Hingeschaut

Die langweilige Welt der interessanten Menschen

von

Sat.1 tut so, als hätte es Mut und programmiert für die kommenden Sonntage eine unverfälschte Doku-Reihe, die das Leben von Kleinwüchsigen in Deutschland dokumentiert.

Dass der immer deutlicher schwächelnde Privatsender Sat.1 Probleme hat, sich eine typische Programmfarbe anzueignen, ist nicht erst seit gestern bekannt. In der Vergangenheit wollte sich vor allem am Vorabend kein Quotenerfolg einstellen. Lediglich so fragwürdige Formate wie «Auf Brautschau im Ausland» oder das noch umstrittenere «Schwer verliebt» konnte sich so etwas wie eine Stammzuschauerschaft aufbauen. Doch auch zwischen zwei Staffeln dieser Trash-Formate möchte das wenige, übriggebliebene Sat.1-Publikum unterhalten werden. Und so greift der Sender erneut in die Reality-Kiste, um damit an den kommenden, sonntäglichen Vorabenden vielleicht sogar noch mehr Voyeure, pardon, Zuschauer anzulocken.

Der Trailer versprach mit «Die große Welt der kleinen Menschen» ein wenig mehr Niveau als bei seinen bereits genannten Vorgängern und präsentierte sich als Realityformat, das den Alltag kleinwüchsiger Menschen begleitet. Und tatsächlich: auf den ersten Blick scheint die Doku-Reihe doch ihren Namen zu verdienen. Der Eindruck einer gescripteten Handlung bleibt aus, ein ironischer Off-Kommentar fehlt. Dennoch trägt das Format die Handschrift sämtlicher ihr vorausgegangener Formate, die einst Realität nur vorgaukelten. Unangenehm beschauliche Kamerafahrten, die Aufteilung der Sendung in einzelne Episoden – sogar die Art, die handelnden Personen vorzustellen und deren Namen einzublenden und nicht zu vergessen die tragikomische Musikuntermalung: all diese Elemente wirken aus Sendungen der Marke «Schwiegertochter gesucht!» abgekupfert. Leider etablierten sich ebenjene Faktoren als Indikatoren für Trash-Fernsehen, weshalb der ursprünglich relativ positive Eindruck von «Die großen Welt der kleinen Menschen» einen Knacks erhält. Automatisch werden Assoziationen zu Themen wach, die im Kontext umstrittener Sendungen zu Tage gefördert wurden. So in etwa die Frage nach verfälschter Realität oder dem Umgang mit den Hauptakteuren.

Eigentlich ist dieser fade Beigeschmack fast ein wenig schade, denn auch bei genauer Betrachtung wirken die dargestellten Szenerien weitestgehend realistisch und unverfälscht. Selbst die Kommentare der Sprecherin wirken nicht störend. Teilweise sind sie sogar interessant: etwa wenn sie das Krankheitsbild der dargestellten Menschen erklärt, die alle an unterschiedlichen Gendefekten leiden und deren Auswirkungen sich anhand von Kleinwuchs zeigen. Die Sendung begleitet die verschiedenen „kleinen Menschen“ in ihrem Alltag, lässt ihnen die Gelegenheit sich in Interviews zu ebenjenem zu äußern und bietet Einblicke in vergangene Zeiten und Highlights im Leben, wie etwa die Geburt eines Kindes oder eine Hochzeit. So weit, so eigentlich ganz interessant.

Doch neben der irritierenden Handschrift hat «Die große Welt der kleinen Menschen» ein weiteres Problem: eigentlich möchte man meinen, sei eine realistisch dargestellte Dokumentation ein interessanter Versuch von Sat.1, auf neuem Terrain Fuß zu fassen. Doch leider trägt ein derartiges Format nicht einmal über solch eine kurze Laufzeit wie eine dreiviertel Stunde. Zu oft schon wurde der Alltag von Kleinwüchsigen im deutschen Fernsehen dokumentiert. Gewiss nicht in einem eigens für sie produzierten Format. Durchblättert man mit der Fernbedienung jedoch sämtliche Boulevard- und Servicemagazine, so ist einem die – durchaus spannende – Thematik nicht fremd. Dementsprechend ist die Wahl, ein unverfälschtes Dokumentationsformat mit Kleinwüchsigen zu bestücken, möglicherweise die falsche. Dennoch muss unbedingt positiv hervorgehoben werden, dass Sat.1 entgegen des Trends auf Effekthascherei verzichtet und die Protagonisten so darstellt, dass diese sich bei der Ausstrahlung nicht zu schämen brauchen.

Damit bleibt festzuhalten, dass «Die große Welt der kleinen Menschen» wohl lediglich ein weiterer Programmpunkt bei Sat.1 sein wird, der in wenigen Wochen lediglich unter „ferner liefen“ verbucht werden kann. Dennoch gibt sich der Sender Mühe, aus den gegebenen Umständen das Beste zu machen und verzichtet auf die Vorführung der agierenden Personen. Die Machart jedoch lässt zu schnell Assoziationen zu niederen Formaten zu und könnte Zuschauer somit schnell auf die falsche Fährte der Unterhaltung locken. Letztlich bleibt die Frage, wer sich derartiges anschauen soll. Doch diese Frage stellt man sich bei Sat.1 ja derzeit öfter.

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