Die Kino-Kritiker

«Grand Budapest Hotel»

von

Meisterregisseur Wes Anderson erschafft in dieser schrulligen Komödie eine sonderbare Puppenhauswelt voller Stars.

Hinter den Kulissen

  • Regie: Wes Anderson
  • Drehbuch: Wes Anderson und Hugo Guinness
  • Produktion: Wes Anderson, Jeremy Dawson, Steven M. Rales und Scott Rudin
  • Musik: Alexandre Desplat
  • Kamera: Robert D. Yeoman
  • Schnitt: Barney Pilling
Selbst unter den markantesten derzeit aktiven Regisseuren gibt es kaum einen Künstler, dessen Stil solch einen hohen Wiedererkennungswert hat wie Wes Anderson. Die Werke des in Texas geborenen Regisseurs, Autors und Produzenten verfügen über einen äußerst distinktiven visuellen Charakter, der von Kritikern und Filmhistorikern unter anderem mit Puppenhäusern, Spieldosen, Schneekugeln und kunstvoll bestückten Setzkästen verglichen wird. Dieser unverkennbare Anstrich, den Anderson seinen Regiearbeiten verleiht, äußert sich mit jedem neuen Eintrag in seine filmische Vita stärker und stärker. Fußte die dramatische Schulkomödie «Rushmore» von 1998 etwa noch wenigstens zur Hälfte in einer theatralischen Realität, lässt sich im nostalgisch-romantischen Komödiendrama «Moonrise Kingdom» von 2012 nicht eine einzelne Sekunde ausmachen, die nicht in Andersons Stilistik getaucht ist. Wer aber glaubt, dass der minutiös arbeitende Zuckerbäcker unter den Independent-Filmschaffenden mit der lieblich-schrulligen Kinder-Liebesgeschichte den Zenit seiner optischen Verschrobenheiten erreicht hat, der irrt sich gewaltig. Und sollte dringend ins «Grand Budapest Hotel» einchecken, um sich selbst davon ein Bild zu machen, wie sehr sich Anderson zu übertrumpfen weiß.

Es beginnt auf dem Stilisierungsgrad von «Moonrise Kingdom»: Als sei es in einem Schaukasten gefangen, fährt die Kamera durch das osteuropische Alpenland Zubrowka, wo im Jahre 1985 eine junge Frau das Grab eines hoch verehrten Schriftstellers besucht. Dort liest sie eines seiner Bücher: „Grand Budapest Hotel“. In diesem Roman berichtet ein namenloser Verfasser (in stilisierten Bildern, die den Beginn des Films alltäglich erscheinen lassen) davon, wie er 1968 versuchte, eine problematische Schreibblockade durch eine Reise ins Bergdorf Nebelsbad zu bekämpfen. Im dortigen, durchaus ins Alter gekommenen, Prachthotel begegnete der Autor dem Stammgast Zéro Moustafa. Dieser, wie der Erzähler erläutert, lud ihn eines Abends dazu ein, gemeinsam zu speisen, um währenddessen über die Glanzzeiten des Grand Budapest Hotels sprechen zu können – sowie von seinen Anfängen im Hotelgewerbe. Und so beginnt ein mit bewusst kruder Tricktechnik ausgeschmückter sowie in knalligen Farben illustrierter Bericht über einen Lobby Boy und dessen großen Helden, den Concierge Gustave, der das Hotel einst mit großem Perfektionsdrang führte und dank seinen kleinen Flirts vor allem alte Damen zu Stammgästen des Hauses machte. Dieser nach einem großen, altmodischen Ehrenkodex arbeitende Gentleman gerät eines Tages jedoch in einen verworrenen Komplott, als der Verdacht aufkommt, er habe eine seiner geliebten alten Ladys ermordet …

Auch wenn die Kerngeschichte von Wes Andersons «Grand Budapest Hotel» in ihrer Ehrfurcht vor Ralph Fiennes' Rolle des Concierges Gustave teils melancholische Klänge anschlägt und Bedauern äußert, wie sehr historische Umstände vorzügliche Höflichkeit auszurotten vermögen, so ist dieser Ausflug ins fiktive Land Zubrowka vor allem eins: Eine verspielte, mit wahnsinniger Liebe zum Detail umgesetzte, exzentrische Komödie. Mit pointiertem Blick für glaubwürdige Brechungen seiner überlebensgroß gezeichneten, archetypischen Figuren und irrer Freude an sympathischen Übertreibungen schildert Anderson darin zahlreiche Anekdoten über die Eigenheiten des freundlichen, galanten und mit präzisem, leisem Witz versehenen Concierges. Besonders amüsant sind die Erläuterungen Gustaves leicht verschrobener Weltsicht sowie die mit augenzwinkernder Exposition überfrachteten Einführungen immer neuer Figuren – hier macht sich nicht nur Andersons Liebe zu überfüllten, aussagekräftigen Sets und prägnanten Kostümen bezahlt, sondern auch seine Fähigkeit, talentierte Schauspielstars in seine Filme zu locken.

«Grand Budapest Hotel» ist bis zum Bersten voll mit namhaften Stars, die teils mit ihrer ikonischen Erscheinung, teils durch ihre sie unkenntlich machende Kostümierung zum Sehspaß beitragen. Ob nun Willem Dafoe als brutaler, wortkarger Schläger für trocken-sarkastischen Witz sorgt, Léa Seydoux wie schon in «Inglourious Basterds» und «Mission: Impossible – Phantom Protokoll» einmal mehr trotz ihres einprägsamen Auftretens nur die kurz im Bild aufblitzende Französin mimt oder Edward Norton hinter seiner albernen Polizeiuniform verschwindet: Ähnlich wie es versteckte Details sind, die ein aufwändiges Diorama denkwürdig machen, so tägt die Suche nach Promis wie Adrien Brody, Harvey Keitel, Jeff Goldblum, Bill Murray, Tilda Swinton, Owen Wilson, George Clooney und Mathias Matschke außerordentlich zum Filmspaß von «Grand Budapest Hotel» bei.

Ansonsten sind es die nie enden wollenden Einfälle Wes Andersons, die «Grand Budapest Hotel» am Laufen halten. Sind Setting und die innere Logik dieser Spielzeug-Alpenregion erst einmal eingeführt, faszinieren noch die endlosen, dieser eigenartigen Filmwelt angepassten Verweise auf historische Ereignisse sowie das in Wes Andersons Inszenierungsstil gehaltene Abhaken typischer Actionfilm-Klischees. Da sieht die SS auf einmal aus, als sei sie einem verkorksten Spielzeugkatalog der späten Zwanziger entkommen und eine Verfolgungsjagd auf Skiern ähnelt mehr den Arbeiten Georges Méliès als aktuellen Blockbustern. Die Konsequenz, mit der Wes Anderson seine Vision durchzieht, ist beneidenswert und dank ihrer von ironischen oder grotesk-zynischen Spitzen gekonnt unterbrochenen, ansonsten so selbstbewussten Naivität auch hoch amüsant. Tiefschürfende Aussagen hat die verschachtelte Erzählung allerdings nicht zu treffen und obwohl großes Aufheben um einige Details des zentralen Kriminalfalls (beziehungsweise Versteckspiels) gemacht wird, so bleiben im finalen Drittel große Überraschungen sowie packende Spannungsmomente aus.

Ähnlich wie sein verträumter französischer Bruder im Geiste Michel Gondry sollte Wes Anderson daher Obacht geben, wie viel frontlastigen Schmuck seine Geschichten noch ertragen können. Gondrys surreal-kindliche Romantiktragikomödie «Der Schaum der Tage» etwa kam in seinem Heimatland aufgrund der darin enthaltenen, zahllosen handwerklichen Spielereien so schwach an, dass für den internationalen Markt rund 30 Filmminuten gekürzt wurden, um das Kunstwerk zugänglicher zu machen.

Wes Anderson hat die Laufzeit seiner akribischen Zelluloidspäße glücklicherweise noch genau im Blick («Grand Budapest Hotel» läuft zirka 100 Minuten), aber das Verhältnis zwischen Aufmachung und Inhalt ist kurz davor, für einen Zusammenbruch zu sorgen. Gewiss: Nach dem intellektuellen «Die Royal Tenenbaums» und dem gefühlvollen «Moonrise Kingdom» ist «Grand Budapest Hotel» als unkonventionelles Spektakel eine schlüssige Ergänzung der stetig wachsenden Sammlung an Wes-Anderson-Miniaturwelten. Weiter lässt sich Andersons Streben nach einer überbordenden, komplett durchgeplanten Gestaltungsform jedoch nicht treiben, sofern nicht auch die bislang gewohnte Substanz wieder Einzug in seine Kunstwerke hält. Der Aufziehmechanismus der Spieluhr ist komplett gespannt, im Puppenhaus ist kein Millimeter mehr Platz für weitere Dekorationen, die prunkvolle Torte des Kino-Konditors ist vor lauter Zuckerguss kurz davor, einzusacken. Noch hält die Konstruktion, wohlgemerkt. Und so lässt sich «Grand Budapest Hotel» durchaus als Wes Andersons formales Magnum Opus bestaunen.

«Grand Budapest Hotel» ist ab dem 6. März 2014 in zahlreichen deutschen Kinos zu sehen.

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