Die Kritiker

«In gefährlicher Nähe»

von  |  Quelle: Inhalt: ARD

Justizdrama und Psycho-Thriller - Kann diese Mischung bei der ARD funktionieren?

Hinter den Kulissen

  • Produktion: SWR in Zusammenarbeit mit der Maran Film GmbH
  • Drehbuch: Holger Joos
  • Regie: Johannes Grieser
  • Kamera: Jürgen Carle
  • Produzent: Uwe Franke
Inhalt
Anwältin Lea Jung hat einen vielbeachteten Prozess gewonnen. Ihr Mandant Nick Storm, der Vergewaltigung angeklagt, wurde freigesprochen, weil Lea die Unglaubwürdigkeit des angeblichen Opfers Yvonne Schubert nachweisen konnte. Nach dem Prozess beginnt Nick, Lea zu umwerben: Er taucht einfach vor ihrer Wohnung auf, mit einer Flasche Wein und zwei Gläsern in den Händen. Lea hat Vorbehalte, ist aber gleichzeitig interessiert.

Um dem Presserummel zu entkommen, drängt Leas Vater (gleichzeitig der alleinige Inhaber der Kanzlei) sie dazu, ein paar Tage in dem alten Haus am See zu verbringen, das sie bereits aus Kindertagen kennt. Als sie dort angekommen ist und im Dorf einkaufen geht, wird sie als erstes angefeindet: Lea sei Schuld daran, dass ein gefährlicher Triebtäter immer noch auf freiem Fuß ist. Sie will sich zurückziehen, um ungestört arbeiten zu können – doch da taucht mitten in der Nacht Nick auf.

Auch Yvonne Schubert sucht die Nähe der Anwältin. Verzweifelt beharrt sie darauf, im Recht gewesen zu sein, wirft Lea vor, ihr Leben zerstört zu haben und warnt sie eindringlich, nicht denselben Fehler wie sie selbst zu machen: auf Nick hereinzufallen. Während Nick und Lea einander immer näher kommen, versucht die ansonsten so toughe Anwältin, weitere Beweise zu finden: für oder gegen Nick.

Darsteller


Julia Koschitz («Pass gut auf ihn auf») als Lea Jung
Matthias Koeberlin («Das Jesus Video») als Nickolas Storm
Johanna Klante («Befreite Zone») als Yvonne Schubert
Michael Mendl («Der Untergang») als Peter Jung
Wolfgang Hepp («Die Fallers») als Alfred Storm
Karl Kranzkowski («SOKO Stuttgart») als Dr. Martens
Jan Henrik Stahlberg («Mord in den Dünen») als Staatsanwalt

Kritik


Mit Justizdramen haben sich deutsche Sender noch nie sonderlich leicht getan. Sicher: Da gab es 2012 den großartigen Film «Das Ende einer Nacht» von Matti Geschonneck und Magnus Vattrodt, der zurecht beim Deutschen Fernsehpreis, beim Bambi und beim Grimme-Preis abgeräumt hat. Oder die hervorragende ZDF-Serie «Verbrechen», die ebenfalls von Medienbeobachtern in höchsten Tönen gelobt wurde. Aber ansonsten sieht es bei gut gemachten Filmen dieses Genres im deutschen Fernsehen ziemlich düster aus.

Wahrscheinlich, weil ein Justizdrama ein sehr hohes Maß an dramaturgischer Kompromisslosigkeit erfordert, einem sehr hohen Anspruch an Differenziertheit gerecht werden muss, um nicht unrettbar in die Hirnrissigkeit oder, noch schlimmer, den Stammtisch abzugleiten. Die Toleranz gegenüber Melodram, Kitsch und sachlichen wie narrativen Vereinfachungen ist deutlich geringer als bei anderen Stoffen, weil von diesem Sujet eine unmittelbare gesellschaftliche Relevanz ausgeht. Viele Filmemacher haben in ihren Arbeiten ihre Figuren ein ganz grässliches Bild davon durchexerzieren lassen, wie sie die Justiz wohl gerne hätten – und dabei dem Stammtisch freundlich zugenickt.

Und so ist man schon ganz froh, wenn wenigstens einmal nicht Degeto draufsteht, wenn es also zumindest theoretisch möglich ist, eine Produktion zu erwarten, die ein realistisches (oder ein tatsächlich wünschenswertes) Bild davon entwirft, wie der deutsche Justizbetrieb so aussieht, und davon ausgehend seine Plots und Figuren entspinnt, anstatt so gnandenlos zu trivialisieren wie bei Filmen der Marke «Alles was recht ist».

Wenn man sich davor scheut, beim Zuschauer etwas mehr als ein Minimum an Intelligenz vorauszusetzen und ihm auch emotional ein bisschen was zuzumuten, wird es schwer, mit einem Stoff um den Prozess eines mutmaßlichen Vergewaltigers qualitativ zu bestehen. Es sei denn, man findet einen Weg, die Auseinandersetzung mit den Themen Gerechtigkeit und Gesetz so weit an den Rand zu drängen, wie das geht, ohne zur Farce zu degenerieren, und stattdessen die Liaison des mutmaßlichen Täters und seiner Anwältin als Psycho-Thriller zu erzählen.

Das könnte man intelligent machen, als feingeistige Charakterstudie wie bei Godard, so spannend wie bei Hitchcock, vielleicht noch mit Figuren wie bei Scorsese. Aber Godard, Hitchcock, Scorsese, das sind Namen, die hören Programmmacher in Deutschland nicht gern. Der deutsche Zuschauer will's bequem, bei ihm siegt die Durchschnittlichkeit, ist man sich in weiten Sender- und Produzentenkreisen sicher. Und die gibt man ihm dann eben.

Dass man zumindest bei «In gefährlicher Nähe» durchaus noch einen letzten Rest Ambition hatte, lässt sich an zwei Namen ablesen: Matthias Koeberlin, der seine oftmals melodramatischen Rollen immerhin mit großer Intensität spielt, und Julia Koschitz, die kürzlich noch beim ZDF in «Pass gut auf ihn auf» brillierte. Sie können bei diesem Film zumindest das Schlimmste verhindern.

Doch der Gesamteindruck bleibt: Ein Sujet, das Relevanz verspricht, und ein Stoff, dem viel dramatisches Potential innewohnt, werden zur Plattitüde abgewirtschaftet, zum Versuch eines Psycho-Thrillers, der die Spannung zwar durchgehend aufrechterhalten kann, dabei aber nie über die billigen Mittel hinauskommt: Sogar die alten Hüte wie mangelhafte Elektrik und flackernde Lichter müssen dran glauben. Lächerlich im Vergleich dazu, was man hier alles hätte erzählen können.

Das Erste zeigt «In gefährlicher Nähe» am Mittwoch, den 8. Januar um 20.15 Uhr.

Kurz-URL: qmde.de/68289
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