Die Kino-Kritiker

«Argo»

von

Ben Affleck auf Oscar-Kurs: Der Thriller «Argo» erzählt auf spannende und unterhaltsame Weise von einem sonderbaren, jedoch wahren CIA-Einsatz.

Für viele Jahre war Ben Affleck die Witzfigur Hollywoods. Zwar erntete er zu Beginn seiner Karriere mit (Semi-)Independentfilmen wie «Chasing Amy» und «Good Will Hunting» Wohlwollen bei den Kritikern, doch ein schlechtes Händchen bei der Rollenwahl und der in der Öffentlichkeit abgehaltene Beziehungskrach mit Jennifer Lopez machten es ihm bald darauf immer schwerer, Boden unter den Füßen zu gewinnen. Mittlerweile genießt Affleck jedoch wieder Ansehen im Filmgeschäft und ist aktuell ein heiß gehandelter Oscar-Favorit.

Was zwischendurch geschah? Affleck, der früh in seiner Leinwandkarriere als Drehbuchautor einen Academy Award erhielt, offenbarte sich mit den gleichermaßen packenden wie emotionalen Thrillern «Gone Baby Gone» (2007) und «The Town» (2010) als überaus fähiger Regisseur. Mit seiner dritten Regiearbeit stellt Affleck nun sein bisheriges inszenatorisches Schaffen in den Schatten und bastelt aus einem der skurrilsten CIA-Einsätze der Geschichte einen erfrischend altmodischen, hochspannenden und zugleich unerwartet witzigen Film, der sich wie ein roter Faden durch die kommende Award-Saison ziehen dürfte.

Der 4. November 1979: Die iranische Revolution erreicht ihren Siedepunkt, als militante Studenten die US-Botschaft in Teheran stürmen und über 50 Amerikaner als Geiseln nehmen. Sechs Mitarbeitern der Botschaft gelingt zwar ungesehen die Flucht, allerdings bleibt es nur noch eine Frage der Zeit, bis sie entdeckt und in aller Öffentlichkeit hingerichtet werden. Um dies zu verhindern, entwerfen das Außenministerium und das CIA Pläne für eine Befreiungsaktion. Tony Mendez (Ben Affleck), Experte für solche Einsätze, kann über die verzweifelten Ideen seiner Kollegen nur den Kopf schütteln und greift nach dem letzten Strohhalm, um seine Landsleute in Sicherheit zu bringen: Er beschließt, sich als Produktionsmitglied für einen fiktiven Science-Fiction-Film auszugeben, das im Iran auf der Suche nach idealen Drehorten ist. Dort angekommen will er die in Gefahr geratenen Amerikaner als seine kanadischen Kollegen ausgeben und aus dem Land fliegen. Ein irrsinniger Plan, für den er mit Hilfe des Oscar-prämierten Maskenbildners John Chambers (John Goodman) sogar eine fiktive Produktionsgesellschaft aus dem Boden stampft. So unfassbar Mendez' Vorhaben sein mag: Die Regierung und die CIA-Leitung haben keine besseren Ideen in petto. Und so erhält die gleichermaßen gefährliche wie absonderliche Mission grünes Licht ...

Diese unglaublich klingende Geschichte ist tatsächlich wahr, auch wenn ihre Details erst Jahre später bekannt wurden – erst 1997 gab der damalige US-Präsident Bill Clinton die Akten zu der Geheimoperation frei. Wie es bei Adaptionen wahrer Begebenheiten die Norm ist, gönnt sich «Argo» bei der filmischen Umsetzung dieser eigenwilligen CIA-Aktion kreative Freiheiten. Allerdings beschränken sie sich weitestgehend darauf, dass Regisseur Ben Affleck im hochdramatischen finalen Drittel den Filmfiguren einige Hürden in den Weg stellt, die nicht Teil der wahren Geschichte sind. Solche historische Ungenauigkeiten dürfen aber niemanden stören, sorgen sie doch für zusätzlichen Nervenkitzel, ohne reißerisch zu sein oder den Kern der eigentlichen Begebenheiten zu verfälschen.

Diesen Balanceakt zwischen Eigenanspruch und fesselnder Unterhaltung vollführt Affleck von den ersten Minuten an. «Argo» beginnt kurz vor dem Einfall der erbosten Revolutionäre in die US-Botschaft. Während in den Büroräumen verängstigte Angestellte ihre Arbeit verrichten, kocht draußen die Wut der protestierenden Masse über. Kaum klettert einer der Iraner über den Zaun, eskaliert die Situation und kippt in eine brutale Geiselnahme über. Kurz darauf säen Affleck und Drehbuchautor Chris Terrio auch den ersten ihrer vielen, cleveren Filmmomente, die im weiteren Verlauf dramatische Früchte tragen: Weil der Ofen versagt, schmeißt die Belegschaft ihre Dokumente in den Aktenvernichter, der sie bloß zu Papierstreifen zerschneidet. Was zunächst wie eine Belanglosigkeit scheint, nutzt Affleck später, neben vielen weiteren Details, um effektvoll an der Spannungsschraube zu drehen.

Allerdings ist der bis ins kleinste Detail perfekt ausgestattete und den Geist der 70er atmende Thriller nicht nur einer der packendsten Filme der vergangenen Jahre, sondern auch für einige herzliche Lacher gut. Schließlich ist Tony Mendez' Plan dermaßen absurd, dass es eine verschenkte Gelegenheit wäre, diesen nicht mit Humor zu kommentieren. Und so schwenkt «Argo», ohne das Spannungselement zu schädigen, während der Vorbereitung des wahnwitzigen Vorhabens in eine Hollywood-Satire ab. John Goodman und Alan Arkin (als launige Produzentenkarikatur) machen sich mit süffisantem Witz über die Filmindustrie lustig und dienen für Ben Afflecks stets angespannten, in Gedanken verlorenen Protagonisten zwischenzeitlich als lockeres Gegenüber. Damit machen sie Mendez greifbar und sorgen mit ihren Seitenhieben auf großmäulige Produzenten, unfähige Regisseure und dämliche Drehbücher zudem für eine erfrischende Dosis Humor, bevor die aufregende Befreiungsaktion beginnt.

Neben dem furios aufspielenden, launigen Duo Goodman & Arkin bleibt auf darstellerischer Seite insbesondere Ben Affleck in Erinnerung. Den Ruf, ein mieser Schauspieler zu sein, hat der zweifache Gewinner der Goldenen Himbeere, beim breiten Kinopublikum zwar noch immer nicht verlieren können, aber durch «Argo» erhalten alle Zweifler einen weiteren Gegenbeweis. Affleck ist ein langsam agierender Schauspieler, der am besten in Rollen aufgehoben ist, deren Gefühle sehr bedächtig zum Vorschein kommen – weshalb er in seinen Actionrollen häufig so fehlbesetzt in die Kamera blickte. Richtig besetzt, und in den Händen des richtigen Regisseurs, kann Affleck dagegen runde Persönlichkeiten spielen. Neben seinem Kumpel Kevin Smith zählt Affleck selbst zu den Regisseuren, die ihn richtig in Szene zu setzen wissen, was sich in «Argo» noch besser bezahlt macht als zuvor in «The Town». Mit nuanciertem Spiel offenbart Affleck ohne große Ausschweifungen das zweifelnde Innenleben des nach außen hin so stoischen, ambitionierten CIA-Agenten.

Dennoch drängt sich Affleck nicht ins Zentrum seines Films, sondern arrangiert ihn als Ensemblestück, in dem jedes Mitglied einen kurzen Glanzmoment erhält. Dies gilt für bekanntere Namen wie «Breaking Bad»-Star Bryan Cranston sowie für die bislang eher unauffälligere Riege an Schauspielern und Schauspielerinnen, die die sechs zu rettenden Amerikaner darstellen. Die ungesehenen Stars von «Argo» sind derweil Kameramann Rodrigo Prieto («25 Stunden») und Cutter William Goldenberg («Gone Baby Gone»), die diesen actionlosen Agententhriller mit stimmungsvollen und klaren Bildern sowie unaufgeregtem, im Dienst der Story stehendem, Schnitt, zu nervenaufreibender, entlohnender Unterhaltung machen.

Dass Ben Affleck «Argo» mit dem ausgedienten Time-Warner-Logo eröffnet, ist mehr als ein kleiner Gag für Kinonostalgiker. Der Regisseur transportiert mit «Argo» sein Publikum tatsächlich um mehrere Jahrzehnte zurück in die Vergangenheit, nicht bloß inhaltlich, sondern auch stilistisch. Die kongeniale Mischung aus Agentendrama, Historienthriller und Hollywoodsatire tritt selbstbewusst und ohne überflüssige Schnörkeleien als ein durchdachter, inhaltlich durchaus anspruchsvoller, vor allem aber aufs Sehvergnügen ausgerichteter Unterhaltungsfilm der 70er-Jahre auf. «Argo» schlägt somit in exakt die Kerbe, in die einst Filme wie «Die Unbestechlichen» oder «Network» schlugen – Klassiker, die entstanden, als die Kluft zwischen Blockbuster-Thrillern oder -Dramen und gehobenem Spannungskino noch überschaubar ausfiel.

Statt die aktuelle politische Lage durchweg anhand der Vergangenheit zu spiegeln oder komplexe Thesen aufzustellen, wollen Affleck und Terrio ihr Publikum blendend unterhalten. Allerdings bewegen sie sich nicht auf dem oberflächlichen Niveau von Popcorn-Hochglanzthrillern voller Schießereien und Explosionen. Die politischen Hintergründe der Geschichte von «Argo» stehen zwar nicht im Vordergrund, trotzdem werden sie nicht simplifiziert. «Argo» ist kein vielschichtiges Charakterdrama, dennoch sind die Figuren allesamt scharf umrissen und agieren authentisch, lebensnah, bekommen Raum, um über die starren Grenzen des Unterhaltungsthrillers hinaus zu atmen. Affleck erzeugt Spannung durch das gesagte Wort, die beiläufig gespielte Gestik und eine nahezu makellose Inszenierung. Mitdenkendes Spannungskino fürs Multiplex. Das ist Stoff, wie ihn Hollywood liebt und wie ihn das Publikum vermisst. Und deswegen ist «Argo» berechtigterweise einer der großen Oscar-Favoriten 2013.

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