Hingeschaut

Die besseren Plasbergs?

von

Ingo Zamperoni und Katrin Bauerfeind nahmen Politiker am späten Montagabend in die Mangel – in einer unkonventionellen Livesendung für junge Wähler.

Im Mittelpunkt der Sendung stehen die Themen, die eure Zukunft betreffen: Schlecht bezahlte Jobs. Wachsende Staatsverschuldung. Datensicherheit und Internetüberwachung. Die Frage nach der richtigen Familienpolitik. In der Sendung gibt es kurze Reportagen, skurrile Einblicke in den Wahlkampf, einen Faktencheck und Fragen vom Live-Publikum. Seid dabei, diskutiert mit und lasst euch überzeugen oder eben nicht.
Quelle: ueberzeugtuns.de
Ein Wahlkampf, der eigentlich keiner ist. Eine Kanzlerin, die seltsam über dem Land und den Streitthemen schwebt wie eine Alterspräsidentin. Und ein Kandidat, der bei gerade den Wählern keine Glaubwürdigkeit und Sympathie besitzt, die er erreichen soll.

Dass in knapp vier Wochen die nächste Bundestagswahl ansteht, ist kaum zu spüren. Und wüsste man es nicht besser, würde man wahrscheinlich noch weniger hinhören, was Merkel und Steinbrück zu sagen haben – wenn sie denn mal in den Medien auftauchen. Andere Themen stehen derzeit im Vordergrund des Interesses, Sendungen zur Wahl holen derzeit dementsprechend schwache Einschaltquoten. Es ist ein selten ungünstiger Zeitpunkt für eine Bundestagswahl – nicht nur aus Sicht der vielen offenbar lustlosen, desinteressierten Wähler, sondern auch aus Sicht der oppositionellen Parteien, die sich kaum profilieren.

Umso gespannter schaut man am 22. September auf die Wahlbeteiligung, die nach Beobachtern so niedrig wie nie liegen könnte bei einer Bundestagswahl. Die Sender wollen entgegensteuern: mit Porträts von Kanzlerin und Kandidat; mit sogenannten Townhall-Meetings, bei denen die Zuschauer Fragen an Politiker stellen können; mit dem anstehenden TV-Duell; und mit Polit-Sendungen für junge Zuschauer, die unter den Nichtwählern die größte Gruppe stellen.

Gerade letztere Zielgruppe rückt 2013 in den Fokus, kann sie doch heute mit den neuen Medien vermeintlich gut erreicht werden: Facebook, Twitter und Co. gab es bei der letzten Bundestagswahl vor vier Jahren noch nicht, zumindest nicht als Massenphänomen. Am Montagabend probierte sich – wieder einmal – die ARD an einem interaktiven Sendungskonzept, das auf die Beteiligung dieser Netzgemeinde zählt: Für das Live-Format «Überzeugt uns! Der Politiker-Check» hat man am späten Montagabend gleich 90 Minuten freigeräumt, Moderatoren sind Nachrichtenmann Ingo Zamperoni und Netz/TV-Allrounderin Katrin Bauerfeind.

Wie aber gestaltet man genau eine Wahlsendung für junge Menschen, die auch noch interaktiv sein soll? Der Spagat zwischen Inhalten und Unterhaltung ist nicht leicht, und die Gefahr eines allzu üblichen Politikergeplappers hoch. Zuletzt konnte selbst Tausendsassa Stefan Raab die hohen Erwartungen an seinen neuen Talk nicht erfüllen. Auch bei «Überzeugt uns!» eine leichte Ernüchterung zu Beginn der Sendung: Keine jungen Gesichter aus der Politik sind als Gäste eingeladen, sondern die üblichen Verdächtigen – genannt Gregor Gysi, Peter Altmaier, Claudia Roth und Co. Die zweite Ernüchterung folgt prompt, denn die Sendung kopiert frech bei eben genanntem Raab: In einer Telefonabstimmung sollen die Zuschauer entscheiden, welcher der Politiker sie am meisten überzeugt hat. Das soll die versprochene Interaktivität sein?

Zum Glück nicht, so viel hat die ARD in Sachen ‚Neuland‘ bereits gelernt. Beteiligung findet auch über das Internet statt, wo ein Netzreporter die Twitter und Facebook-Aktivitäten beobachtet und regelmäßig Fragen an die Politiker stellen darf. Besser – und sogar ein stückweit innovativ – sind aber Live-Meinungen aus den sozialen Netzwerken, die unkommentiert am unteren Bildrand durchlaufen. So erhalten TV-Zuschauer ein direktes Feedback auf die Argumente der Politiker – beispielsweise als Peter Altmaier mit hoher Jugendarbeitslosigkeit gegen den allgemeinen Mindestlohn argumentiert und in einem Tweet kurze Zeit später das Gegenargument der Niederlande gebracht wird. So muss crossmediales Fernsehen aussehen, so bietet sich ein wirklicher Mehrwert auch für die interessierten Zuschauer ganz im Sinne der sozialen Netzwerke, die als Korrektiv dienen. Und als Diskussionsinstrument: In einem Politiker-Speed-Dating müssen die Gäste in 15 Sekunden auf Twitter-Fragen antworten, die an sie gerichtet sind. Schlagfertigkeit ist hier gefragt, keine Worthülsen.

Auch sonst tun sich die Politiker schwer, ihre üblichen Phrasen herunterzurasseln. Dies liegt zunächst an den überzeugenden Moderatoren Bauerfeind und Zamperoni, die durchaus angriffslustig – bisweilen besser als mittlerweile Frank Plasberg – nachfragen und kritisch kommentieren. Sie schaffen damit eine kämpferische Atmosphäre auch unter den Gästen, die durchaus hitzig argumentieren und den Begriff Wahlkampf zumindest auch als solchen verstehen lassen. Weiterhin beißen sich die Politiker ihre Zähne aus an Studiogast Sidney, der mit seiner Situation stellvertretend steht für das Problem prekärer Arbeit in Deutschland. Immer wieder kommen die Politiker im Laufe der Sendung auf ihn zu sprechen – oder, um es negativer auszudrücken, biedern sich ihm an. Auch, weil Sidney früh feststellt: „Bis jetzt waren es meist dieselben Phrasen wie immer“, die er zu hören bekommt. Hellhörig bemühen sich die Politiker anschließend um gehaltvolle Statements, teils gelingt dies sogar.

Insgesamt aber scheint man aber wenig auf jene zu achten, die eigentlich mit dieser Sendung angesprochen werden sollen: die jungen (Nicht)Wähler. Zu verallgemeinert die Argumente der Politiker, zu wenig konkret die Lösungsangebote. Die Fragen der Netzgemeinde und die Themen – NSA, prekäre Beschäftigung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf – sind zugeschnitten auf die Zielgruppe, nur die Politiker spielen nicht richtig mit.

Vielleicht wären hier doch junge, weniger bekannte Gäste die sinnvolle Alternative gewesen – zu denen, die in den Talkrunden ein- und ausgehen, dementsprechend abgestumpft sind und wenig Identifikationsmöglichkeiten mit den Jungwählern bieten. Dennoch: Gelungen ist der selbsternannte «Politiker-Check», da neben den informativen Aspekten auch die Unterhaltung nicht zu kurz kam. Unterhaltsame Einspielfilme (darunter auch satirische Beiträge von Pierre M. Krause) und das launige Speed-Dating brachten Abwechslung in das Format. Außerdem integrierte man die Netzmeinungen so stark wie kaum eine andere TV-Sendung zuvor im öffentlich-rechtlichen Fernsehen; «Überzeugt uns» ist in dieser Hinsicht ein konsequenter Schritt in die richtige Richtung.

Ob diese Einzelsendung letztlich reicht, um mehr junge Menschen zur Wahlurne zu bewegen? Die ARD jedenfalls bemüht sich weiter, macht noch zwei ähnliche Sendungen im Radio: Im «Kanzlercheck» stellen sich dann Angela Merkel und Peer Steinbrück den Fragen der Hörer und Netzwerkler. Ob sie das Speed-Dating überstehen?

Kurz-URL: qmde.de/65744
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