Fernsehfriedhof

Der Fernsehfriedhof: Pures Leben hinterm Steuer

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Quotenmeter.de erinnert an all die Fernsehformate, die längst im Schleier der Vergessenheit untergegangen sind. Folge 235: Eine derbe, aber erfolgreiche Doku-Soap und die vielleicht schlechteste Fahrschülerin Deutschlands.

Liebe Fernsehgemeinde, heute gedenken wir des Auf- und Abstiegs eines der ersten Doku-Soap-Stars.

«Die Fahrschule» wurde am 02. Mai 1999 in Sat.1 geboren und entstand zu einer Zeit, als immer mehr Reality-Sendungen und Doku-Soaps den Sprung ins deutsche Fernsehen schafften. Als Vorbild all dieser Formate galt die britische Produktion «The Cruise», die im Jahr 1998 mit überragendem Zuspruch im Hauptprogramm der BBC zu sehen war. Der Erfolg von «The Cruise» führte nicht nur zu einer deutschen Adaption, die unter dem Titel «Das Clubschiff» bei RTL lief, sondern auch zu zahlreichen Nachfolgern. Zu denen gehörte unter anderem eine Reihe über eine Fahrschule und deren Fahranfängern in Cardiff. Um vom aufkommenden Boom der billig zu produzierenden Doku-Soaps profitieren zu können, entschied sich Sat.1 kurz darauf, jenes Konzept zu kopieren.

Auf der Suche nach einem ähnlich markanten Fahrlehrer wie in der Vorlage wurde die Produktionsfirma Filmpool bei Klaus Momberger in Gelsenkirchen fündig, der mit seinem Ruhrpott-Charme überzeugen konnte. Er sollte dann mit seinen Schülern einen Fahrunterricht unter realistischen Bedingungen inklusive der zugehörigen Prüfungen durchführen - nur eben mit dem Unterschied, dass die Ereignisse von Kameras dokumentiert wurden. Die Produzenten legten dabei größten Wert auf Echtheit und betonte mehrfach, dass die gezeigten Szenen weder erfunden noch inszeniert gewesen wären. Unter den vielen Kunden der Fahrschule wählte das Team dann neun Fahranfänger aus, deren Erlebnisse in den fertigen Episoden gezeigt wurden.

Weil die Vorlage der BBC jedoch insbesondere durch die ängstliche und wenig talentierte Putzfrau Maureen Rees beliebt wurde, galt es auch für sie ein deutsches Pendant zu finden. Aus Zufall meldete sich während der Dreharbeiten eine gewisse Doris Grinda in Mombergers Fahrschule an. Weil sie für den Erhalt ihres Führerscheins insgesamt 141 Fahrstunden brauchte und ihr beschränktes Fahrkönnen stets mit Kraftausdrücken und derbem Humor kommentierte, stellte sie die ideale Doku-Soap-Kandidatin dar, welche die gesamte Produktion tragen sollte. Entsprechend wurde das neue Format auch hauptsächlich mit ihren Ausschnitten beworben.

Doris brachte tatsächlich die erhoffte Aufmerksamkeit, denn die Premiere der halbstündigen Serie erreichte am Sonntagabend um 22.15 Uhr eine Reichweite von 4,2 Millionen Zuschauern und einen Marktanteil in der werberelevanten Zielgruppe von 28,5 Prozent. Auch wenn die Quoten in den folgenden Wochen sanken, war das Projekt, wie auch in Großbritannien, damit ein großer Triumph. Das war insofern lukrativ, weil Doris für ihre Teilnahme nicht einmal bezahlt wurde, sondern lediglich kostenlose Fahrstunden erhalten hatte. Außer mit hohen Quoten wurde das Format wenig später zusätzlich mit einer Nominierung für den Grimme-Preis belohnt, weil dieses laut Jury das pralle Leben auf natürliche Weise pointenreich und professionell gezeigt hätte.

Dieser Erfolg blieb natürlich auch der deutschen Konkurrenz nicht verborgen und so strahlte RTL II rund ein Jahr später die dreiste Kopie «You Drive Me Crazy» aus - allerdings mit zahlreichen prominenten Fahrschülern und weniger Publikumsresonanz. Offenbar fehlte dort eine markante Protagonistin wie Doris, die mittlerweile auch regelmäßig im sendereigenen Boulevard-Magazin «Blitz» auftauchte. Diese Vermutung teilten offenbar auch Filmpool und Sat.1, denn man entschied sich nicht, eine neue Staffel von «Die Fahrschule» herzustellen, in der Doris, die ja nun eine Fahrerlaubnis hatte, nicht mehr mitwirken konnte, sondern suchte stattdessen einen neuen Rahmen, in der sie ähnlich wirken konnte. Im Winter 2001 schickte man sie daher – natürlich im eigenen Auto - samt Familie nach Ischgl, wo sie im Rahmen der Reihe «Die Skischule» das Ski fahren erlernen sollte. Weil aber Doris mittlerweile wusste, was von ihr erwartet wurde und auch das Produktionsteam die Fahrschulgeschichten steigern wollte, wirkten ihre Erlebnisse längst nicht mehr so erfrischend und authentisch. Diese Abnutzung schlug sich dann auch in den Zuschauerzahlen nieder.

«Die Fahrschule» wurde am 20. Juni 1999 beerdigt und erreichte ein Alter von sechs Folgen. Die Show hinterließ die Fahrschülerin Doris Grinda, die später immer wieder in fragwürdigen gestellten Dokus wie «Endlich Urlaub» und «Pures Leben» mitwirkte. In einer Ausgabe versuchte sie konsequenterweise ihrer stark übergewichtigen Nichte Eileen zum Führerschein zu verhelfen. Den Tiefpunkt erreichten die beiden dann, als sie in einer weiteren Folge in eine Mülltonne kletterten, um daraus zu essen. Anfang 2013 schickte derweil das NDR Fernsehen die weniger derben Geschichten einer ländlichen Fahrschule in Norddeutschland auf den Schirm.

Möge die Show in Frieden ruhen!

Die nächste Ausgabe des Fernsehfriedhofs erscheint am kommenden Donnerstag und widmet sich dann Hella von Sinnen und ihrer besonderen Nachmittagstalkshow.

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