalls Parallelspiele übertrug – das Wort Berichterstattung wäre hier allerdings schmeichelhaft. Der Sender verzichtete trotz attraktiver Begegnungen komplett auf ein Rahmenprogramm, schaltete zehn Minuten vor Spielbeginn den Kommentator auf und zeigte ausschließlich offizielle Stadionbilder. In der Halbzeitpause maßte man sich an, gewöhnliche Musikvideos zu zeigen. Diese Programmplanung führte zu peinlichen Überbrückungs-Moderationen der Kommentatoren: Bis sie zum Musikvideo schalten konnten, lasen sie teils chronologisch die Spielstatistiken vor, die der Zuschauer auf dem Bildschirm ohnehin sah. Anders als das ZDF setzte man auch nicht auf die etablierte Kommentatoren-Garde, sondern auf Reporter, die sonst Spielzusammenfassungen in der «Sportschau» vertonen. Zu allem Überfluss bemerkte man teils nicht, dass die Spielstände vom Parallelspiel nicht wie sonst üblich eingeblendet wurden – bei der wichtigen Partie Brasilien-Kamerun sogar während der gesamten 90 Minuten nicht.

Ein weiterer Streitpunkt bei ARD und ZDF: die blasse Berichterstattung von einer Dachterrasse an der Copacabana; diesen Ort teilen sich die öffentlich-rechtlichen Sender als Moderationsstätte. Die Berichterstattung weit über den Dächern Rios kann kaum emotionale WM-Atmosphäre transportieren. Besonders auffällig wird dies wenige Minuten nach packenden WM-Partien, wenn aus den jubelnden Stadien zurück zum (leisen) Rio geschaltet wird. Ein Problem ist auch das fehlende Publikum: Dieses war bei den vergangenen Turnieren noch vor Ort – entweder direkt eingeladen wie im ZDF 2012 aus Usedom oder als Stadiongäste, wenn man live aus den Arenen sendete. Dies hatten ARD und ZDF noch bei der WM 2010 getan, diesmal gibt man aus Mainz zu verstehen, dass reine Stadion-Moderationen aufgrund der großen Entfernungen der Spielstätten eine schwächere Alternative gewesen wären. Denn auch das International Broadcast Centre, das internationale Medienzentrum der WM, befindet sich nur wenige Kilometer vom Moderationsort der Öffentlich-Rechtlichen entfernt. Trotzdem wäre eine Zwischenlösung besser gewesen: Längere Moderationen von Fan-Meilen oder aus den Stadien selbst – denn ARD und ZDF haben in den Stadien durchaus Reporter vor Ort, die allerdings nur extrem kurze Schalten bekommen.

Und schließlich fielen die Sender auch dann negativ auf, als es eigentlich gar nicht um Fußball gehen sollte: bei den Nachrichtensendungen in der Halbzeit, die teilweise stark überproportional über Fußball berichteten, trotz weltpolitischer Ereignisse und auch trotz der angespannten Lage in Brasilien selbst. Vor dem Turnier bekräftigten ARD und ZDF, man werde „nicht ausschließlich über die sportlichen Ereignisse berichten, sondern auch die politische Lage in Brasilien vor und während der Fußball-WM beobachten. […] Wir wollen den Zuschauern ein umfassendes Bild auch der gesellschaftlichen Verhältnisse im Austragungsland bieten.“ Zu sehen ist davon sehr wenig, vielleicht auch – so liest man – weil die Regierung jegliche Demonstrationen gewalttätig unterdrückt. Aber auch dieser Umstand wäre eine ausführliche Berichterstattung wert.

Besonders negativ fiel «heute nacht» in der Halbzeitpause der Mitternachtsspiele auf, das manchmal ausschließlich (!) reine Fußballmeldungen brachte. Zwar bedienen diese Nachrichtensendungen ohnehin nur Gelegenheitszuschauer, die das Fußballspiel sehen – niemand schaltet nachts wohl bewusst zum ZDF, um die Nachrichten zwischen den Halbzeiten zu verfolgen. Auch ist es legitim, in der Halbzeitpause ausschließlich Fußball-Meldungen zu präsentieren – aber dann bitte nicht verpackt in eine vermeintlich seriöse Nachrichtensendung namens «heute nacht», sondern außerhalb davon. Warum berichtet das ZDF, wenn es schon Nachtnachrichten ausstrahlen will, nicht standesgemäß von den wirklich relevanten weltpolitischen Ereignissen? Will man die Marke «heute nacht» stärken? Glaubt man, um 00.50 Uhr interessiert sich der gemeine Fußball-Fan keine drei Minuten mehr für anderes?

So manches an dieser Berichterstattung ist seltsam, wenn man bei ARD und ZDF genau hinschaut. Aber auch dies gehört wohl zu einer gepflegten Weltmeisterschaft: das Schimpfen, das der echte Fußballfan ohnehin perfektioniert hat. Auf dass es beim nächsten Turnier dennoch besser wird.

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