Sonntagsfragen

Peter Frey: 'Das Menschliche in der Politik fällt Obama schwer'

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Am Dienstag wählt Amerika: ZDF-Chefredakteur Peter Frey spricht über vier Jahre Amtszeit von Barack Obama und darüber, wer der bessere Präsident für Deutschland wäre. Außerdem: Wie das ZDF in der Wahlnacht aufgestellt ist.

Was unterscheidet den US-Wahlkampf 2012 von dem Wahlkampf im Jahr 2008?
2008 gab es den ersten Wahlkampf, der mit massivem Einsatz des Internets geführt wurde und wir hatten die Figur Barack Obama, die eine derartige Faszination ausgeübt hat, dass sie sogar bis nach Deutschland wirkte. Obama war in seinem Wahlkampf an der Siegessäule, wir alle erinnern uns an diese Rede, die er vor 200.000 Menschen gehalten hat. Zudem war Amerika damals sicherlich nach acht Jahren George W. Bush überdrüssig. Unter dem Einfluss der sogenannten Tea Party war der rechte Rand bei den Republikanern übrigens damals größer als heute. Gerade zuletzt war doch zu erkennen, dass Mitt Romney sich bemüht, die Partie wieder zur Mitte zu führen.

Im Vergleich zum Jahr 2008 erscheint der diesjährige Wahlkampf für uns Deutsche als fast schon uninteressant…
Historische Momente sind eben sehr schwer zu vervielfältigen. 2008 hatte man wirklich fast das Gefühl, dass Deutschland mitwählen darf. Heute hat sich einiges geändert. Außerdem wissen die Deutschen nicht mehr genau, wie es um die Beziehung zwischen Deutschland und Amerika steht. Wie intensiv ist diese noch? Welche Priorität hat Europa für Barack Obama?

Hat Obama für Sie an Faszination eingebüßt?
Ich glaube, er war damals eine große Projektionsfläche. Amerika wollte nach acht Jahren George W. Bush einfach einen neuen Typen. Außerdem: der erste schwarze Präsident – das war ein historischer, ein Gänsehautmoment. Ich werde weder Obamas Berliner Auftritt noch seine Acceptance Speech nach der Wahl in Chicago vergessen. Wann gelingt es schon einmal, dass ein Mann durch seine Reden, seine Körperhaltung und seine Präsenz so viele Menschen in seinen Bann zieht? Das war unglaublich.

Heute ist Obama aber in der Realität angekommen. Letztlich geht es in der Politik ja nicht darum, Hunderttausende zu begeistern, sondern Lösungen für die Probleme zu finden. Von Menschen, die ihn getroffen haben, hört man, dass Obama in kleiner Runde deutlich distanziert ist, wenn ich es freundlich ausdrücken will. Anders gesagt: Er ist recht kühl, hat etwas Professorales an sich – und eigentlich wenig von dem Magnetismus, den man bei Reden vor großen Mengen von ihm kennt.

Das erstaunt.
Obama hat seine festen Prinzipien. Es ist ihm sehr wichtig, mit seiner Familie zu Abend zu essen. Das ist etwas, das es ihm politisch schwer macht. Man weiß ja, dass George W. Bush einige Kompromisse mit dem Kongress geschlossen hat, weil er Abgeordnete mal abends auf ein Bier ins Weiße Haus einlud und mit ihnen ein Baseballspiel geschaut hat. Barack Obama fällt so etwas schwer. Ich erinnere mich an eine Geschichte nach dem NATO-Gipfel im Frühjahr 2008, als der damalige französische Präsident Sarkozy die deutsche Bundeskanzlerin bat, Obama anzurufen, ob er den Samstagabend nicht doch im Élysée-Palast statt mit seiner Familie verbringen könnte. Obama hat diese Bitte verneint – ungeachtet des diplomatischen Eklats. Das Menschliche in der Politik fällt Obama offensichtlich schwer. Dazu passt auch, dass er nach seinen zahlreichen Besuchen im Wahlkampf und am Anfang der Amtszeit nicht mehr in Deutschland war.

Sie werden in der US-Wahlnacht wieder aus Berlin senden. Die Wahl dürfte nicht schwer gefallen sein...
Nein, es ist auch nicht das erste Mal. Bereits 2008, als wir unsere Berichterstattung in eine großen deutsch/amerikanischen-Wahlparty eingebettet haben, waren wir im Alten Telegrafenamt in Berlin. Schon damals sind viele mit uns durch die Nacht gegangen. Im Programm war das ein sehr großer Erfolg – wir lagen vor ARD und RTL. Dieses Jahr gibt´s also drei TV-Wahlparties in Berlin – und wir bemühen uns, wieder die Nase vorn zu haben, mit ein paar originellen Ideen.

Markus Lanz wird Teil dieser langen Wahlnacht – das war die überraschendste Personalie des ZDF. Was erhoffen Sie sich von ihm?
Wir sind von 23 bis 7 Uhr live, da muss man über lange Strecken gehen. Und Markus Lanz kann das. Er wird mit einer Live-Ausgabe seiner Talkshow starten – die Gäste werden natürlich der US-Wahlnacht angepasst. Wir wollen auch die ganze Nacht immer wieder verschiedene Elemente einbauen. Es wird Schalten nach Amerika geben, natürlich alle Zahlen, aber auch immer wieder gute Gespräche. Markus Lanz kann nicht nur bestens unterhalten, er ist auch eine journalistische Größe. Ich bin sicher, dass wir mit unserer Moderatorin Bettina Schausten, Zahlenmann Christian Sievers und dem Talk-Spezialisten Lanz eine optimale Mannschaft für diese Nacht aufgestellt haben.

Welche Gäste haben sich bei Ihnen denn angemeldet?
Zugesagt haben US-Botschafter Murphy, Klaus Wowereit, Frank-Walter Steinmeier, Avi Primor und Guido Westerwelle. Wir sind uns aber bewusst, dass an diesem Abend die ganz großen Namen von Wahlparty zu Wahlparty springen werden. Aber wir hoffen, dass sie sich in unserem Studio, das einem US-Marktplatz nachempfunden ist, so wohlfühlen, dass sie gerne länger bleiben. Wir werden auch bunte Gäste empfangen, zum Beispiel Bruce Darnell, wir werden Dirk Nowitzki aus den USA schalten, Fritz Egner, der in Amerika lebt, wird da sein.

Und Sie reaktivieren Christian Sievers als „Mann der Zahlen“…
Wir beiden haben ja 2008 die Sendung zusammen präsentiert. Christian Sievers hat das große Durchhaltevermögen, das man in einer solchen Nacht braucht. Erst um drei Uhr nachts kommen die entscheidenden Zahlen der „Swing States“ Ohio und Florida. Christian hat 2008 den Wahlsieger Obama verkündet und sich schon deshalb diesen Einsatz verdient.

Welche Rollen werden die neuen Medien, also Twitter und Facebook, für das ZDF spielen?
Ich will zunächst sagen, dass diese US-Wahl im Jahr 2012 eine der größten Programmanstrengungen ist, die wir unternehmen. Sie dient auch als Vorbereitung auf die Bundestagswahl im kommenden Jahr. Und natürlich ist sie auch eine Erprobung neuer interaktiver Formen der Berichterstattung. Vorgegangen sind ja schon Entwicklungen in den vergangenen Monaten und Jahren – ich will hier nur «Log In» nennen, das sehr gut ankommt. Wir werden in der Wahlnacht viele interaktive Dinge zusammen legen. Beim letzten Mal haben wir im Internet unter anderem direkt aus Amerika gesendet – nun kommt alles unter einen Hut. Wir werden neue Tools einsetzen.

Welche Tools werden das sein?
Wir werden auf ein Tool zurückgreifen, das auch CNN im US-Wahlkampf benutzt. Es heißt „Mass-Relevance“ und sorgt für eine qualitative Auswertung von Tweets im Internet. Die Software ist also in der Lage zu erkennen, welche Trends entstehen. Wie finden die Deutschen in dieser Nacht etwas? Freuen sie sich, dass Obama gewonnen oder verloren hat? Wie viele Menschen sind in dieser Nacht überhaupt in Twitter unterwegs? Sind es mehrere 100.000? Es wird in dieser Nacht so viele Meldungen zu diesem Thema geben, dass die Social-Media-Redakteure in unserem Studio diese überhaupt nicht allumfassend bewerten können. Das Tool hilft hier.

Wie viel mussten Sie in Ihrer Zeit als ZDF-Chefredakteur über Twitter lernen? Wie nutzen Sie Twitter selbst?
Ich bin Passiv-Twitterer. Ich kann schon sagen, dass ich zwei oder drei Mal am Tag bei Twitter reinschaue, wenn ich gerade mal Leerlauf habe, zum Flughafen fahre oder dergleichen. Ob ich irgendwann einmal selbst in diese Twitter-Wolke eingreife, das muss ich noch entscheiden. Meine Kollegen aus dem Hauptstadtstudio aber nutzen Twitter mehr und mehr – um ihren Followern die schnellsten Informationen zu bieten. Twitter ist deutlich anders als Facebook. Twitter ist informativ und politisch, Facebook ist sehr – manchmal zu – persönlich. Schauen Sie sich doch einmal an, wie viele Abgeordnete inzwischen twittern – das ist mehr als ein Drittel. Wir hatten erst kürzlich beim EU-Gipfel bei heute.de einen Infokasten mit allen Tweets der Abgeordneten und den ZDF-Reportern. Sehr spannend.

Mal wieder zurück zur anstehenden US-Wahl. Wen wünschen Sie sich denn als US-Präsidenten?
Ich glaube, fest steht, dass sich die Mehrheit der Deutschen Obama wünscht. Wir haben das ja im Politbarometer gefragt – fast 90 Prozent wollen ihn. Das mag auch daran liegen, dass wir den Herausforderer hier kaum kennen. Die Ferne spielt durchaus eine Rolle, die Deutschen kennen nicht jedes Detail. In der ersten Phase dieses Wahlkampfs hat Romney unter anderem vor allem versucht, den rechten Flügel seiner Partei mitzunehmen. Das war wichtig für die Republikaner, damit sie nicht auseinanderfallen. Inzwischen geht er deutlich mehr auf die Mitte zu. Ähnliches erleben wir ja auch hierzulande. Ich glaube, dass wir in Deutschland mit beiden leben können, wir haben ja auch mit George W. Bush gelebt.

Haben Sie ein Bauchgefühl wer sich durchsetzen wird?
Ich glaube, dass es eng wird. Aber man muss wissen, dass die Umfragen auf einem Befragungssystem beruhen, das nicht zu vergleichen ist mit dem US-Wahlsystem. In den USA wählen die Staaten ja ihre Wahlmänner. Letztlich sind die Staaten wichtig, die viele Wahlmänner haben. Gewinnt Obama die großen Swing States, dann kann er auch mit deutlicherem Abstand vorne liegen. Und, das will ich doch sagen: Es wäre eine Tragödie für die USA, wenn der erste schwarze Präsident nicht wiedergewählt würde. Über seine Schwächen habe ich ja gesprochen. Aber ich habe die Kritik an ihm, die Angriffe seiner Gegner doch oft als überzogen empfunden und auch rassistische Untertöne gehört.

Eine letzte Frage noch, Herr Frey, zu einem Thema, das kommende Woche ansteht. Stefan Raab startet seinen neuen Polittalk – und bekam da schon ein wenig Kritik von der ARD. Wie finden Sie seine Idee?
Wir bemühen uns alle, dass wir jüngeres Publikum – und damit meine ich jetzt auch Menschen zwischen 30 und 40 – über Politik informieren. Das ZDF hat hier einen Modernisierungskurs eingeschlagen in den «heute»-Sendungen. Wir gestalten die Nachrichten heute anders. Wir haben bei ZDFinfo Formate wie «LogIn», die genau dieses Publikum erreichen. Oftmals gelingt es dem «heute-journal», die beste Quote des ganzen Tages bei den Unter-50-Jährigen zu generieren. Mir ist dabei immer wichtig, dass sich das ZDF nicht beim jungen Publikum anbiedert, sondern inhaltlich und formal ein sauberes journalistisches Angebot macht. Stefan Raabs Idee ist richtig, ob sie funktioniert, wird sich noch zeigen.

Vielen Dank für das Gespräch.

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