Popcorn & Rollenwechsel

Sag Adieu, erweitertes «Star Wars»-Universum!

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Die neuen «Star Wars»-Filme unterwerfen sich nicht den zahllosen Romanen, Comics und Videospielen rund um George Lucas' Schöpfung. Unser Kolumnist erachtet dies als gute Entscheidung.

Jeder halbwegs am «Star Wars»-Universum interessierte Filmfreund hat es seit mehreren Monaten geahnt, doch erst am 25. April wurde es offiziell: Lucasfilm, respektive der Disney-Konzern, gab bekannt, dass das Expanded Universe, bestehend aus mehreren Dutzend Videospielen, nahezu 300 Romanen und annähernd 900 Comics, nicht länger als Kanon gilt. Was in der umfangreichen «Star Wars»-Welt definitiv geschah und somit für kommende Filme von Bedeutung ist, sind einzig und allein die ersten sechs Kinofilme sowie die TV-Serien «Star Wars: Clone Wars» und «Star Wars Rebels».

Die ersten Reaktionen auf diese Entscheidung sind gemischt. Doch von einem nüchternen Standpunkt aus gesehen ist dieser Beschluss schlicht und ergreifend konsequent. Obwohl Lucas Licensing in den 90ern eine eigene Division gründete, die sich damit beschäftigte, eine schlüssige Kontinuität zu ermöglichen, galt schon damals die unverrückbare Regel: Zwar orientieren sich die Expanded-Universe-Autoren an George Lucas, Lucas dagegen muss sich keineswegs den Werken anderer Autoren unterwerfen. Ihm stand es frei, in der Prequel-Trilogie zu erzählen, was ihm beliebte, ganz gleich, ob es sich womöglich mit einzelnen Angaben aus dem Expanded Universe beißt. 2001 erklärten Steve Sansweet, Koordinator der Fan-Kommunikation bei Lucasfilm, und Chris Cerasi, damaliger Lektor bei Lucas Books, zudem, dass alles außerhalb der Filme bloß ein Fenster ins «Star Wars»-Universum darstellt, und manche dieser Fenster einen verlässlicheren Blick erlauben als andere. Widersprüchlichkeiten seien da unvermeidlich und in solchen Fällen hätten die Filme klaren Vorrang.

Insofern ist das aktuelle Statement von Lucasfilm bloß eine mit mehr Nachdruck vermittelte Wiederholung dessen, was nie außer Frage stand: Das Expanded Universe besteht aus teils sehr guten, mitunter auch schwachen Sagen, die sich nicht zwingend der „Wahrheit“ verpflichtet haben. Da ist es durchaus passend, dass Nachdrucke beliebter Expanded-Universe-Romane künftig unter dem Label «Star Wars Legends» erscheinen.

Aber wieso macht das Unternehmen rund um Kathleen Kennedy ausgerechnet nun solch eine Aussage, auf Gefahr hin, Liebhaber des erweiterten Universums zu verärgern? Die Antwort ist naheliegend: Wir nähern uns allmählich den ersten großen News über «Star Wars: Episode VII». Und daher ist es an der Zeit, die Fronten zu klären. Als es nach der Prequel-Trilogie vorerst so erschien, als würden keine «Star Wars»-Filme mehr ins Kino kommen, gab es keinen dringenden Anlass, zu vermelden, dass im Zweifelsfall Kinoproduktionen Vorrang hätten. Nun dagegen sieht es anders aus. Und wieso sollte sich Lucasfilm bei der Verwirklichung neuer Kinofilme dem Expanded Universe unterwerfen? Selbst wenn es tatsächlich bislang vollkommen frei von Widersprüchen wäre, so wären die Nachteile einer kontinuierlichen Fortführung größer als die Nachteile.

Kinofilme müssten dann aus zwei Optionen wählen: Entweder suchen sich die Filme Lücken im Expanded Universe und tänzeln bemüht zwischen den dort in Stein gemeißelten Ereignissen herum. Neue, noch dazu kinotaugliche und ein großes Publikum ansprechende Storys zu finden, die zu keinem Zeitpunkt einer Beschreibung, einer Story oder einem Randfakt aus den zahllosen Werken widersprechen, käme einer Tortur gleich. Beispielsweise wäre im Kino ein Umstand unmöglich, der von Fans bereits sehr warm aufgenommen wurde: Die neue Trilogie setzt 30 Jahre nach der Originalreihe an – und bringt unter anderem Chewbacca auf die Leinwand zurück. Dieser ist laut dem Expanded Universe allerdings 25 Jahre nach den Ereignissen von «Star Wars: Episove IV» gestorben.

Option zwei für Kinofilme, wäre es ihr Ziel, dem erweiterten Universum nicht zu widersprechen: Es wäre möglich, Geschichten aus den Romanen, Comics und Videospielen zu adaptieren. Dass jedes Medium jedoch eigene Bedürfnisse hat und selbst vorlagengetreue Romanverfilmungen Änderungen treffen, dürfte aber bekannt sein. Und so wäre es nur eine Frage der Zeit, bis in den neuen Kinofilmen eine Castingentscheidung, eine erzählerische Verdichtung oder ein inszenatorischer Kniff den «Star Wars»-Romanen nicht 1:1 entspricht – und sei es nur, dass aus einer kurzen Schießerei in einem Roman ein aufwändiger, stylischer Lichtschwertkampf wird.

Wieso also behaupten, dass die Kinofilme das Expanded Universe achten, wenn es die Filmemacher unnötig einengt und obendrein eh kaum eingehalten werden kann? Das Aufgeben der bisher erschaffenen Scheinkontinuität erlaubt es, neue Storys zu erzählen und selbst die größten «Star Wars»-Kenner zu überraschen. Gleichwohl kann ein „Best of“ der Romane und Videospiele zusammengestellt werden – gelungene Storylines, beliebte Figuren können noch immer in Filmen vorkommen, ohne dass daher alles wiederholt werden muss, was im erweiterten Universum als Hinleitung zu diesen respektieren Elementen niedergeschrieben wurde.

Ähnlich wie Marvel auf der Leinwand ein eigenes Kinouniversum erschafft, und damit sehr gut fährt, baut sich auch Lucasfilm mit kommenden «Star Wars»-Filmen etwas Neues auf, in der Hoffnung, das abzuliefern, was für die große Leinwand das Beste ist. Auf den ersten Blick erscheint das „Todesurteil“ für das Expanded Universe harsch. Schlussendlich ist es jedoch allein ein Urteil, das den Kinofilmen, also der populärsten Stütze dieser Marke, kreative Freiheit garantiert.


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